Therapeutisches Zaubern öffnet auf magische Art bisher verschlossene Türen

Ein kleines Mädchen mit Zauberkostüm vor orangenem Hintergrund

Zaubern und verzaubert zu werden, bedeutet einzutauchen in eine andere Welt. Zaubern fasziniert! Therapeutisches Zaubern eignet sich ganz ausgezeichnet als Türöffner sowie um Lösungsprozesse auf wundervoll leichte Weise in Gang zu setzen. Die ersten Schritte im Therapeutischen Zaubern sind schnell gemacht – am besten probierst du es anhand der Zauberkostproben einmal aus.

Beginnen wir mit dem Türöffner. Das erste Treffen mit Klient:innen ist in der Therapie von großer Bedeutung: Gelingt es, das Kind, den Jugendlichen, den Erwachsenen zu einem weiteren Treffen zu motivieren, sodass eine positive Zusammenarbeit möglich wird? Zaubern ist ein Kommunikationsmedium, daher ist Zaubern ein hervorragendes Hilfsmittel, um den ersten Kontakt lebendig und spaßbringend (aber dennoch zielorientiert) zu gestalten und eine positive Beziehung herzustellen. 

Wichtig ist es, die Klient:innen am magischen Geschehen teilhaben zu lassen. Egal, ob diese aktiv zaubern, ob sie beim Zaubern zusehen oder ob sie mit ihrer „magischen“ Puste und mit einem Zauberstab mithelfen – immer geht es um ein gemeinsames Tun und Erleben. Ein positiver Kontakt ist geknüpft. 

Ungewöhnliche Methoden brauchen ungewöhnliche Einstiege. Die erste Therapiestunde beginnt beim Therapeutischen Zaubern in der Regel mit dem Satz: „Hier ist alles anders – hier wird gezaubert. Gezaubert mit Materialien und gezaubert mit den Gedanken. Beim Zaubern mit Material bringe ich dir coole Zauberkunststücke bei, die du dann zu Hause oder in der Schule vorführen kannst. Beim Zaubern mit Gedanken sammeln wir Situationen, bei denen du sagst, da möchte ich in Zukunft anders reagieren.“ 

Die Therapiestunden sind in meiner Praxis in der Regel so aufgebaut, dass der erste Teil Zaubern mit Gedanken beinhaltet. In der Trance geht es darum, eine eigene Lösung für ein Problem in der Vergangenheit zu finden. Im zweiten Teil erlernen die Klient:innen dann ein Zauberkunststück.

Selbstwirksamkeit und Selbstwertgefühl stärken

Doch nicht falsch verstehen: Beim Therapeutischen Zaubern geht es nicht um Illusionen oder leere Tricks. Therapeutisches Zaubern ist eine Möglichkeit, mit dem Erlernen von Zauberkunststücken und lösungsorientierten Metaphern neue Kommunikationswege aufzuzeigen und positiv in Beziehung zu treten. 

Die Kinder und Jugendlichen, die in meine Praxis für Kinder- und Jugendtherapie kommen, haben sich oft in ihrer Lebenswelt verloren. Sie fühlen sich missverstanden oder übersehen. Durch das Zaubern erfahren sie eine völlig neue Form der Wertschätzung und Anerkennung. In meiner Praxis erlebe ich immer wieder, wie Kinder zum ersten Mal stolz auf ihre Fähigkeiten sind und wie sie in den Augen ihrer Eltern Glanz und Staunen sehen. 

Dank des Therapeutischen Zauberns entwickeln Menschen jeden Alters Selbstsicherheit, Konzentrationsvermögen, eine positive Sicht auf sich selbst und die Möglichkeit, im Alltag selbstbestimmt und konstruktiver zu handeln. Besonders Menschen mit vielen Misserfolgserlebnissen im Alltag sind begeistert, mit dem Zaubern etwas zu können, was andere nicht können. Zaubern ist eine Kompetenzerweiterung.

