Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – Spielen in der Online-Psychotherapie mit Kindern
„Wir haben wieder gespielt!“ - In der Psychotherapie mit Kindern ist das Spiel ein wichtiger Bestandteil. Doch seit der Corona-Pandemie stellen immer mehr Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten auf videogestützte Therapie um. Ist das Spiel über die Kamera überhaupt noch möglich? Unsere Redakteurin Natalie Waschke hat einige Impulse und Spielideen für die Onlinetherapie zusammengestellt.
„Wir haben wieder gespielt!“, hörte ich meinen kleinen Patienten nach der Stunde auf dem Flur zur Mutter sagen. Das war allerdings vor Corona.
Das Spiel ist eines der wichtigsten Bestandteile in der Psychotherapie mit Kindern.
Es stärkt die Beziehung zwischen Kind und Therapeut und das zehnminütige Spiel ist ein willkommenes Abschlussritual zum Ende der Stunde. Aber das Spiel ist mehr als das! Es ist essentiell für die kindliche Entwicklung. Das Kind kann durch das Spiel seine Gefühle ausdrücken – in einem Alter, in dem die verbalen Möglichkeiten, zu reflektieren, sonst oft noch eingeschränkt sind. Konflikte werden so über das Spiel ver- und bearbeitbar, der Streit im Elternhaus dargestellt oder eine beängstigende Szene nachgespielt. Das Spiel ermöglicht es, andere Verhaltensweisen auszuprobieren, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen und neue Lösungsmöglichkeiten zu finden. Auch das Einhalten von Regeln, Gewinnen und Verlieren kann über das Spiel erlernt werden. So macht das Kind, oft ohne es zu merken, neue Erfahrungen – und hat sogar noch Spaß dabei. Wenn das nicht Ressourcen und Selbstwirksamkeit stärkt, was dann?
Kreativität ist gefragt
Es hat also einen guten Grund, warum die Praxen von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten auch allerlei Puppenhäuser, Kaufmannsläden oder Gesellschaftsspiele beherbergen - seien es „normale Brettspiele“ oder therapeutische Spiele zum Umgang mit Gefühlen und zur Ressourcenstärkung.
Seit der Corona-Pandemie arbeiten allerdings immer mehr Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten – zumindest vorübergehend – videogestützt. Für viele der jungen Patienten ist das gar kein großes Problem, schließlich sind sie mit Smartphone, Videotelefonie und Co groß geworden. Aber kann man in den Onlinesitzungen auch miteinander spielen?
Das gemeinsame Spielen über die Kamera ist möglich. Es erfordert nur etwas mehr Kreativität. Hier ein paar Ideen und Impulse:
1. Beziehungsaufbau mal anders
Während eines videogestützten Termins mit einem achtjährigen Patienten wurde ich durch das Kinderzimmer geführt und bekam allerlei Lieblingsspielsachen gezeigt. „Manche Patienten fühlen sich, als sei man bei ihnen zu Besuch“, schreibt Franca Cerutti in ihrem Artikel zu Onlinetherapie während Corona. „Sie zeigen einem ihre Haustiere oder ihren Garten. So kann die Arbeit mittels Videosprechstunde – ganz entgegen der Erwartung – auch zu einer guten Beziehung beitragen“.
Auch mein achtjähriger Patient war stolz auf seine Steinsammlung – etwas, das er sonst, alleine auf Grund des Gewichts, wahrscheinlich nie mit in eine Therapiestunde gebracht hätte. Die Kinder können dir in der Videotherapie ohne Weiteres zeigen, was ihnen wichtig ist und was sie besonders gerne mögen. So stärkst du nicht nur die Beziehung, sondern förderst auch Ressourcen und Selbstvertrauen. Auch Impulse für gemeinsame Aktivitäten oder Spiele können sich dadurch ergeben – sei es die Lieblingspuppe, die Lieblingsmusik, die man sich gemeinsam anhört, oder die neuste Bastelanleitung, die das Kind gelernt hat und dir nun über Kamera erklären kann.
Das Kind kann durch das Spiel seine Gefühle ausdrücken – in einem Alter, in dem die verbalen Möglichkeiten, zu reflektieren, sonst oft noch eingeschränkt sind.
2. Für Wortgewandte
Ich erinnere mich noch, dass ich früher bei langen Autofahrten in den Urlaub selten Langeweile hatte – weil es immer genug Spiele gab, für die man nur seine Worte brauchte:
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Teekesselchen: Ein Teekesselchen ist ein Wort, das zwei Bedeutungen hat – und dieses Wort gilt es zu erraten, indem man sich gegenseitig Tipps gibt, z.B.: „Mein Teekesselchen hat Federn.“; „Mein Teekesselchen glänzt.“; „Mein Teekesselchen kräht morgens.“; „Mein Teekesselchen gibt Wasser.“ Hast du’s erraten? Genau, ein Hahn (das Tier und der Wasserhahn).
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A-Z: Ihr sucht euch eine Kategorie aus (z.B. Tiere) und geht das Alphabet abwechselnd von A bis Z durch, z.B. Affe, Bär, Chamäleon, Delfin, Elefant, Fuchs, usw.
