So nutzt du das Familienbrett im Coaching mit Kindern und Jugendlichen

Ein Junge stellt Figuren auf einem Holzbrett auf.

Im Coaching mit Kindern und Jugendlichen arbeiten wir an konkreten Problemen und Lösungen. Die Arbeit mit dem System- bzw. Familienbrett kann dabei ein hilfreiches Tool sein, um die Innenwelt der Klient:innen erlebbar zu machen und neue Perspektiven zu entdecken. Warum es dabei wichtig ist, dass es auch mal anders läuft als geplant, zeigt ein Beispiel aus der Coaching-Praxis.

Coaching stellt ein Angebot außerhalb des Krankseins dar. Wir haben oftmals ein leichteres Arbeiten am Thema, da unsere Klient:innen ein Problem haben und keine Krankheit. Diese Differenzierung macht die Arbeit mit und für die Klient:innen häufig leichtgängiger. Bedingt durch soziokulturelle Veränderungen, höhere Anforderungen an die Selbstregulationsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen und ein Zeitalter der Krisen, Kriege und Pandemien sind Coaching-Angebote für Kinder und Jugendliche unerlässlich, um Hilfe und Unterstützung bieten zu können.

Die Themenbereiche des Coachings mit Kindern und Jugendlichen sind dabei vielfältig: Hilfe bei Schulstress und Leistungsdruck, Stressbewältigung, Resilienztraining, Hilfe bei der Bewältigung von Konflikten, Beratung und Begleitung im Themenfeld Mobbing, Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit stärken, Elternberatung und Begleitung, Hilfe bei der Suche nach persönlichen Zielen, Blockaden lösen, Lernen erleichtern, Begleitung bei der Verarbeitung von Trennungserfahrungen der Eltern, Wohnort- und Schulwechsel, Ressourcen herausarbeiten, Hilfestellung bei der möglichen Studien- oder Berufswahl und vieles mehr.

 

Mit dem Kind arbeiten oder doch lieber „Billardberatung“?

Im Coaching von Kindern und Jugendlichen gibt es die unterschiedlichsten Ansätze, in welchen Settings gearbeitet werden kann: Wir arbeiten ausschließlich mit dem Kind oder Jugendlichen oder wir beziehen die Eltern aktiv mit ein. Es besteht auch die Möglichkeit, das gesamte Familiensystem miteinzubeziehen, oder eine klassische Erziehungsberatung zu machen. Dies wird umgangssprachlich Billardberatung genannt. Billardberatung deshalb, weil wir über Bande arbeiten: Wir stoßen eine Bewegung der Eltern an, sozusagen als Musterunterbrechung, die das Ziel hat, über diesen indirekten Weg etwas beim Kind oder Jugendlichen zu bewegen.

Um dies fundiert und mit Qualität anbieten zu können, benötigen wir Coachingtools aus den Bereichen der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenarbeit. Dies ist umso wichtiger, da die einzelnen Altersgruppen unterschiedliche Vorgehensweisen benötigen. Zudem ist der jeweilige Entwicklungsstand zu beachten, um wirksam arbeiten zu können. Wir müssen dies individuell beurteilen können, um die passenden „Schuhe“ für die gemeinsame Reise zu finden.

 

Das Systembrett nutzen: Probleme erlebbar machen

Ich möchte hier als ein Beispiel für meine Arbeit im Bereich des Coachings die Arbeit mit dem Familienbrett im Setting Eltern - Kind vorstellen. Das Kind ist elf Jahre alt und kommt gemeinsam mit seiner Mutter in die Praxis, weil sich der Junge nach dem Umzug in eine größere Wohnung nicht wohlfühlt. Beide, Mutter und Sohn, wollen die Beratung. Dies ist für unsere Arbeit essenziell, denn im Fall, dass Klient:in und Auftraggeber nicht dieselbe Person sind, kann die gemeinsame Arbeit be- bzw. verhindert werden. Ich erkläre dem Jungen vorab, dass er entscheiden kann, ob die Mutter dabeibleibt, oder ob sie im Wartezimmer auf ihn wartet. Auch die Option, sie später noch hinzuzuziehen, wurde mit ihm besprochen. Der Junge entschied sich dafür, dass die Mutter mit im Raum bleiben könne.

Ein Kind spielt mit Holzfiguren an einem Tisch.

Die Mutter hatte konkrete Vorstellungen von unserer gemeinsamen Arbeit. Sie wünscht sich, dass ihr Sohn ein System- oder Familienbrett zum Thema aufstellt. Sie hatte selbst schon eigene positive Erfahrungen mit der Brettarbeit gemacht. Oft kommen Eltern mit konkreten Vorstellungen, welche Tools eingesetzt werden sollen und welche Ergebnisse zu erzielen sind. Hier ist es essenziell, zum einen zu schauen, ob die Vorstellungen der Eltern realistisch sind und ob wir selbst diese für sinnvoll halten. Zum anderen ist es unsere Aufgabe als Prozessbegleiter, die Vorschläge, wie genau am Thema gearbeitet werden soll, auf den Prüfstand zu stellen und ggf. Alternativvorschläge zu unterbreiten.

Nach einer kurzen Aufwärm-Phase mache ich dem Jungen das Angebot, ein Brett zu seiner momentanen Situation aufzustellen. Bei der Einführung und Erklärung, wie die Brettarbeit funktioniert, ist ein wichtiger Hinweis, dass es nicht darum geht, etwas richtig oder falsch zu machen. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass unser Brett nur ein Thema abbilden sollte. Dieses „bei dem Thema bleiben“ ist auch unsere Aufgabe im Prozess. Es geht zudem nicht darum, es so aufzustellen, wie es „perfekt“ oder „wünschenswert“ wäre, sondern wie der oder die Klient:in es spontan sieht bzw. empfindet.

Im Raum befinden sich verschiedene Brettformen, Bausteine, klassische Brettfiguren, Kunststofftiere, Fantasiefiguren, Spielzeugautos und vieles mehr. Der Junge beginnt nun seine Aufstellung, die konkret seine neue Situation nach dem Umzug repräsentieren soll. Diese Aufstellung real auf eine Situation und ein Thema zu fokussieren, ist gerade bei der Brettarbeit wichtig. Ziel ist es unter anderem, die eigene Innenwelt im Außen darzustellen, begreifbar zu machen, zu visualisieren, Informationen über die eigene Perspektive zu sammeln, aber auch Lösungswege zu entdecken. Klassischerweise würde man den Jungen vielleicht anleiten, eine Figur für sich selbst und dann, nach und nach, für alle Personen, Haustiere oder was auch immer eine Rolle bei seinem Thema spielt, auf dem Brett aufzustellen.

 

Manchmal kommt es anders

Der Junge jedoch steht spontan auf, nimmt eine Handvoll Bausteine und legt sie aneinandergereiht auf das Brett. Ich bemerke, wie die Mutter zu einer Aussage Anlauf nimmt, und gebe ihr nonverbal zu verstehen, einfach zuzuschauen. Was nun in Folge auf dem Brett entsteht, ist der Grundriss der neuen Wohnung. Im nächsten Schritt sucht der Junge von sich aus Figuren der einzelnen Familienmitglieder aus und stellt bzw. legt sie in die von ihm gestalteten Räume.

Als das Bild zur Ruhe gekommen ist und spürbar wird, dass der Junge sein Brett vervollständigt hat, bitte ich ihn, uns zu erklären, was genau er aufgestellt hat. Normalerweise werden hier Fragen gestellt wie: „Wo schauen die einzelnen Figuren hin?“, „Wer steht wem am nächsten?“, „Stehen alle am richtigen Platz?“ Doch dies war nach der Beschreibung des Jungen nicht mehr nötig. Er berichtet, dass er allein in seinem Zimmer sitzt, seine Mutter allein in der Küche, der Bruder allein in seinem Zimmer am Computer und der Vater in seinem Büro am Laptop.

Ein Junge sitzt am Fenster und spielt mit einer Roboterfigur.

Anhand dieser Beschreibung bekommt die Mutter einen großen Informationsgewinn. Sie fängt an zu weinen und beide kommen miteinander ins Gespräch, zu dem ich nicht mehr viel beitragen musste. Die Mutter hat verstanden, dass ihr Sohn sich in der größeren Wohnung einsam fühlt. Dies geschah durch die Kommunikationsform des Brettes. Nonverbal und visualisiert hat ihr Sohn etwas aus seinem Inneren mitgeteilt, was bei der Mutter angekommen ist. Die Mutter in unserem Beispiel war sehr ergriffen von der Situation ihres Sohnes, die sie aus seiner Perspektive so noch nicht wahrgenommen hatte.

Auch dies stellt eine große Chance des Brettes dar: die Chance des Perspektivenwechsels. Die Dinge aus den Augen der anderen zu sehen, es wie sie wahrzunehmen. Für die Mutter war diese Erfahrung so eindringlich, dass es nicht vieler weiterer Worte der Beratung bzw. Nachbereitung benötigte. Das ist eine weitere Ressource, die das Brett in sich birgt: Nicht nur Problemstellungen werden offenbar, auch Lösungen präsentieren sich visuell.

 

Das Systembrett bietet einen spielerischen Zugang

Gerade dieser spielerische Aspekt des Systembrettes macht es Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen leicht, an Themen heranzutreten. Figuren, kleine Tiere und Holzklötze schaffen eine Verbindung zu Kindheit und Spiel. Es hat Leichtigkeit. Wir als Coachende sollten uns bewusst sein, dass es schnell geschehen kann, die eigenen Projektionen, Lösungsansätze und Meinungen zu einem Thema einfließen zu lassen. Durch das Brett sind wir vor diesen Faktoren etwas geschützt, da die Klient:innen dieses aufstellen und die eigene „Wahrheit“ kreieren.

Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Arbeit mit dem Brett: Das Aufgestellte repräsentiert die Innenwelt unserer Klient:innen. Nur die Klient:innen dürfen hier Veränderungen aktiv auf dem Brett durchführen, alles andere wäre ein Eingriff und Übergriff. So sollte zum Ende einer Sitzung der/die Klient:in aufgefordert werden, die Skulpturen, also die Brettaufstellung, aufzulösen oder die Figuren selbst wieder wegzuräumen.

 

Zum Weiterlesen:

[Werbung] Walkenhorst, Michael & Walkenhorst, Sandra (2022). Coaching für Kinder und Jugendliche: Methoden gegen Stress und Leistungsdruck aus schulübergreifender Perspektive. Aachen: Meyer & Meyer.