Davon profitieren zum Beispiel Kinder und Jugendliche mit:

  • Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Erkrankungen wie Ängsten, Depressionen, ADHS, Zwangshandlungen, partiellem Mutismus und Bettnässen
  • Lernblockaden
  • mangelnden sozialen Kontakten
  • Selbstunsicherheit und Selbstwertproblematik

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Junge erlernte bei mir im Rahmen der Behandlung ein paar Zauberkunststücke, die mit witzigen Geschichten verknüpft waren. Eines Tages kam er in die Praxis und erzählte mir, dass er in seiner Klasse vorgezaubert habe und dass einige Mitschüler:innen sogar nach einer Zugabe gerufen hätten. Dann machte er eine kleine Pause und sagte: „So langsam bin ich richtig beeindruckt von mir.“ Er war nicht mehr das Kind, das regelmäßig Ärger mit den Lehrer:innen und seinen Eltern hatte, sondern jenes, das andere beeindruckte und seine Probleme selbstständig lösen konnte.

Zwei Spielkarten, ein Zauberstab, ein schwarzer Hut und weiße Handschuhe

Veränderungen im Familiensystem anregen

Ein weiteres Beispiel: Ein 10-jähriger Junge kam mit der Diagnose ADHS in die Praxis. Die Aussicht, Zauberer zu werden, begeisterte ihn von Anfang an. Als erste Schwierigkeiten auftauchten, wollte er aufhören, doch er blieb dran und machte schließlich die gute Erfahrung, wie es sich anfühlt, eine Aufgabe endlich einmal zu Ende zu bringen. Sein „Zauberauftritt“ in meiner Praxis vor der Familie war das große Highlight. Sogar der Großvater aus Hamburg war angereist. Seine Mutter sagte nach dem Auftritt mit Tränen in den Augen: „Nie hätte ich geglaubt, dass mein Kind mal irgendetwas macht, wofür es Applaus bekommt!“ Der Zauberauftritt des „Problem- bzw. Sorgenkindes“ brachte eine große Wende im Familiensystem insgesamt. Der Junge war das „Zauberkind“ geworden.

Zaubern als Väter-Kind-Projekt

Da das Zaubern immer etwas mit konstruktivem Bauen und Basteln zu tun hat und da Zauberei seit jeher eine eher stark männliche Domäne ist, sprechen gerade Väter sehr auf das Medium Zaubern an. Sowohl in meiner Praxis im Rahmen des sogenannten Vater-Kind-Zauberns als auch in den speziellen „Zauber-Projekten für Kinder und ihre Väter“, die ich zusammen mit einer Psychologischen Beratungsstelle angeboten habe, zeigte sich eindrucksvoll, wie sehr sich Väter und Kinder im gemeinsamen kreativen Handeln und (Schau-)Spielen näherkommen.

Speziell „Scheidungsväter“ profitieren stark – denn gerade nach einer Trennung ist es schwierig, das Besuchswochenende mit dem Kind durch eine gemeinsame Beschäftigung (möglicherweise in einer neuen Umgebung) für beide Seiten schön zu gestalten. Haben jedoch beide das Zaubern gelernt und somit ein gemeinsames Interesse entdeckt, kann das gemeinsame Einüben der Zauberkunststücke oder das sich gegenseitige Vorzaubern das Zusammenleben in neuen und ungewohnten Situationen erleichtern. 

Ein Mann und ein Mädchen sitzen auf einem Sofa und pusten Seifenblasen.

Du hast Lust bekommen, dich auch im Zaubern auszuprobieren? Dann habe ich zwei Zauberkostproben für dich.

Erstes Zauberkunststück: „Mit Gedankenkraft eine geheime Karte finden“

Das erste Zauberkunststücke ist Bestandteil des „Zauber-Projekts für Kinder und ihre Väter“ und trägt die Überschrift „Mit Gedankenkraft eine geheime Karte finden“. Dieses Zauberkunststück gehört in die Kategorie „Zaubern mit geheimen Helfern“. Kunststücke dieser Art werden beim Zaubern im Allgemeinen eher selten benutzt, sind für Trennungs- und Patchworkfamilie aber ausgesprochen hilfreich.

10 Spielkarten im Rechteck angeordnet, eine Hand mit Zauberstab darüber

Material: Zehn verschiedene Karten aus einem Rommé-, Canasta- oder Skatspiel – eine „10“ (Farbe unerheblich) muss dabei sein.

