Kinderängste: Mit inneren Bildern zu mehr Selbstwirksamkeit

Ein kleines Mädchen schaut erschrocken in die Kamera, neben ihr ist ein schlangenartiger Schatten an der Wand.

Alle Kinder erleben Angst. Wenn Kinderängste jedoch ein ungesundes Maß annehmen, ist Handeln angesagt. In Kombination mit verhaltenstherapeutisch-kognitiven Ansätzen können bildhafte Methoden bei Kindern eine besondere Wirkung entfalten. Dafür eignet sich die Arbeit mit dem „inneren Team“, um dem Kind zu vermitteln, das vorsichtige Teammitglied darf Angst haben und erfüllt eine wichtige Aufgabe: Es sorgt für Sicherheit.

Angst als therapeutische Herausforderung

Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Wenn man Kinder fragt, wie sie ihre Angst finden, dann kommen oft Antworten wie „dumm“, „blöd“ oder „schlecht“. Am liebsten möchten sie gar keine Angst haben. Die Einsicht, dass das nicht geht und auch nicht sinnvoll ist, kann für ein Kind herausfordernd und heilsam zugleich sein. Aus therapeutischer Sicht ergibt sich im Umgang mit kindlichen Emotionen ganz allgemein jedoch oft folgende Herausforderung: Gefühle werden von Kindern zuweilen als diffus und undefinierbar wahrgenommen. Dies macht es für Therapeut:innen und das Kind schwierig, Gefühle zu verstehen, anzunehmen und zu steuern. An dieser Stelle kommt das „innere Team“ ins Spiel. Damit können Gefühle visualisiert werden, was helfen kann, dass diese für das Kind händelbar werden.

Angst kennenlernen und annehmen

Bei Anna (8 Jahre) war es beispielsweise so, dass sie abends Angst vor Einbrechern hatte. Dies führte zu einer Einschlafstörung mit entsprechendem Leidensdruck. Sie kam in die Sprechstunde mit dem Wunsch, keine Angst mehr zu haben. Daraufhin haben wir mit einem visualisierten Modell des inneren Teams gearbeitet, der Burggemeinschaft. Dieses wird eingeleitet mit den „drei magischen Sätzen“:  

  1. Stell dir vor, dein Körper ist eine Burg aus Mauersteinen und Holz. 
  2. Deine Gefühle stammen von Burgbewohner:innen, die in deiner Körperburg wohnen. 
  3. Man weiß, wie diese heißen, wie sie aussehen und welche Aufgaben sie haben.
Grafik der Wachfrau

Anna konnte diese Vorstellung annehmen und wir befassten uns mit ihrer Angst: Dafür ist nämlich die aufmerksame Wachfrau zuständig. Ich legte die entsprechende Charakterkarte auf den Tisch. „Was ist die Aufgabe einer Wachfrau auf einer Burg?“, fragte ich Anna. Sie musste nicht lange überlegen: „Sie passt auf“, gab sie zur Antwort. „Richtig“, entgegnete ich. „Man könnte also sagen, sie ist für die Sicherheit zuständig. Wie findest du Sicherheit?“ „Gut“, antwortete Anna.

Innere Ressourcen entdecken

„Was ist das Gegenteil von Angst haben?“, fragte ich weiter. „Weiß nicht“, meinte Anna. „Stell dir vor, du stehst auf einem Sprungbrett. Du kannst ängstlich den Rückweg über die Leiter antreten, oder…“ „Mutig sein!“, wusste sie. „Richtig. Für den Mut ist die stolze Heerführerin zuständig“, sagte ich und legte die entsprechende Karte ab. „Was meinst du, Anna, gibt es auf deiner Burg auch eine Chefin?“ „Ja, bestimmt“, erwiderte Anna und ich legte die Karte der weisen Burgherrin ab.

Grafik der Heerführerin

„Wenn du also heute Abend wieder Angst vor Einbrechern hast, kannst du einen Burgrat durchführen. Dafür bläst die Burgherrin das Signalhorn und ruft: „Stopp, Burgrat!“ Du kannst dir dann bewusst machen, dass nicht du als Burgherrin Angst hast, sondern die aufmerksame Wachfrau in dir, die dich beschützen will. Du kannst dich dafür bei ihr bedanken. Dann sagst du ihr aber, dass sie nicht die Einzige auf der Burg ist, und wendest dich deiner stolzen Heerführerin zu. Du kannst sie in deiner Fantasie fragen, ob sie auch Angst vor Einbrechern hat. Was denkst du wird sie antworten?“ „Sicher nicht!“, war Anna überzeugt. „Richtig. Der Burgrat hilft dir zu spüren, dass du mehr bist als deine Angst und dass du auch Mut hast in dir. Willst du das mit dem Burgrat heute Abend mal versuchen?“ „Ja“, gab sie zur Antwort.  

Als ich Anna zwei Wochen später wieder sah, war sie verändert. Sie sagte, dass die Angst, also ihre Wachfrau, immer noch da sei, aber dass sie (die weise Burgherrin) nun besser damit umgehen könne. Jedenfalls war das Einbrecherthema bald vergessen.

Grafik der Burgherrin

Emotionsakzeptanz und -toleranz als Ziel

Dieses Praxisbeispiel illustriert, wie Kinder mit einem visualisierten inneren Team, z. B. in Form einer Burggemeinschaft, Ängste annehmen, aushalten und überwinden können. Essenziell ist dabei, dass es nicht darum geht, die aufmerksame Wachfrau „loszuwerden“ oder deren Angst reduzieren zu wollen. Es geht darum, dass das Kind erkennen darf:  

  • „Meine Angst meint es gut mit mir, sie will mich beschützen.“ 
  • „Meine aufmerksame Wachfrau darf Angst haben.“ 
  • „Ich habe nicht nur Angst, sondern auch Mut in mir.“ 
  • „Ich bin nicht meine Gefühle.“ - Die Burgherrin (das Kernselbst) hat keine Angst. 

Diese Einsichten können dem Kind helfen, unangenehme Emotionen wie Angst zu akzeptieren, auszuhalten und sogar wertzuschätzen. 

Zum Weiterlesen: 

(Werbung) Greisser, Joe (2024). Gefahr! Gefahr? Entdecke den Sinn von Angst. Thun: Mosaicstones-Verlag.

(Werbung) Greisser, Joe (2023). Die Burggemeinschaft – Charakterkarten. Bern: Blaukreuz Verlag.