Zwischen den Jahren – Zeit für deinen persönlichen Rückblick

Nimm dir zwischen den Jahren bewusst Zeit und Raum, um zu reflektieren. (Foto: Andrew Ly – Unsplash.com)

Zwischen den Jahren: die Zeit, um zu sich zu kommen, sich bewusst Raum zu nehmen und zu reflektieren. Wie war mein letztes Jahr? Was möchte ich mitnehmen? Und was loslassen? Wir haben mit Schreibtherapeutin Simone Nicklas über diese kostbare Zeit gesprochen und sie nach Anregungen gefragt.

Simone, wieso ist es so wichtig, sich zum Jahreswechsel Zeit für eine Reflektion zu nehmen?

Wir leben in einer sehr schnelllebigen Zeit. Vielen Menschen fällt es schwer, im Hier und Jetzt zu sein. In einem Jahr passiert so wahnsinnig viel, so dass wir am Ende des Jahres schon wieder vergessen haben, was überhaupt alles geschehen ist. Am Jahresende – gerade auch nach Weihnachten – ist die Zeit, in der viele von uns Urlaub haben und wir uns klassischerweise Vorsätze fürs neue Jahr setzen. Zwischen den Jahren eignet sich also besonders, um sich Zeit zu nehmen, zurückzublicken und zu gucken: Was war denn alles? Was hat stattgefunden? All die schönen Momente zu sammeln und zu schauen, was einem gutgetan hat, was Freude gemacht und was man erlebt hat. Meist kommt mit dem Aufschreiben der einen Erinnerung gleich die nächste hinterher. So kommen ganz viele Erinnerungen zusammen, die am Ende des Jahres verschüttet gewesen sind. Dadurch sehen wir das Jahr in einem anderen Licht. Manchmal haben wir das Gefühl „es sei gar nichts passiert“, dass es ein langweiliges oder schweres Jahr gewesen wäre. Durch die Reflektion können wir aber feststellen, dass es in dem Jahr sicherlich auch viel Schönes gegeben hat oder dass wir aus schwierigen Situationen etwas gelernt haben. Es ist ein schönes Ritual, um ein Jahr für sich abzuschließen.

Beim assoziativen Schreiben hältst du schriftlich alles fest, ohne lange zu überlegen. (Foto: Pexels.com)

Du erwähnst das Aufschreiben. Wieso ist es besser, zu schreiben und nicht einfach darüber zu sprechen?

Im Gespräch hätte ich gegenüber mir eine Person sitzen und würde viel stärker filtern, was ich sage, vielleicht auch versuchen, in einem besseren Licht dazustehen. Beim Schreiben bearbeite ich die Erinnerung anders und habe die Möglichkeit, ehrlicher zu sein. Wenn man das Schreiben so verwendet, wie es in der Schreibtherapie gemacht wird, dann ist es ein assoziatives Schreiben. Das heißt, dass ich vorher nicht lange überlege, was ich schreibe, sondern einfach alles runterschreibe. Am Ende des Textes kann man dann auch mal überrascht sein, was da alles zusammengekommen ist.

So ist es dann auch fixiert. Auf die Art und Weise haben wir einen schönen Jahresrückblick, vielleicht auch über mehrere Jahre hinweg, wenn wir das jedes Jahr wieder machen. Wenn wir zum Beispiel eine schlechte Zeit haben, können wir nachschauen, was uns in den einzelnen Jahren wichtig gewesen ist oder was uns Freude gemacht hat. Wir sehen, wie wir in der Vergangenheit gewisse Probleme angegangen sind. Oft vergisst man ja, was man schon mal für Fähigkeiten oder Problemlösestrategien hatte.

Gibt es etwas, worauf man beim Schreiben achten sollte?

Es gibt gar nicht viel zu beachten, man sollte sich aber auf jeden Fall die Zeit dafür nehmen! Die Jahresreflektion ist kein Punkt auf der To-Do-Liste, den man jetzt auch noch schnell machen muss und zwischen zwei Termine packt. Es sollte Zeit sein, um von dem, was vorher im Alltag stattgefunden hat, runterzukommen – und danach, um die Reflektion wieder ausklingen zu lassen. Gut ist es, wenn man den Raum hat, um ungestört zu sein. Also nicht gerade am Esstisch, wo ständig das Kind vorbeirennt und sagt „Mama, Papa, ich will irgendwas“. Das Handy sollte auch ausgeschaltet sein, damit man es nicht blinken sieht, wenn man eine Nachricht bekommt. So kann man sich am besten auf seinen Rückblick konzentrieren. 

Worauf man schreibt, ist egal. Wesentlich ist aber, dass man mit der Hand schreibt, was für viele ungewohnt ist. Es gibt Menschen, die haben viele schöne Notizbücher und möchten die dann auch nutzen, wollen aber zugleich, dass die einzelnen beschriebenen Seiten schön aussehen, dass nichts durchgestrichen und alles ordentlich geschrieben ist. Wenn diese Personen ein schönes Notizbuch für einen Jahresrückblick verwendet wird, sind sie teilweise sehr gehemmt, einfach reinzuschreiben und zu kritzeln. Das ist nicht sinnvoll. Wem es auch so geht: Lieber ein Schulheft oder einzelne Blätter nehmen, die dann zusammengeheftet werden können.  So ist es leichter möglich entspannt zu schreiben.

