Berufswahl in der Beratung: Wichtige Weichenstellung mit gemischten Gefühlen

Wie bist du zu deinem Beruf gekommen? Spätestens am Ende der Schulzeit müssen sich Jugendliche mit der Frage nach der Berufswahl beschäftigen - ob sie wollen oder nicht. Vielleicht hast du dich auch schon gefragt, wie du deinen Klienten dabei Hilfestellung geben kannst? Unsere Autorin Dörthe Beurer verrät es dir.

Wenn du als Psychotherapeutin oder als Coach arbeitest, dann hast du sicher immer wieder mit dem Thema Beruf und Arbeit zu tun – schon allein deshalb, weil psychische Probleme und berufliche Schwierigkeiten eng beieinander liegen – das zeigen Krankschreibungsstatistiken. Und die Berufswahlfrage ist unausweichlich. Spätestens am Ende der Schulzeit müssen sich Jugendliche damit beschäftigen, ob sie wollen oder nicht: Unsere Gesellschaft, unser Bildungssystem verlangen, dass wir uns in irgendeiner Form entscheiden und dazu äußern, wie es weitergehen soll. Selbst wenn Familie und Freunde einen mit der Frage „Was willst du jetzt eigentlich beruflich machen?“ in Ruhe lassen, werden mindestens die Kranken- und Kindergeldkasse anklopfen. Es ist also nicht so einfach, das Thema ganz zu verdrängen – was man ja aber auch nicht tun sollte.

Berufswahl ist eine zentrale Entwicklungsaufgabe und eine wichtige Weichenstellung, oft mit gemischten Gefühlen verbunden: einerseits mit Freude auf den neuen Lebensabschnitt, andererseits mit Sorgen und zuweilen auch mit Ängsten (Was ist die richtige Entscheidung? Mache ich einen Fehler, wenn ich mich für Beruf X entscheide? Muss ich dann für den Rest meines Berufslebens im falschen Beruf bleiben? Wie sieht das im Lebenslauf aus, wenn ich wechsele?).

Vielleicht hast du dich auch schon gefragt, wie du deinen Klienten berufsbezogene Hilfe geben kannst. Dazu möchte ich dir ein Grundrezept vorstellen. Vorher aber eine Frage an dich:

Wie bist du zu deinem Beruf gekommen?

Bei mir war Psychologie mein Plan B. Meine erste Wahl wäre etwas Anderes gewesen, durch die Verkettung dummer Zufälle wurde da aber nichts draus und ich landete bei der Psychologie. Lange Zeit habe ich mit meinem Studienfach gehadert, mich gefragt, ob ich nicht wechseln soll. Dann habe ich es aber doch nicht gewagt und bin bei der Psychologie geblieben. Heute bin ich ganz froh darüber. Dass ich mich seit längerem intensiv mit Fragen der Berufsfindung und Berufsfreude befasse, hat deshalb stark biographische Gründe. Als Betroffene weiß ich, wie sich Zweifel am eingeschlagenen Berufsweg anfühlen. Und als Forscherin, Autorin und Beraterin interessiere ich mich dafür, was einen gelingenden Berufsweg ausmacht und wie man ihn für sich persönlich finden kann. Ich habe festgestellt, dass die Psychologie sehr viele fundierte Antworten für Menschen auf dem Berufsweg liefern kann.

Psychologie für den Berufsweg: Grundrezept Person –  Beruf – Passung

Ein Ergebnis meiner Arbeit ist das Grundrezept für die Person-Beruf-Passung (Beurer, 2017).

In dem Grundrezept habe ich die Essenz psychologischer Forschung zu Beruf, Arbeit, Motivation, Persönlichkeit und Gesundheit zusammengefasst – alles wichtige Eckpunkte für einen guten Berufsweg. Es zeigt, was man aus psychologischer Sicht mindestens für eine gute Berufswahl und einen guten Berufsweg braucht und hilft Antworten auf die Fragen zu finden: Welcher Beruf passt zu mir und zu welchem Beruf passe ich? Es ist wohlgemerkt kein Patentrezept, das eine „Berufsglücksgarantie“ gibt, aber es ist ein solider Orientierungsrahmen, Navi und Sortierhilfe für Ratsuchende und Berater: Was sollte wozu passen? Um welche Ziele geht es? Was sind gute Zutaten und wie bereite ich sie gut zu? Alle Aspekte des Grundrezeptes sind über Tests prüfbar.

Passung

Basis eines guten Berufswegs ist, dass Person und Beruf bzw. Arbeit gut zusammenpassen. Im Grundrezept sind durchgängig beide Seiten vertreten. Es ist aber wichtig, Passung als etwas Dynamisches zu sehen. Nicht nur in der Partnerschaft, sondern auch im Berufsleben gilt: Was heute passt, passt morgen vielleicht nicht mehr. Das kann verschiedene Gründe haben: Vielleicht war von Anfang an der Wurm drin, es passte von vorneherein nicht. Vielleicht hat man sich aber auch auseinanderentwickelt (meine beruflichen Interessen ändern sich oder die Firma verändert ihre Geschäftsfelder, strukturiert um, streicht mein Aufgabenfeld oder die neuen Kollegen und ich können nicht miteinander).

In der Beratung kann man gemeinsam klären: Passt der Beruf als Solches oder nur die Arbeitsstelle nicht? Muss ich den Beruf oder nur die Stelle wechseln? Kann ich am Arbeitsplatz oder an meiner Bewertung etwas verändern?

Ziele

Was steht unterm Strich? Ein guter Berufsweg aus arbeitspsychologischer Perspektive führt zu guter Leistung und Erfolg, macht zufrieden und stolz, fördert Wohlbefinden und körperliche und seelische Gesundheit. Wenn ich unterm Strich mehr  Freude an meiner Arbeit habe als dass ich Frust, Stress und Anstrengung damit verbinde, dann habe ich einen guten Berufsweg für mich gefunden und der Person-Job-Fit stimmt.

In der Beratung solltest du alle diese Ziel-Aspekte ansprechen. Für eine systematische Bestandsaufnahme kannst du sie mit passenden Instrumenten messen (z. B. zur Arbeitszufriedenheit, Arbeitsfähigkeit, Wohlbefinden und Gesundheit).

Zutaten

Was bringe ich mit? Als Zutaten für eine gute Berufswahl werden im klassischen Berufsberatungsmodell die Fähigkeiten und Interessen in den Blick genommen, um dazu passende Berufe zu finden. Entsprechend sind auch viele Berufs- und Studienwahltests im Internet aufgebaut wie zum Beispiel der Orientierungstest für Studieninteressierte in Baden-Württemberg. Forschungsergebnisse der neueren Motivationspsychologie legen nahe, dass man das erweitern sollte. Deshalb habe ich in meinem Grundrezept Bedürfnisse bzw. Motive als weitere Zutat aufgenommen (Leistungs-, Anschluss- und Machtmotiv). Sie sind neben den Fähigkeiten und Interessen wichtig, um die passenden Berufsziele für sich zu wählen. Dabei muss man zwischen bewussten unbewussten Motiven unterscheiden (in der Forschung wird auch von impliziten und expliziten Motiven gesprochen).

Alle drei Zutaten kannst du mit psychometrisch gut validierten Tests messen. Bei guten Interessentests gibt es praktischerweise in der Regel passende Berufsvorschläge, oft auch bei Fähigkeitstests (Intelligenztestaufgaben), wenn sie z. B. Teil von Selbsttestangeboten im Internet sind. Für die bewussten und unbewussten Motive solltest du die passenden Instrumente verwenden (Fragebogen und projektive oder semi-projektive Tests). Noch gibt es aber leider keine systematischen Berufsempfehlungen im Sinne von „Welcher Beruf passt zu welchem Motiv?“.

Zubereitung

Was mache ich aus meinen Potenzialen und wie erreiche ich meine Ziele? Mit der Wahl des passenden Berufsziels ist ja noch nicht das Happy-End erreicht und gute Potenziale sind noch lange keine Garantie für einen gelingenden Berufsweg. So führt hohe Intelligenz nicht automatisch zum Berufserfolg, auf der anderen Seite haben manche Menschen trotz mäßiger intellektueller Begabung einen erstaunlich erfolgreichen Berufsweg. Hier kommen die Handlungskompetenzen ins Spiel, es geht um die Zubereitung: So wie beim Kochen kann ich vielleicht tolle Zutaten im Kühlschrank haben und schaffe es aber trotzdem nicht, ein gutes Mahl damit zuzubereiten oder ich zaubere aus bescheidenen Mitteln etwas Wohlschmeckendes. Mit dem Grundrezept werden deshalb in der Beratung nicht nur die Potenziale einer Person in den Blick genommen, sondern auch ihre Handlungskompetenzen. Im Arbeitsleben nutzen mir aber auch die tollsten Handlungskompetenzen nichts, wenn ich im Job keine Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume habe. Wenn ich gerne eigenständig arbeite, dann passt eine Arbeit, bei der das auch möglich ist. Mit engen Verwaltungsvorgaben würde ich auf Dauer nicht glücklich werden.

Die Handlungskompetenzen kannst du z. B. mit dem Selbststeuerungsinventar von Kuhl und Fuhrmann (1997) messen. Es basiert auf der PSI-Theorie von Julius Kuhl (2001), die eine wunderbare Grundlage für die Berufsberatung ist. Sie fasst wichtige Erkenntnisse aus den verschiedensten Bereichen zusammen und beschreibt anschaulich, wie unser psychischer Apparat uns beim Handeln hilft, es manchmal aber auch behindert. Bei der Besprechung der Testergebnisse stelle ich die Theorie auch meinen Klienten vor, die das als sehr hilfreich erleben und häufig sehr viele Aha-Erlebnisse in Bezug auf sich selbst und tolle Veränderungsideen haben. So gesehen ist die Berufsberatung mit dem Grundrezept auch „berufsbezogene Psychoedukation“.

Gute Beratungsarbeit: Win-win für deine Klienten und dich

Wenn du es schaffst, Menschen zu guten Lösungen für ihren Berufsweg zu verhelfen, ist das ein echtes Win-win für beide Seiten: für deine Klienten, weil sie einen wichtigen Lebensbereich im Griff haben und für dich, weil du das schöne Gefühl genießen kannst, gute und sinnhafte Arbeit geleistet zu haben. Beste Bedingungen also für Arbeitsfreude par Excellence!

Quellenangaben:

Beurer, D. (2017). Wegbegleiter für den Berufsweg. Tipps der Psychologie für Erwerbstätige und solche, die es werden wollen. Bern: Hogrefe.

Kuhl, J. & Fuhrmann, A. (1997). Das Selbststeuerungs-Inventar (SSI). Osnabrück: Universität, Fachbereich Psychologie und Gesundheitswissenschaften.

Kuhl, J. (2001). Motivation und Persönlichkeit. Interaktionen psychischer Systeme. Göttingen: Hogrefe.