Therapie mit Kindern und Jugendlichen spielend leicht gestalten

Kleines Mädchen schaut begeistert auf ein Brettspiel.

Hast du schon mal eine ganze Stunde lang mit deinen Patient:innen gespielt? Oder bist du noch skeptisch? Warum therapeutische Brettspiele auch in heutigen Zeiten nicht ins Museum, sondern in jede Praxis für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie gehören, erfährst du hier.

Schon Platon wusste: „Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennen lernen als im Gespräch in einem Jahr.“ Diese Aussage ist über 2000 Jahre alt, aber immer noch aktuell.

Nutzt du bereits therapeutische Spiele oder bist du noch etwas skeptisch? Dann wirst du in dieser Artikelserie viele hilfreiche und sicherlich auch neue Tipps und Informationen rund um das Thema therapeutische Spiele finden.

Ich selbst arbeite seit 20 Jahren mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen und liebe Therapiespiele. Ich habe inzwischen eine stolze Sammlung, die in meiner psychotherapeutischen Praxis in Lippstadt regelmäßig zum Einsatz kommt, und ich habe das Glück mit tollen Kolleg:innen selbst Spiele entwickeln zu dürfen.

Kind spielt Jenga.

Spielerisch ins Gespräch kommen

Wenn ich meinen Supervisand:innen sage, dass sie doch ruhig mal eine ganze Stunde mit ihren Patient:innen spielen sollen, schaue ich meist in entsetzte Gesichter: „Wie, eine Stunde lang NUR spielen, ist das denn überhaupt Psychotherapie?“ Meine Antwort ist: JA! Meist ist die spätere Rückmeldung sehr positiv und die Frage wird in der Regel kein zweites Mal gestellt, wenn die Supervisand:innen den ersten „Spieletest“ erfolgreich in der Therapie durchgeführt haben. Sie sind oft total überrascht, was so eine „Spielstunde“ alles bewirken kann.

Kinder und Jugendliche reden häufig nicht so gerne über die Dinge, die sie belasten oder beschäftigen, aber meistens spielen sie gerne. Therapiespiele nutzen genau diesen Effekt. Sie ermöglichen es, in einer spielerischen, entspannten Situation über Probleme und Schwierigkeiten ins Gespräch zu kommen. Quasi ganz nonchalant und nebenbei. Ich erinnere mich an unzählige Situationen, in denen ich sehr erstaunt war, was ich während so einer Runde „Spielen“ alles über meine Patient:innen erfahren habe.
 

Sind Brettspiele langweilig und gehören ins Museum?

Neben vielen Kolleg:innen, die meine Begeisterung für therapeutische Spiele teilen, höre ich auch immer wieder zum Teil unberechtigte Kritik oder bin mit Vorurteilen von Leuten konfrontiert, die häufig noch keine Therapiespiele ausprobiert haben: Die Spielmechanik sei zu einfach oder unkreativ, die therapeutische Ebene sei zu plump und zu leicht zu durchschauen und deshalb für Kinder und Jugendliche langweilig. Ich habe es mir schon lange zum Ziel gesetzt, mit diesen Vorurteilen aufzuräumen und alle Kolleg:innen sowie dich für therapeutische Spiele zu begeistern.

Sicherlich beruhen viele Spiele auf dem klassischen Leiterspielkonzept, was vielleicht auf den ersten Blick etwas altmodisch anmuten mag. Auch ich habe mich hin und wieder gefragt, ob Brettspiele nicht „total out und veraltet“ sind, und ob ich nicht eigentlich alles am PC, per VR oder Video machen sollte, um meine kleinen und großen Patient:innen zu begeistern. In der Praxis zeigt sich aber immer wieder, dass es gar nicht so sehr um eine hochkomplizierte Spielmechanik geht, sondern viel mehr um die eigentlichen Inhalte und den Spaß. Und seien wir mal ehrlich: Wir spielen doch alle immer noch gerne Klassiker wie „Mensch ärgere dich nicht“.

Manche PC-Spiele oder VR haben mit Sicherheit ihre Berechtigung, aber therapeutische Spiele gehören auf gar keinen Fall ins Museum, sondern eigentlich in jede Psychotherapiepraxis für Kinder und Jugendliche, Beratungsstelle oder Ambulanz, weil sie funktionieren und wirken.

Spielen ist eine Möglichkeit, mich als Therapeutin und den wöchentlichen Termin bei mir attraktiv zu machen.

Ist Spielen Psychotherapie?

Wie erkläre ich Eltern, dass ich mit ihrem Kind nicht bloß spiele, weil mir nichts Besseres einfällt, sondern dass Spielen ein wesentlicher Bestandteil der Therapie sein kann?

In der Psychotherapie gibt es ganz unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten fürs Spielen. Einerseits ist Spielen eine Möglichkeit, mich als Therapeutin und den wöchentlichen Termin bei mir attraktiv zu machen, andererseits wird das Spielen an sich therapeutisch genutzt, z. B. im Rahmen der Spieltherapie. Psychotherapeutische Spiele verbinden häufig diese zwei Aspekte auf ganz einfache Weise.

Spiele lassen sich sehr gut als Eisbrecher nutzen, zum Kennenlernen, als Belohnung, aber auch als Einstieg oder Vertiefung zu einem bestimmten Thema. Kinder und Jugendliche vergessen im Spiel häufig die Ernsthaftigkeit des Spielhintergrundes und projizieren das Spiel nicht unbedingt auf sich. So sind sie in der Lage, neue Lösungsideen zu entwickeln, die sie vielleicht ohne den spielerischen Kontext nicht entwickeln würden.

Eine weitere Möglichkeit, Eltern von der Sinnhaftigkeit therapeutischer Spiele zu überzeugen, kann es sein, gemeinsam mit Eltern und Kind ein Spiel zu spielen und dabei zu erleben, wie die gesamte Familie gemeinsam Spaß hat, lacht und anders auf ein bestimmtes Thema schaut.

Junge sitzt mit gesenktem Kopf am Schreibtisch und hat den Kopf auf die Hände gestützt.

Spaß am Spiel und Neugierde – Der Rest kommt fast automatisch

Kinder und Jugendliche spielen in der Regel gerne, also nutze dieses natürliche Spielinteresse in deiner therapeutischen Arbeit. So individuell wie deine Patient:innen sind, so individuell musst du selbst überlegen, ob und welches Spiel in der Behandlung mit deinen jeweiligen Patient:innen sinnvoll und unterstützend sein kann. So können therapeutische Spiele dazu beitragen, deine Patient:innen besser kennenzulernen, therapeutische Fragestellungen zu verfolgen oder ihnen zu helfen, eigenständig neue Lösungsstrategien zu entwickelt. Beim Spielen therapeutischer Spiele können Kinder und Jugendliche einschränkende Gedanken und Gefühle oft besser erkennen, sie lernen aber auch neue Handlungsmöglichkeiten kennen.

Im Therapiespiel können bewusste und unbewussten Gedanken, Gefühle, Einstellungen, Vorstellungen, aber auch Köperempfindungen und Verhaltensweisen leichter thematisiert werden. Ressourcen, Interessen und viele weitere Dinge können er- und bearbeitet werden. Therapeutische Spiele sind ideal, um die Gefühlswahrnehmung zu stärken oder gezielt bestimmte Themenbereiche in der Therapie aufzugreifen, wie z. B. den Umgang mit Gefühlen, die Trennung der Eltern, das Thema Tod und Trauer und vieles mehr. Es gibt inzwischen auch einige Therapiespiele speziell zu unterschiedlichen psychischen Störungsbildern, wie zum Beispiel Ängsten und Depressionen.

Neugierig geworden? Mehr Tipps zu therapeutischen Spielen sowie praxiserprobte Spielempfehlungen erwarten dich in den nächsten zwei Teilen der Artikelserie.