Innere Bilder in Bewegung bringen mit narrativer Sandspieltherapie

Spielzeug-Urwald im Sandkasten

Du möchtest weiterwissen, wenn Worte nicht reichen? Du suchst Zugang zu Bereichen, die dem Denken verschlossen sind? Du willst auch jüngeren Kinder helfen, ihr Erleben auszudrücken? Und dabei noch Lösungen anregen und Perspektiven erweitern? Einen Weg dazu bietet dir die narrative Sandspieltherapie. Die Sandspieltherapie ist dabei nicht auf die Arbeit mit Kindern beschränkt, auch Familien und Erwachsene können von der Methode profitieren.

Wer kennt nicht Situationen wie diese:

Tom, zehn Jahre alt, zuckt auf meine Fragen hin nur die Schultern, zieht seine Kappe noch tiefer ins Gesicht und wendet sich ab. Ich bin froh, in solchen Momenten das Sandspiel zur Verfügung zu haben und biete Tom an, etwas zu gestalten. Er wirft einen skeptischen Blick auf Sandkasten und Figuren, steht dann aber auf und vertieft sich ins Bauen. Nach längerer Zeit blickt er auf und gibt mir zu verstehen, dass er fertig ist. Gemeinsam betrachten wir sein Sandbild: Ein kleiner Affe sitzt allein im Urwald; er hat seine Eltern verloren. Verborgen im dichten Grün sind sie so weit entfernt, dass er sie nicht erreichen kann.

Margaret Lowenfeld entwickelte Sandspieltherapie in den 1920er Jahren, um Kindern eine Ausdrucksmöglichkeit für ihr vorsprachliches Erleben zu geben. Später verband Dora Kalff die Methode mit den Theorien Jungs. In beiden Konzepten bleiben Sandbilder nach dem Aufbau stehen. In der narrativen Sandspieltherapie rege ich dazu an, Sandbilder in Bewegung zu bringen. Gemeinsam mit dem Kind erkunde ich Bedürfnisse und Wünsche der Figuren und frage es, wie die Geschichte weiter gehen könnte:

Tom erzählt mir, dass die Affen ihr Kind vermissen und sich auf die Suche nach ihm machen. Sie hören, wie es nach ihnen ruft, und finden es wieder. Das Abschlussbild zeigt, wie der kleine Affe dicht bei ihnen sitzt und sich an sie anschmiegt.

Tom, der sich nach der Trennung seiner Eltern im Alltag oft schroff und abweisend zeigt, kann im Sandbild seine Sehnsucht nach Schutz und Nähe zeigen. Im Therapieverlauf teilt er sich den Eltern mehr mit. Er kann die Erfahrung machen, wie sie sich bei Problemen in der Schule gemeinsam für ihn einsetzen.

Welchen Geschichten erlaubst du, dein Leben zu regieren?

(Michael White)

Zu Therapiebeginn wirken Sandbilder oft wie in einer Problemtrance erstarrt. Im narrativen Sandspiel werden solche Bilder zur Momentaufnahme in einer Geschichte, die sich in die Zukunft öffnet. Für Kinder liegt es nahe, ihre Geschichte „weiterzuspielen“. Festgefahrene innere Bilder geraten in Bewegung, wenn sie im Sand neue Möglichkeiten erkunden. Überraschend schnell gelingt oft ein Transfer in den Alltag.

Eine Pavianfamilie im Urwald im Sandkasten

Werden Eltern die Sandbilder zugänglich gemacht, erhalten sie Einblick in das emotionale Erleben ihres Kindes. Häufig erkennen sich Eltern in den Sandbildern wieder und erhalten wichtige Impulse für die Beziehungsgestaltung.

Momente, die sich von der bisherigen Problemgeschichte unterscheiden, treten im Sandspiel oft in eindrucksvollen Bildern in Erscheinung. Um sie zu bewahren, fotografiere ich die Lösungsbilder und halte sie mit den Geschichten für die Kinder fest.

 

Sandspieltherapie und Trauma

Durch die Nähe zu vorsprachlichem Erleben tauchen in Sandbildern oft Szenen auf, die dem bewussten Erleben nicht zugänglich sind. Auch sehr frühe Traumatisierungen können dabei Ausdruck finden. Der narrative Ansatz bietet die Chance, diese Szenen zu erreichen und aus der Erstarrung zu lösen.

Sandspiel bietet einen sicheren Rahmen für die Traumatherapie: Traumatische Szenen bleiben auf der Bühne des Sandkastens. An der Seite der Therapeut:in können sie mit Abstand betrachtet werden. Aus einer geschützten Außenperspektive heraus kann gehandelt werden. Selbst Hilfsfiguren in die Hand zu nehmen und ins Tun zu kommen, durchbricht die Erfahrung des Ausgeliefertseins und führt in eine „kraftvolle Steuerposition“ (nach Gunther Schmidt).

Tina, sieben Jahre alt, stellt nach dem Erleben eines sexuellen Übergriffs dar, wie kleine Katzen miteinander spielen; weiter entfernt leben Raubtiere. Plötzlich springt ein Tiger eine der Katzen an und reißt sie zu Boden. Tina blickt wie erstarrt auf die Szene. Ich frage sie, wer der Katze zur Hilfe kommen kann. Wer kann dem Tiger sagen, dass er so etwas nicht tun darf? Tina wählt einen Bären; mit ihm in der Hand wirft sie den Tiger von der Katze herunter.

Gemeinsam schauen wir einen Moment lang auf das Sandbild. Als ich frage, was die kleine Katze jetzt braucht, wirft Tina den Tiger aus dem Kasten; auf dem Boden wird er mit hohen Holzklötzen umzäunt. Die kleine Katze findet Schutz bei der Katzenmutter, die sie tröstet und versorgt. Der Bär hält Wache, damit der Tiger nicht zurückkehren kann.

 

Vielfalt des Sandspiels

Systemische Sandspieltherapie ist nicht auf die Arbeit mit Kindern beschränkt. Familien können zusammen Sandbilder bauen und Geschichten „weiterspielen“. Eltern erhalten dabei oft Rollen, in denen sie die Figuren der Kinder unterstützen können. Sie finden Zugang zu gemeinsamem Spiel und können sich neu auf ihre Kinder beziehen. Werden Familienskulpturen in den Sand verlegt und mit Tierfiguren gestaltet, fühlen sich auch jüngere Kindern angesprochen und können sich aktiv beteiligen. Jugendliche nutzen gern die Möglichkeit, ihr „inneres Team“ im Sand darzustellen. Sie drücken aus, zwischen welchen Polen sie schwanken und wohin ihr Lebensweg führen könnte. Auch für Paar- und Gruppentherapie stehen Anwendungsformen bereit, so beispielsweise für die Arbeit mit Flüchtlingskindern.

 

Sandspieltherapie mit Erwachsenen

Vielleicht kennst auch du Gespräche, in denen es „zu viele“ Worte gibt, in denen dein Gegenüber von Problem zu Problem springt? In meiner früheren Arbeit in einer Beratungsstelle habe ich Sandspieltherapie gern genutzt, um in solchen Gesprächen einen Fokus zu finden. Werden viele Belastungen benannt, können sie in einer Skulptur sichtbar gemacht werden, um sich dann gezielt für ein Thema zu entscheiden. 

Eine einzelne Spielfigur umgekippt im sonst leeren Sandkasten

Das Sandspiel lässt sich auch verwenden, um ungünstige, problemverstärkende Sprachbilder aufzugreifen und darzustellen. Das in Metaphern Ausgedrückte bildhaft vor sich zu sehen, kann neue Impulse entstehen lassen:

Frau D. spricht davon, in ihrem Leben nicht mehr voranzukommen. Sie stehe an einem Abgrund und wisse nicht, wie es weiter gehen könne. Ich lasse Frau D. die Situation „am Abgrund“ genauer schildern. Steht sie an einem Erdhang oder einer Felskante? Wie weit ist sie vom Rand entfernt? Beim Nachspüren verändert sich ihr Bild zu einem Loch, in das sie schaue.

Ich schlage Frau D. vor, ihr inneres Bild szenisch darzustellen. Sie wählt für sich eine Frau in Arbeitskleidung, die einen Wassereimer trägt. Die Figur sei passend, da auch sie selbst Lasten mit sich trage. Anschließend bohrt sie in der Mitte des Sandkastens ein Loch in den Sand. Ihre Figur legt sie bäuchlings hin und lässt sie in das Loch schauen.

Gemeinsam betrachten wir die Szene. Ich frage Frau D., ob die Frau eigentlich weiß, wie es um das Loch herum aussieht.

Die Frage bringt Bewegung in das Sandbild. Frau D. kommt es plötzlich absurd vor, in ein Loch zu schauen, statt sich in der Umgebung umzuschauen. Sie nimmt ihre Figur auf und stellt sie hin. Durch den noch ungestalteten Sand wirkt die Gegend wie eine Wüste; erst jetzt scheint Frau D. diese Szenerie wahrzunehmen. Dies habe sie nicht so beabsichtigt, nur die Umgebung bisher nicht im Blick gehabt. Ich schlage ihr vor, die Umgebung zu gestalten und dabei ihren Impulsen zu folgen. Es entstehen Felsen, Wälder und Wiesen; schließlich wird noch ein Fluss hinzugefügt. Ich rege an, mit der Figur in der Landschaft umherzugehen und nach Orten zu schauen, die ihr gefallen könnten. Dabei entstehen neue Assoziationen zu Loch und Eimer: Die Frau könnte den Eimer nutzen, um Wasser zu schöpfen. Der Abgrund verwandelt sich in einen Brunnen.

Eine gepflegte Gartenanlage als aufgebaute Szene in der Sandspieltherapie

Zum Weiterlesen:

[Werbung] Brächter, W. (2022). Einführung in die systemische Sandspieltherapie. Heidelberg: Carl-Auer.

[Werbung] Brächter, W. (2010, 2. Aufl. 2016). Geschichten im Sand. Grundlagen und Praxis einer narrativen systemischen Spieltherapie. Heidelberg: Carl-Auer.