Eine kleine Achtsamkeits- und Meditationsübung vor dem Schreiben, stimmt dich gut auf das Thema ein. (Foto: Pixabay.com)

Und worauf sollte man nicht achten?

Auf die Sprache, die Form, den Aufbau... auf alles das, worauf wir normalerweise achten sollen, wenn wir einen Text schreiben. Das ist in dem Fall absolut unerheblich und sogar hinderlich. Ein Text kann und soll einfach stehengelassen werden, so wie er beim Schreiben entstanden ist. Es geht um das Erleben und nicht um die Form des Textes.

Wie stimmst du dich auf das Thema ein?

Was sich bewährt hat, ist eine kleine Achtsamkeits- oder Meditationsübung. Vor dem Schreiben war es vielleicht trubelig oder stressig. Vielleicht haben wir noch Sachen im Kopf, die wir später machen wollen. Um ein bisschen runterzukommen, hilft es, auf den Atem zu achten und die Gedanken vorbeiziehen zu lassen. Das kann man auch schreibend machen, in dem man ein paar Minuten einfach alles aufschreibt, was einem durch den Kopf geht. Das kann stichtwort- oder monologartig sein – so wie es im Kopf gerade entsteht und abläuft, ohne dass man versucht, daraus sinnvolle Sätze zu formulieren. Einfach alles notieren. Wer den Kopf auch damit nicht frei bekommt, kann sich zur Unterstützung oder Einstimmung auch die Fotos des Jahres angucken oder den Kalender noch mal durchgehen. So hat man einen guten Überblick, was eigentlich alles im letzten Jahr stattgefunden hat und ist mit den Gedanken mitten im Thema.

Wenn dir das Schreiben schwerfällt, kann es sein, dass es nicht das richtig Medium für dich ist. (Foto: Daria Nepriakhina – Unsplash.com)

Was ist, wenn Schreibblockaden auftauchen?

Im Prinzip treten beim Jahresrückblick keine klassischen Schreibblockaden auf. Diese kommen meistens dann, wenn ich das Gefühl habe, dass der Textaufbau nicht stimmt; ich nicht weiß, wie eine Geschichte weitergeht oder mir die richtigen Formulierungen und Worte fehlen. Aber bei der Jahresreflektion schreibt man einfach alles auf, was im Kopf ist, ohne es in irgendeine Form zu pressen oder eine stringente Geschichte daraus machen zu wollen.

Wenn einem das Schreiben schwerfällt, kann man schauen, ob das Schreiben überhaupt das richtige Medium ist. Das ist nicht für jeden was. Es kann aber auch an den Fragen liegen. Gibt’s Fragen, bei denen ich einfach ein ungutes Bauchgefühl habe, weil ich merke, das wirbelt irgendetwas auf, was ich gar nicht aufwirbeln möchte? Dann lass ich die Frage weg!

Und wenn ich nicht weiß, wie ich starten soll, kann ich auch erstmal irgendwas schreiben, zum Beispiel „Mir fällt gar nichts ein... ich möchte irgendwas über mein Jahr schreiben, aber ich habe keine Ahnung wie...“ Darüber kommt man dann meistens in einen Schreibprozess. Wenn es gar nicht funktionieren will, dann erzwing es nicht, sondern leg es zur Seite und probiere, ob es an einem anderen Tag vielleicht bessergeht.

Das „Zwischen-den-Jahren“-Heft hält auf wenigen Seiten verschiedene Impulse, Ideen und Übungen zum Schreiben bereit. (Foto: Freddy Castro – Unsplash.com)

Kannst du uns zum Schluss noch was über dein „Zwischen-den-Jahren“-Heft erzählen?

Gerne! Das Heft habe ich zusammen mit Otto Stellmacher von handsatz.com im letzten Dezember rausgebracht. Es ist aus unserer gemeinsamen Freude am Reflektieren, fürs Schreiben und die therapeutische Arbeit entstanden. Das Heft besteht aus ein paar wenigen Seiten, aber vielen verschiedenen Impulsen, Ideen und Übungen zum Schreiben. Wir sprechen die verschiedensten Themen an, zum Beispiel die Beziehung zu anderen Menschen oder Situationen, die man gut gemeistert hat. Es geht auch darum, aufs nächste Jahr zu schauen: Was möchte ich mitnehmen? Und was vielleicht auch nicht? Was ist mir bewusst geworden? Welche Türen haben sich geöffnet? Was habe ich gelernt? Was hat nicht so gut funktioniert? Die Fragen bauen nicht aufeinander auf, man kann sich rausnehmen, was man möchte.

Das Heft kann man jedes Jahr neu ausfüllen und dadurch sehen: Was habe ich letztes Jahr geschrieben? Was hat sich verändert? Bin ich das, was ich im neuen Jahr loswerden wollte, wirklich losgeworden? Und wenn nein, warum nicht? Das ist eine schöne Möglichkeit, die eigene Entwicklung zu reflektieren.

 

Hast du Lust bekommen, dir Zeit für dich zu nehmen und dein Jahr zu reflektieren?
Das „Zwischen den Jahren“-Heft von Simone Nicklas und Otto Stellmacher kannst du dir hier kostenlos herunterladen: