Wie Kinder (und Erwachsene) mit der „Burggemeinschaft“ mehr Selbstwirksamkeit erleben

Ein Mädchen und ein Junge in mittelalterlich-höfischen Kostümen vor einer Burgkulisse

Julia hat Angst vor Vorträgen. Wenn sie vor der Klasse sprechen muss, gerät sie in Panik. Max hat regelmäßig Wutanfälle. Zum Beispiel, wenn er aufhören muss zu gamen. Anna (31) macht sich übermäßige Sorgen um ihre Kinder. Was könnte Julia, Max und Anna helfen, gesünder mit ihren Gedanken und Gefühlen umzugehen? Die Burggemeinschaft-Methode! Ritter, Wachfrauen und andere Burgbewohner:innen helfen ihnen, einen leichten Zugang zum inneren Team zu finden – und zu mehr Selbstwirksamkeit.

Hand aufs Herz: Wer kennt sie nicht? Diese innere Stimme, die beim Ertönen des Morgenweckers sagt: „Ich bin zu müde, um aufzustehen!“ Aber da war doch noch eine andere: „Jetzt muss ich aufstehen, sonst komme ich zu spät.“ Solche inneren Stimmen, die nicht selten gegenteilige Absichten haben, können Mitgliedern eines „inneren Teams“ zugeordnet werden. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass die menschliche Persönlichkeit nicht eine gleichförmige Masse ist, sondern aus verschiedenen Persönlichkeitsanteilen besteht. Diese Vorstellung kann helfen, einen gesunden Abstand zu seinen Gedanken und Emotionen zu gewinnen.

Aber wer gehört eigentlich zu meinem inneren Team? Wen gibt es da überhaupt? Was wollen die eigentlich? Wie sehen die aus? Diese Aufgabestellung ist für viele Menschen anspruchsvoll und erfordert ein hohes Maß an Reflexions- und Introspektionsfähigkeit. Insbesondere Kinder tun sich damit noch schwer. Eine visuelle, spielerische Gestaltung hilft ihnen, einen leichteren Zugang zum inneren Team zu bekommen… wie die Burggemeinschaft!

 

Das Modell der Burggemeinschaft

Dabei kannst du dir vorstellen, dass dein Körper eine Burg ist: aus Mauersteinen und Holz und allem, was dazu gehört. Deine Gedanken und Gefühle stammen von Burgbewohner:innen, die in deiner Körperburg wohnen. Das Schöne dabei: Man weiß, wie diese heißen, wie sie aussehen und was für Aufgaben sie haben! Auf diese Weise erhalten die Gefühle und Denkweisen konkrete Ausdrucksformen. Dadurch lernen auch kleine Patient:innen den Sinn der jeweiligen Gefühle kennen und können sie dadurch besser annehmen. Wichtig: In der Burg gibt es eine:n Chef:in. Das ist der/die weise Burgherr:in. Du bist also Burgherr:in deiner Gefühle und kannst sie dadurch besser steuern. Wenn du erfahren möchtest, welche Burgbewohner:innen zum Team gehören, kannst du hier nachschauen.

 

Mit dem Burgrat zu mehr Selbstwirksamkeit

Zurück zu Julia mit Vortragsangst: Wie kann ihr die Burggemeinschaft-Methode konkret helfen? Du erklärst ihr anhand der Charaktere, dass die aufmerksame Wachfrau für das Gefühl Angst zuständig ist.

Eine Illustration einer Wachfrau mit Kleid, Helm und Speer.

Therapeut:in: „Was ist die Aufgabe einer Wachfrau?“

Julia: „Sie sorgt für die Sicherheit auf der Burg.“

Therapeut:in: „Sehr gut! Und Sicherheit ist eine wichtige Sache. Das Gegenteil von Angst ist Mut: Hast du in deinem Leben schon einmal etwas Mutiges getan?“

 Julia: „Ja, als ich vom Dreimetersprungbrett sprang.“

Therapeut:in: „Du hast also auch Mut in dir. Dafür ist die stolze Heerführerin zuständig. Nun kannst du jedes Mal, wenn du Angst hast, einen Burgrat einberufen. Dieser geht so: Stoppen, Zuhören, Entscheiden.

(1) Stopp. Burgherrin: „Nicht ich habe Angst, sondern die aufmerksame Wachfrau in mir.“

(2) Zuhören. Burgherrin: „Wachfrau, was ist dein Anliegen?“ Wachfrau: „Ich habe solche Angst vor Vorträgen, weil wir uns blamieren könnten!“ Burgherrin: „Ich sehe deine Bedenken. Aber du bist nicht einzige hier. Heerführerin, was denkst du?“ Die Heerführerin: „Angst? Ich liebe Herausforderungen!“ 

(3) Entscheiden. Burgherrin: „Ich will mich dieser Herausforderung stellen. Ich kann die Angst meiner Wachfrau aushalten und werde den Vortrag durchziehen.“

Illustration einer Heerführerin in blauem Kampfkleid, mit Schwert und rotem Haarband im schwarzen Haar.

