Wie du Filme und Videos in der Therapie nutzen kannst

Ein Mädchen und eine Psychologin schauen auf ein Tablet.

Manche Dinge sind schwer in Worte zu fassen – und manchen Patient*innen fällt es ohnehin schwer, immer „nur zu sprechen“. Videos und kleine Filme können da eine willkommene Abwechslung sein! Das Internet ist eine wahre Fundgrube an therapeutisch nutzbaren Videos. Unsere Autorin und Psychotherapeutin Melanie Gräßer hat einige praxiserprobte Videos für dich zusammengestellt.

Verwendest du schon Videos in deiner Therapie? Circa 2012 bin ich zum ersten Mal darauf gekommen. Das war damals das Video zum Lied „Laktoseintoleranz von Nils Heinrich. Ich arbeite gerne und oft mit chronisch kranken Kindern und Erwachsenen. Sehr häufig kommt es bei Menschen mit einer chronischen körperlichen Erkrankung vor, dass sie sich „anders“ und „nicht richtig, sonderbar oder komisch fühlen. Ein jugendlicher Patient war sehr bedrückt, weil bei ihm zusätzlich zu seiner Morbus-Crohn-Diagnose eine Laktoseintoleranz festgestellt worden war. Er kam mit seiner MC-Diagnose ohnehin schon nicht gut zurecht und die ganzen damit verbundenen Symptome waren ihm sehr unangenehm. Das Thema und darüber zu reden war mit viel Scham besetzt. Da kam mir Nils Heinrich wie gelegen. Über das gemeinsame Schauen des Videos war dies plötzlich viel leichter.

Mit dem Video Racist Glasses von Rudy Mancuso habe ich immer mehr das gewaltige Potential des Einsatzes von Videos in der Therapie erkannt – und habe inzwischen eine stolze Sammlung auf meinem Praxis-PC.

Ein Junge schaut auf einen Laptop.

Filmeschauen in der Psychotherapie? 

Nicht alle Patient*innen, besonders Kinder und Jugendliche, haben Lust, die ganze Zeit nur zu sprechen. Viele wünschen sich eine zeitgemäße Ansprache, die sie interessanter“ finden. Der Einsatz moderner Medien ist ein zusätzliches und sehr gut geeignetes Mittel, mit dem du deine Patient*innen, egal ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, auf allen Kanälen erreichen kannst. Nutze diese Möglichkeiten. 

Videos eignen sich hervorragend zum Einsatz in der Psychotherapie. Dabei ist es eigentlich ganz egal, um welches Thema es geht oder wo du gerade mit deinen Patient*innen im Behandlungsprozess stehst.

Es gibt natürlich eine ganze Reihe an Videos, die speziell für den Einsatz in der Psychotherapie erstellt wurden. Aber genauso gut eignen sich andere Videos, um diese einzusetzen und einen Effekt zu erzielen. Da Geschmäcker bekanntlich verschieden sind, ist der Effekt eines Videos oft auch ganz unerwartet. Videos bringen auf ganz einfache Weise Dinge zum Ausdruck und sorgen für Aha-Momente, wie es viele therapeutische Gespräche nicht so leicht schaffen. Auch kommt ihr mit Hilfe eines kurzen Videos oft viel leichter ins Gespräch über scheinbar schwierige Themen oder wenn gar die Worte fehlen.
 

Für den Einsatz benötigst du nicht viel  

Wenn du denkst, dass es sehr aufwändig ist, mit Videos zu arbeiten, dann kann ich nur sagen: NEIN, das ist es ganz und gar nicht! Du benötigst kein spezielles Hightech-Equipment oder ähnliches. Eine Auswahl abgespeicherter Links oder Filme auf deinem PC, Laptop, Tablet und/oder ein Internetzugang reichen und es kann schon losgehen. Videos sind auch super in der Videosprechstunde einsetzbar. Hierzu brauchst du ein Programm, bei dem du den Videobildschirm mit deinen Patient*innen teilen kannst. So kannst du dann ganz leicht das Video abspielen und ihr könnt es euch gemeinsam am Bildschirm anschauen und dann damit arbeiten.

Eine Frau sitzt an einem Laptop.