Vorbereitung: Man legt die zehn Karten vor den Augen der Zuschauenden aus – genau so, wie die Symbole Herz, Pik, Karo oder Kreuz auf der Spielkarte angeordnet sind (siehe Abbildung)

Das Zauberkunststück: Nachdem das Zauberkind den Raum verlassen hat, wählt ein:e nicht eingeweihte Zuschauer:in eine der zehn Karten aus. Dann wird das Zauberkind wieder hereingebeten. 

Der Zaubervater zeigt mit dem Zauberstab der Reihe nach auf jede der ausgelegten Karten und fragt das Zauberkind mit den immer gleichen Worten und im gleichen neutralen Tonfall, ob das die ausgewählte Karte ist: „Ist es die? Ist es die?“ usw. Nachdem alle Karten abgefragt worden sind, konzentriert sich das Zauberkind mit mentaler Unterstützung des Publikums auf seine Intuition und nimmt die Energie der Zuschauer auf. Durch diese gute Energie findet das Zauberkind die richtige Karte. Hier empfiehlt sich eine gute Portion magisches Brimborium rund um die Gedankenkraft. So könnte der Zaubervater das Publikum auffordern, dem Zauberkind alle Kraft zuzudenken, die es braucht, um die richtige Karte herauszufinden. Selbstverständlich ist es auch von größter Bedeutung, dass alle Handys ausgeschaltet sind, damit die Gedankenwellen des Zauberkindes nicht gestört werden. 

Das Geheimnis: Wenn der Zaubervater die Karten „abfragt“, deutet er bei der „10“ (=Indexkarte) mit dem Zauberstab auf das Symbol, das auf der Karte die gleiche Position einnimmt, wie die gewählte Karte in der Auslage aller Karten. Hat also eine Zuschauer:in die äußere rechte Karte der obersten Reihe ausgewählt, zeigt der Zaubervater mit seinem Zauberstab dezent, aber präzise auf das äußere rechte Symbol der oberen Reihe auf der Indexkarte.

Zweites Zauberkunststück: „Ich finde dein Ergebnis“

So, liebe:r Leser: in, nun probiere ich bei dir aus, ob ich bereits über die Ferne mit dir zauberhaft verbunden bin. Achtung, es geht los! Setze dich bequem hin und wähle eine beliebige Zahl zwischen 1 und 10. Gefunden? Gut! Bitte merken.

  • Nun addiere bitte zu deiner Zahl zunächst die 5, dann noch einmal 3.
  • Jetzt ziehst du bitte die 4 ab und addierst noch einmal die 2. 
  • Bitte jetzt die Zahl abziehen, die du dir am Anfang überlegt hast.
  • Bitte die 2 addieren und die 3.
  • Bitte 1 abziehen.
  • Bitte noch einmal die 3 addieren.

Nun konzentriere dich ganz fest auf das Ergebnis. Schreibe dieses für mich unsichtbar auf einen Zettel. Abrakadabra, Simsalabim: Dein Ergebnis ist … 13! Stimmt es? Herzlichen Glückwunsch, wir beide sind mit dem Zaubergeist verbunden. Wenn der Trick vor Publikum vorgeführt wird, wird der Zettel nun allen Zuschauer:innen gezeigt. 

Mit dem Zaubergeist in der Praxis (und im Privaten) arbeitet und lebt es sich leichter.

Zum Weiterlesen und -zaubern:
Annalisa Neumeyer (2016). Die Angst vergeht der Zauber bleibt. Therapeutisches Zaubern in Arztpraxen und Krankenhäusern. Frankfurt am Main: Mabuse Verlag. 

Annalisa Neumeyer (2020). Einführung in das therapeutische Zaubern. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.

Annalisa Neumeyer (2017). Wie Zaubern Kindern hilft. Stuttgart: Klett-Cotta-Verlag. 

Annalisa Neumeyer (2019). Mit Feengeist und Zauberpuste – Zauberhaftes Arbeiten in Pädagogik und Therapie. Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag.