So bringst du Bewegung und Achtsamkeit ins Coaching mit Kindern und Jugendlichen

Zwei kleine Mädchen hüpfen zusammen auf einem Sofa.

Wer sich bewegt, kann Inhalte besser sortieren, aufmerksamer sein und Spannungen regulieren. Das gilt für Erwachsene, aber erst recht für Kinder und Jugendliche! In diesem Artikel bekommst du Impulse, wie du kleine Bewegungs- und Achtsamkeitselemente im Coaching mit Kindern und Jugendlichen einbauen kannst.

Stellen wir uns ein Coaching-Setting vor, dann entsteht häufig das Bild in uns von zwei Menschen, die einander gegenübersitzen. In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen kann das jedoch ganz anders aussehen, zumindest teilweise.

Um die Frage zu beantworten, warum es sinnvoll ist, in die Coaching-Sitzungen auch Bewegungs- und/oder Achtsamkeitselemente einzubauen, bedarf es eines kurzen Ausflugs in die Entwicklung von uns Menschen.

Unser Gehirn ist einzigartig und perfekt auf unseren individuellen Körper angepasst. Im Laufe unseres Heranwachsens passiert hier unglaublich viel: Von der ersten Phase des Lernens, in der wir alles fast wie ein Schwamm aufsaugen, folgt in der Pubertät eine Zeit der großen Veränderung. Unser Gehirn wird neu strukturiert und das bringt auch die ein oder andere Herausforderung mit sich.

Ein aus Plastik hergestelltes halbiertes Gehirn und eine stark vergrößerte Nervenzelle liegen auf einem Tisch.

Zudem ist es für uns hilfreich zu wissen, dass unser vegetatives Nervensystem (auch autonomes Nervensystem genannt, VNS) alle Abläufe in unserem Körper regelt, die wir nicht willentlich steuern können. Hierzu gehören neben Herzschlag und Atmung auch unsere Verdauung und unser Stoffwechsel. Das VNS dient der Erhaltung unseres inneren Gleichgewichts und sorgt für Homöostase. Zwei wichtige Teile unseres zentralen Nervensystems sind der Sympathikus und der Parasympathikus:

  • Ist der Sympathikus aktiv, steigt unser Blutdruck, die Herz-, sowie auch die Atemfrequenz nimmt zu und Stresshormone (Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol) werden ausgeschüttet. Unsere Skelettmuskulatur wird angespannt und besser durchblutet, die Atemwege weiten sich. Wir können vereinfacht sagen, der Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt. Dies macht deutlich, warum das sympathische System auch als Flucht-oder Kampf-System bezeichnet wird. Früher diente dieses System dazu, unseren Körper auf den Kampf (oder eben die schnelle Flucht) gegen gefährliche Tiere oder andere Angreifer vorzubereiten.

    Wenn unser Sympathikus in Aktion tritt, geht es um alles oder nichts. Unser gesamter Organismus reagiert, wenn wir Stress haben, es gibt keine halben Sachen. Die Stressoren für die Kinder und Jugendlichen unserer Zeit sind jedoch keine großen Tiere oder verfeindete Stämme mehr, sondern Zeitdruck, die Erwartungen anderer zu erfüllen, Multitaskingfähigkeit, Druck in der Schule bis hin zu Mobbing.

 

  • Der sogenannte Gegenspieler hierzu ist der Parasympathikus. Wird er aktiv, sinkt der Blutdruck und der Atem wird ruhiger. Das Blut, das nun nicht mehr für Flucht oder Kampf in den Muskeln benötigt wird, kann wieder zurück in andere Systeme (Verdauungsorgane, Drüsensysteme usw.) fließen. Das Spannende für uns ist jedoch, dass wir unser parasympathisches System trainieren müssen. Unser sympathisches System funktioniert von Geburt an zuverlässig, da wir als hilfloses Wesen geboren werden und lebensnotwendig auf die Unterstützung unserer Eltern/Bindungspartner angewiesen sind. Unseren Parasympathikus hingegen müssen wir noch schulen bzw. stärken, vor allem in seiner Flexibilität. Das geschieht, indem unsere Bindungspartner unsere „Stressreaktion“ auf ruhige und angemessene Weise beantworten. So erlangen wir die Fähigkeit, uns zwischen beiden Zuständen hin und her bewegen zu können. Neben der Selbstrepräsentanz entstehen hierdurch auch Fähigkeiten wie Selbstregulation, Selbstberuhigung und eine Grundsicherheit, die zur Resilienz beitragen.
Eine Frau hält ein Baby auf dem Arm, das herzhaft gähnt.

Eine sichere Umgebung schaffen

Unser parasympathisches System können wir mittels Achtsamkeits- und Entspannungstechniken, wie z. B. Meditation, Achtsamkeitsübungen oder auch gezielten Atemübungen aktivieren. Um gut zu lernen und uns entwickeln zu können, benötigen wir ein Gefühl von Sicherheit. Das bedeutet, dass wir auch im Coaching einen sicheren Raum schaffen sollten. Vor allem Kinder und Jugendliche benötigen das Gefühl, dass es hier weder um Leistung noch um Bewertung geht. Ich nutze gerne Übungen mit Gefühlskarten, denn Gefühle können sich für jeden von uns unterschiedlich anfühlen und finden auch auf verschiedenste Art ihren Ausdruck. Das zeigt, dass jeder ok so ist, wie er ist! Es gibt hier kein „so-muss-es-sein“ oder „so-muss-es-sich-anfühlen“.

 

Tief in den Bauch atmen

Übungen wie die Bauchatmung können leicht angeleitet und von den Kindern im Alltag ausprobiert werden:

Für die tiefe Bauchatmung setze dich bequem hin. Wenn du möchtest, kannst du deine Hände auf den Bauch legen, um die Atmung auch über die Hände zu spüren. Atme nun ganz entspannt und ruhig. Versuche nicht den Bauch extra nach vorne zu schieben, sondern spüre, wie sich die Bauchdecke bewegt, indem du ganz natürlich tief und ruhig atmest. Mit geschlossen Augen lässt es sich häufig besser spüren, da wir nicht so abgelenkt sind. Du kannst hier so lange verweilen, wie es dir angenehm ist.

Ein Mädchen sitzt im Schneidersitz und mit geschlossenen Augen auf dem Bett.

Tipp: Für jüngere Kinder bietet sich das Bild eines Luftballons an, der beim Einatmen voller wird und beim Ausatmen wieder kleiner. Achte darauf, dass die Kinder und Jugendlichen möglichst natürlich und ruhig atmen und den Bauch nicht extra herausdrücken und einziehen. Die Baumatmung ist unsere natürliche, entspannte Atmung und hilft uns, zur Ruhe zu kommen. Somit kann sie auch gut vor herausfordernden Situationen oder vor dem Einschlafen genutzt werden.

 

Aktivieren mit kleinen Bewegungseinheiten

Ein weiterer wichtiger Aspekt für eine gesunde Entwicklung der Kinder und Jugendlichen ist Bewegung. Neben dem Effekt, dass Bewegung die Lerninhalte sortiert, brauchen wir ein aktives Gehirn, um aufmerksam zu sein und lernen zu können. Für seine „Arbeit“ benötigt unser Gehirn einen gesunden Stoffwechsel und ausreichend Sauerstoff sowie Sinneseindrücke, die als Reiz in unserem Gehirn ankommen. Das kindliche Gehirn benötigt mehr Energie als unser erwachsenes Gehirn. Durch Bewegung wird die Sauerstoffzufuhr im Gehirn erhöht und sorgt so für mehr Aktivität, was wiederum auch das Lernen erleichtert, und die Konzentration fördert. Eine wichtige Rolle spielt hierbei auch die Tiefenwahrnehmung und Tiefensensibilität (Propriozeption). Neben dem Gleichgewicht wird hier die Lage des Körpers im Raum wahrgenommen, dies geschieht ebenfalls über Bewegung.

Wenn wir uns bewusst machen, dass die Aufmerksamkeitsspanne von Grundschülern im Schnitt etwa 30 Minuten beträgt, können wir daraus schließen, dass es durchaus Sinn für uns macht, eine kleine Bewegungseinheit mit den Kindern und Jugendlichen zu initiieren. So können nach stillen und konzentrierten Phasen die oben bereits genannten Prozesse aktiviert werden. Für uns bedeutet das, dass es durchaus hilfreich sein kann, den Kindern über eine kurze Bewegungseinheit die Möglichkeit zum Spannungsabbau zu geben und somit auch wieder Konzentration und Lernbereitschaft zu ermöglichen. Das kann über eine Körperübung (z. B. eine Yogahaltung) oder auch eine kurze Bewegung wie Springen, Umherlaufen, Rückwärtsgehen etc. geschehen.

Eine Mädchen und eine Frau stehen sich vorgebeugt gegenüber und versuchen, mit ihren Händen die Füße zu erreichen.

Wenn nichts mehr geht: Einmal Schütteln bitte!

Eine einfache und sehr effektive Möglichkeit, um eine kurze Bewegungseinheit einzubinden ist die Schüttelübung. Ich sage den Kindern und Jugendlichen dazu meist, dass ich eine Hündin habe, die sich ganz oft am Tag schüttelt und das vor allem dann, wenn sie gestresst oder angespannt ist oder etwas erlebt hat, dass sie beeindruckt hat (die Begegnung mit einer Katze zum Beispiel).

Schütteln ist auch für uns Menschen super, egal ob mit oder ohne Musik. Wir können Belastendes loswerden und wieder zu mehr Ruhe finden. Und so geht’s:

Stell dich in einem aufrechten Stand etwa hüftbreit hin. Lass die Knie weich und dann leg einfach los. Vielleicht sind es ganz kleine Bewegungen, vielleicht werden sie ganz groß. Vielleicht schüttelst du auch Arme und Beine getrennt voneinander aus. Vielleicht muss der ganze Körper mal durchgeschüttelt werden. Vielleicht muss auch ein lautes Seufzen das Abschütteln unterstützen. Was immer dir gut tut und wie lang auch immer. Wenn du dich ausgeschüttelt hast, gönn dir noch einen Moment mit geschlossenen Augen im Stehen oder Sitzen, um nachzuspüren.

Übrigens auch eine prima Übung für uns Coach:innen, wenn wir viel erlebt haben oder einfach mal so für zwischendurch. Und natürlich auch prima mit Musik, vor allem für Kinder und Jugendliche.

Wir können also festhalten, dass eine kleine Bewegungs- und/oder Entspannungseinheit durchaus hilfreich für unsere Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sein kann. Es geht immer darum, was die Klient:innen gerade benötigen. Ich wünsche dir viel Freude beim Ausprobieren.

 

Zum Weiterlesen

[Werbung] Walkenhorst, Michael & Walkenhorst, Sandra (2022). Coaching für Kinder und Jugendliche: Methoden gegen Stress und Leistungsdruck aus schulübergreifender Perspektive. Aachen: Meyer & Meyer.

[Werbung] Walkenhorst, Sandra (2021). Yoga für Jugendliche. Stress verringern durch Achtsamkeit und Entspannung. Aachen: Meyer & Meyer.