Oft steige ich ein, mit Sätzen wie: „Haben Sie Lust ein kurzes Video (zum Thema xy) mit mir anzuschauen?“, „Kennen Sie/Du…?“, „Dazu fällt mir ein…“, „Oh, da habe ich eine Idee…“. Ich versuche meine Patient*innen neugierig zu machen.

Eigentlich ist es selbsterklärend, aber bitte lass deine Patient*innen Videos nicht alleine anschauen, sondern guckt sie immer gemeinsam und sprecht im Anschluss darüber! Du kannst das Video natürlich auch zwischendurch anhalten und auf bestimmte Punkte genauer fokussieren. Wie du das machst, ist Geschmackssache und je nach Video, Thema und Patient*in ganz individuell unterschiedlich. Lass dein therapeutisches Gespür entscheiden, was am besten passt.

Die Videos, die ich nutze und einsetze, dauern häufig nur einige Minuten bis maximal ca. 20 Minuten. In Ausnahmefällen kann es aber auch sinnvoll sein, einen ganzen Film zu schauen. Oft nutze ich bei (Kino-/Spiel-)Filmen die entsprechenden Trailer, die sind kurz und bringen den Inhalt des Films meist klasse auf den Punkt.
 

Eine praxiserprobte Auswahl 

Für einen idealen Einstieg habe ich dir eine kleine Auswahl aus ganz unterschiedlichen Themenbereichen zusammengestellt, die praxiserprobt sind und gut bei ganz unterschiedlichen Themen, Patient*innen und Altersgruppen ankommen. Vielleicht machen sie dir Lust, dich einmal mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Vielleicht fungieren sie als eine Art Grundausstattung für deine therapeutische Arbeit mit Videos/Filmen oder sie sind eine Ergänzung zu dem, was du ohnehin schon nutzt. 

Zwei Pinguine am Ufer.

Ängstliche Patient*innen 

Wahrscheinlich hast du schon Videos von Spinnen, Zahnarztpraxen oder Ähnlichem zu Konfrontationszwecken mit deinen Patient*innen geguckt, aber kennst du auch den Pinguin, der Angst hat, ins Wasser zu springen? Dieser kleine Film hat schon so manches Mal geholfen, Angstpatient*innen die Konfrontation zu erleichtern.

Mit Jugendlichen gucke ich mir gerne die kurze und sehr berührende ZDF-Doku einer Patientin an, die sich ihrer Angst stellt. Hier finden sich viele Patient*innen selbst wieder und können sich das Vorgehen und die Dauer einer Angstbehandlung besser vorstellen, als wenn ich selbige einfach nur erkläre.

Ein etwas längerer Film zu den Themen Angst und Mobbing ist der magische Umhang von Claudia Reinhard (2010).  Ein wunderbares kleines modernes Märchen mit vielen tollen Ideen, die schon vielen meiner kleinen Patient*innen Mut gemacht haben. Dieser Film ist ideal, um es sich vielleicht in der letzten Stunde vor den Ferien gemeinsam auf dem Sofa oder im Winter mit Kissen an die Heizung gelehnt gemütlich zu machen. 
 

Psychoedukation mit Hilfe von Videos 

Psychoedukation ist häufig eines der wichtigsten Elemente in der therapeutischen Arbeit und es gibt viele tolle Modelle und Arbeitsblätter. Aber kennt ihr auch schon Knietzsche, den kleinsten Philosophen der Welt? Knietzsche nutze ich total gern, um Kindern, aber auch Erwachsenen die unterschiedlichsten Sachverhalte nahezubringen und für eine gute Gesprächsgrundlage zu sorgen. Knietzsche kann z. B. hervorragend alle möglichen Gefühle erklären.

Super erklären kann natürlich auch die Maus. 2019 gab es eine Extra-Sendung von der Maus, die die unsichtbare Erkrankung, also alles rund um psychische Erkrankungen, erklärt hat. Auch die Sesamstraße finde ich super und liebe es, wie Mark Ruffalo Empathie erklärt.

Manche Videos sind auf Englisch, aber das macht meistens nichts. Es kann sogar hilfreich sein, weil sich so ungeahnte Kompetenzen auftun können, zumal die Texte meist nicht so kompliziert sind. Ansonsten kannst du auch zwischendrin immer kurz anhalten und (gemeinsam) übersetzen.