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„Ich packe meinen Koffer“: Ein Klassiker. Der erste Spieler beginnt und sagt „Ich packe meinen Koffer und nehme Sonnencreme mit.“ Der zweite Spieler beginnt ebenfalls mit „Ich packe meinen Koffer...“, wiederholt die Gegenstände, die bereits genannt wurden, und fügt am Ende ein eigenes Wort dazu. So entsteht eine immer länger werdende Packliste – die natürlich aus „sinnvollen Dingen“, aber auch aus Quatschdingen bestehen kann.
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Wörter-Domino: Abwechselnd werden Wörter genannt, deren erster Buchstabe immer der gleiche ist, wie der letzte des vorangegangenen Wortes: „Nase“ – „Esel“ – „Luftballon“ – „Nuss“ – „Sand“ – usw.
3. Mit Stift und Papier
Auch Stift und Papier lassen sich leicht zur Hilfe nehmen. Je nach Spiel hält man das Geschriebene oder Gemalte einfach in die Kamera. Das klappt erstaunlich gut.
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Stadt, Land, Fluss: Ihr benötigt einfach beide ein Blatt Papier und einen Stift. Bei der Auswahl der Kategorien sind keine Grenzen gesetzt! Wie wäre es mit Tieren, Bands oder Superkräften? Ihr könnt auch therapeutisch nutzbare Kategorien wie Gefühle nehmen.
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Montagsmaler: Abwechselnd denkt ihr euch Begriffe aus, die dann aufgemalt und vom anderen erraten werden müssen. Wer es schwieriger machen will, kann dabei die Ratezeit begrenzen. Und wer nicht so gerne malen möchte, kann die Begriffe natürlich auch pantomimisch darstellen!
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„Wer bin ich?“: Normalerweise bekommt man bei „Wer bin ich?“ vom anderen einen Zettel auf die Stirn geklebt, den man selbst nicht sieht. Mit Hilfe von Ja-Nein-Fragen wird dann erraten, wer man ist. In der Videotherapie-Variante kann man sich zwar keine Zettel auf die Stirn kleben, aber die Personen, die man sich für das Gegenüber ausgedacht hat, dennoch auf Zettel schreiben und dann gegenseitig erraten – egal ob Sänger, Schauspieler, Comic- oder Märchenfiguren.
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Natürlich kann man auch gemeinsam malen oder basteln, z.B. ein Stärkenplakat, ein Familienwappen oder ein „Bitte nicht stören“-Schild für die nächste Videotherapie-Stunde. Eine Vorlage gibt es z.B. bei Melanie Gräßer: Vorlage 1, Vorlage 2
4. Geschichten und Märchen
Was wäre das Spiel ohne Fantasie? Wahrscheinlich ziemlich langweilig... Die Fantasie kann dir und deinen kleinen Patienten keiner nehmen und auch über die Kamera könnt ihr gemeinsam Geschichten erfinden, in Märchenwelten abtauchen oder Szenen nachspielen:
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Geschichten erfinden: Ihr könnt gemeinsam eine Geschichte erfinden, indem jeder abwechselnd einen Satz oder ein Wort sagt. Als Ideengeber könnt ihr auch Gegenstände, die sich im Raum befinden, benutzen, oder vorher jeweils Begriffe auf Zettel schreiben, die dann zufällig gezogen werden. Was da wohl bei rauskommt? Bestimmt etwas Lustiges!
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Rollenspiele: Auch Rollenspiele sind über die Kamera möglich. Das Kind kann (Hand-)Puppen oder Kuscheltiere verwenden, die es zuhause hat. So können Dialoge über die Kamera entstehen oder kleine Szenen nachgespielt werden.
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Vorlesen und entspannen: Du kannst dem Kind etwas vorlesen oder dir – wenn das Kind das schon kann und möchte – etwas aus dessen Lieblingsbuch vorlesen lassen. Vielleicht kannst du auch eine Entspannungsgeschichte oder Fantasiereisen anleiten?
5. Unkomplizierte Spiele, die alle haben
Auch unkomplizierte Spiele, die die meisten Menschen zu Hause haben, können über Kamera gemeinsam gespielt werden, z.B. UNO, DOBBLE oder Mühle. Bei UNO und DOBBLE hält man die Karten einfach in die Kamera. Bei Mühle kann man den Zug, den der andere macht, eben auch bei sich selbst auf dem Brettspiel machen. Melanie Gräßer, Psychologische Psychotherapeutin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Lippstadt, hat gemeinsam mit Kollegen kurzerhand ein Spiele selbst konzipiert: die „Home Ralley“. „Bei der Konzeption haben wir darauf geachtet, dass es Spaß macht, Ressourcen fördert, eine gute Ablenkung und ganz einfach in der Handhabung ist.“, erklärt sie. Das Spiel kann zu Hause ausgedruckt und entweder mit der Familie oder eben mit dir in der Therapiestunde gespielt werden.
Fazit
„Eine Videosprechstunde kann eine persönliche Therapiestunde natürlich nicht zu 100% ersetzen“, sagt Melanie Gräßer. „Aber häufig sind gerade hierbei Spiele eine große Hilfe, weil viele Patienten darüber oft ganz vergessen, dass sie gerade per Video mit mir spielen und wir eine Therapiestunde haben.“
Das Spielen in der Onlinetherapie erfordert etwas Kreativität – aber ist das nicht beim Spielen ohnehin das Schönste? Frag doch auch mal deine Patienten, was Ihnen noch einfällt. Sie haben sicherlich noch mehr Ideen!