Julia stellt beim Burgrat fest:

  • Ich bin mehr als meine Angst: Indem sie ins „Du“ geht mit ihrer Angst (Disidentifikation).
  • Ich habe auch Mut in mir (Heerführerin).
  • Ich kann Burgherrin (=selbstwirksam) sein.

 

Die Visualisierung hilft auch in konkreten Situationen

Der Burgrat hilft Julia im Vorfeld des Vortrages hinsichtlich ihrer Erwartungsangst (Angst vor der Angst). Während des Vortrages ist das schwierig. Die bildliche Vorstellung der stolzen Heerführerin aber lässt sie währenddessen mit ihrem Mut verbunden bleiben. Wie kann das funktionieren? Die Begründung: Unser Gehirn liebt Bilder. Es verarbeitet diese ca. 60.000 mal schneller als Wörter. Bilder sprechen direkt unser limbisches System an. Deshalb sind sie im emotional anspruchsvollen Moment wirkungsvoller als mutmachende Sätze allein.

Wenn Julia diesen Burgrat immer wieder durchführt, erlebt sie wiederholt Selbstwirksamkeit. Die Synapsenverbindungen für angstvolle Gedanken und Gefühle werden mit der Zeit verringert und neue Verbindungen für zuversichtliches Denken und Fühlen werden geknüpft. Dadurch fällt es ihr mit der Zeit leichter, ein gesundes Maß an Angst zu verspüren.

Zu Max (9) mit seiner Frustrationstoleranz: Wenn er sein Tablet abgeben muss, wird er so richtig wütend. Auch er kann sich bewusst machen, dass nicht er als weiser Burgherr, sondern der feurige Ritter in ihm wütend wird. Und dieser meint es gut, denn er ist für die Gerechtigkeit zuständig. Diese Erkenntnis kann Max helfen, gesünder mit seiner Wut umzugehen.

Illustration eines Ritters mit Rüstung, Schild und Morgenstern, auf denen Flammensymbole zu sehen sind.

Erwachsene können ebenfalls profitieren

Nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch viele Erwachsene können mit visuellen Materialien einen leichteren Zugang zu ihrem Erleben finden. So wie Anna (31), die sich zu viele Sorgen um ihre Kinder macht und darunter leidet. Aber irgendwie schafft sie es nicht, dies zu verändern. Im Burggemeinschaftsmodell ist die hilfsbereite Dienerin für das Mitgefühl zuständig. Als Anna realisiert, dass der mitfühlende Anteil in ihr übermäßig besorgt ist (und nicht ihre Burgherrin), gelingt es ihr zu erkennen: Mitgefühl und Hilfsbereitschaft sind gut und wichtig, das steht außer Frage, aber sie können auch zu ausgeprägt sein. Oder im Bild der Burggemeinschaft gesprochen: Die hilfsbereite Dienerin kann ihren Job zu ernst nehmen. Dann ist es Zeit für einen Burgrat, bei dem Anna eine innere Helferin hinzuziehen kann, die für die notwendige Balance sorgt. Was ist das Gegenstück von Mitgefühl? Es ist die Freiheit! Und für diese ist der freie Adler zuständig. Anna hört jetzt manchmal auch auf ihn und lässt die Kinder einfach machen. Damit signalisiert sie ihnen nonverbal Stärke: „Ihr findet selber Lösungen. Ihr packt das. Ihr schafft das auch ohne mich.“

Illustration einer Dienerin mit einer Fruchtschale, blauem Kleid und blauer Mütze.

In Therapie und Coaching hat sich die Burggemeinschaft-Methode als intuitiv und effektiv erwiesen. Letztlich erkennen Kinder und Erwachsene dabei, dass die Lösung für ihre mentalen und emotionalen Herausforderungen in ihnen selbst liegen. Das Modell der Burggemeinschaft liefert einen einfachen und visuellen Zugang zu den inneren Ressourcen, die schon da sind. So gelingt Selbstakzeptanz und Selbstwirksamkeit. Und das ist es ja, was wir uns für uns und unsere Klient:innen letztlich wünschen.

 

Zum Weiterlesen:

[Werbung] Johannes Greisser (2023). Die Burggemeinschaft – Charakterkarten. Bern: Blaukreuz Verlag.

Johannes Greisser (2023). Wer hat meinen Helm geklaut!?! Warum Wut auch gut sein kann. Bern: Blaukreuz Verlag.

Webinar-Reihe mit Joe Greisser zur Anwendung der Burggemeinschaft-Methode in Psychotherapie, Coaching und Beratung

Du möchtest die Burggemeinschaft noch besser kennenlernen und erfahren, wie du sie im KiJu-Bereich oder auch in der Arbeit mit Erwachsenen einsetzen kannst? Dann sei ab dem 11. Januar 2024 in unserer Webinar-Reihe „Das innere Team als „Burggemeinschaft“: mehr Selbstwirksamkeit für Kinder (und Erwachsene)“ dabei. Mehr Infos und die Anmeldung findest du hier. Wir freuen uns auf dich!