Ein älterer Mann und eine Psychologin schauen auf einen Laptop.

Selektive Wahrnehmung erklären 

Du kennst bestimmt diese Patient*innen, bei denen du schon alles versucht hast und bei denen es einfach ganz vieler unterschiedlicher Anläufe und Medien bedarf, bis es bei ihnen Klick“ macht. Unter diese Kategorie fallen häufig Patient*innen mit Somatisierungsstörungen. Ein ganz wichtiges Element ist es, ihnen beizubringen, wie selektive Wahrnehmung funktioniert. Versuch es doch einfach mal ohne Worte mit dem „Colour Changing Card Trick” von Richard Wiseman. In der Regel können viele Patient*innen im Anschluss an das Video das Phänomen der selektiven Aufmerksamkeit deutlich besser verstehen und auch auf sich selbst übertragen. Ich starte oft gerne mit diesem und zeige danach noch den KlassikerThe Monkey Business Illusion

Sicherlich kennst du aus dem Psychologiestudium diverse solcher Experimente zu unterschiedlichen Aufmerksamkeitsphänomenen. Das Anschauen solcher Experimente (z.B. Simons & Levine, 1998, the door study) half einer 50-jährigen Patientin enorm. Sie hatte eine Körperschemastörung und wollte unbedingt ihre Nase operieren lassen. Nach den Videos wurde ihr klar, dass nicht jeder ständig ihre Nase anschaute. 

Der Mutter einer kleinen Schmerzpatientin, mit der ich schon alles besprochen/versucht hatte, ging nach dem gemeinsamen Schauen des Films „Den Schmerz verstehen – was zu tun ist in 10 Minuten“ vom deutschen Kinderschmerzzentrum (2014) endlich ein Licht auf und sie sagte: „Jetzt habe ich das verstanden, warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“.

Seitdem schaue ich diesen Film mit fast allen Schmerzpatient*innen und wenn ich es richtig verkaufe („das ist zwar ein Film für Jugendliche, aber vielleicht …“), haben auch die Erwachsenen viel davon.

Ein Mädchen und eine Psychologin in der Psychotherapie.

Der Umgang mit Traumafolgen 

Der Wiener Psychologe Hannes Kolar hat 5 großartige traumapädagogische Videos erstellt, die nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Arabisch und Farsi das Notfallprogramm, Stressregler, Ruheatmung, Wohlfühlort und Tresor erklären (hier findest du z. B. das #1 Notfallprogramm). In einer Stunde mit einem Flüchtling konnte ich nur staunen, wie mein Patient aus Afghanistan mit offenem Mund vor dem PC saß und immer nickte und ich das Gefühl hatte, es fallen ganz viele „Groschen“, während ich kein Wort verstand, weil ich kein Farsi spreche.
 

Die Ideen der Patient*innen nutzen 

Zum Abschluss noch ein Video, das ich von einem Patienten empfohlen bekommen habe – die haben ja bekanntlich immer die besten Ideen! Seine Aufgabe war es, sich Dinge zu suchen, die ihn gut ablenken können bei negativen Gedanken, und siehe da, er kommt mit einem Video in die Praxis, das er sich aufs Handy runtergeladen hat und das ihm super geholfen hat: People are Awesome (2015). 

Du siehst, es ist ganz leicht und macht noch dazu riesig Spaß, Videos in der therapeutischen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Patient*innen einzusetzen. Ich hoffe, dass dir diese Beispiele einen kleinen Einblick in die große Vielfalt der Videowelt geben konnten, die du im Rahmen deiner therapeutischen Arbeit einsetzen kannst

Da häufig neue Filme veröffentlicht werden, lohnt es sich regelmäßig zu recherchieren bzw. sich mit Kollegen auszutauschen, ob im Qualitätszirkel, in der Intervisionsgruppe oder in den sozialen Medien. Auf Facebook habe ich z. B. eine neue Gruppe gegründet, in der du dich mit anderen Psychotherapeut*innen über Spiele und kreative Medien in der Therapie austauschen kannst.