Wenn die erkrankte Seele mit am Arbeitsplatz sitzt
Während seiner langjährigen Arbeit als Führungskraft bemerkte Marcus Neuzerling: vielen Mitarbeiter*innen ging es berufsbezogen nicht gut. Sie litten unter arbeitsplatzbedingten Ängsten und Erschöpfung – und dennoch gab es kaum arbeitspsychologische Beratungsangebote. Er studierte schließlich Psychologie und ließ sich mit seinem Beratungsangebot in Berlin nieder. Wie arbeitet man als arbeitspsychologischer Berater? Davon erzählt Marcus Neuzerling im psylife-Interview.
Herr Neuzerling, Sie haben zwei Jahrzehnte lang im Hotelbreich gearbeitet. Was hat Sie dazu bewegt, danach nochmal zu studieren und sich als arbeitspsychologischer Berater selbstständig zu machen?
Bereits zur Schulzeit und später während meiner ganzen Hotelkarriere habe ich mich immer wieder für Psychologie interessiert. Der für mich persönliche Durchbruch kam 2005: In dieser Zeit war ich bereits in der Führungsebene in internationalen Hotelkonzernen tätig und mein persönliches Ziel war es, die psychische Gesundheit von berufstätigen Menschen zu unterstützen. Die erkrankte Seele sitzt nun einmal auch mit am Schreibtisch. Ich stellte mir schon damals vor, dass ich mich gerne mit einer Praxis für arbeitspsychologische Beratung niederlassen wollte. 2016 habe ich dann das Konzept geschrieben und 2017 schließlich meine Praxis in Berlin-Schöneberg eröffnet.
Sie haben sich mit Ihrer Praxis auf Burnout spezialisiert. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
Als Führungskraft und Manager hatte ich viele Berufsjahre lang eine große Verantwortlichkeit für meine Mitarbeiter*innen. Die meisten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wurden von Stress, allgemeinen Erschöpfungssymptomen und Burnout begleitet. Ich stellte bald fest, dass sich viele Arbeitgeber*innen grundsätzlich nicht 100%ig mit der Psyche ihrer Mitarbeiter*innen auseinandersetzen. Man sagt nicht ohne Grund, dass Mitarbeiter*innen das wichtigste Kapital eines Unternehmens sind. Ich habe mich mit den Themen Burnout, Ängsten und Depressionen am Arbeitsplatz intensiv befasst und war mir sicher, hier Unterstützung anbieten zu können.
Wer gehört zu Ihrer Zielgruppe und mit welchen Fragestellungen kommen Ihre Klient*innen zu Ihnen?
Ganz klar gehören zu meiner Zielgruppe berufstätige Menschen mit Ängsten, Unsicherheit, Schlaflosigkeit oder Erschöpfung, die am Arbeitsplatz entstehen. Viele Klient*innen suchen eine kurzfristige Lösung für ihre Arbeitsplatzkonflikte oder stellen sich die Fragen wie: Soll ich meinen Job kündigen? Habe ich eine Chance auf dem Arbeitsmarkt? Wie verhalte ich mich in Mobbingsituationen? Einige Klient*innen kommen auch nur für eine Kurzberatung.
Wie gehen Sie da ran, wenn die Klient*innen einerseits mit starken Belastungen kommen, aber andererseits nur eine kurze Beratung suchen?
Was für mich immer wichtig ist, ist dass es für Kurzberatungen ein entsprechend bezahlbares Angebot gibt. In unserer Branche werden meistens volle Stundensätze abgerechnet, das macht die Klient*innen nicht immer glücklich, wenn sie wirklich nur ein kurzes akutes Anliegen mitbringen. Ich habe am Tag immer wieder einige Kurzberatungen, die ca. 30 Minuten dauern. Im Vordergrund stehen dabei oft Themen, die mit Unsicherheiten und Ängsten am Arbeitsplatz verknüpft sind.
Haben Klient*innen größere Belastungen, terminiere ich mit ihnen in der Regel 3-6 Einzelsitzungen in einer Frequenz von ca. 1 – 2 Terminen pro Woche. Oft kommen Klient*innen auch zur Überbrückung, bis sie einen Therapieplatz gefunden haben. Da hilft es natürlich sehr, dass ich mir ein gutes psychologisches und ärztliches Netzwerk aufbauen konnte. Ich vermittelte Kontakte, vereinbare Arzttermine oder verfasse Kurzbriefe über die aktuell stattgefundene Beratung. Diese zusätzlichen Tätigkeiten sind mir neben der psychologischen Beratung mit den Klient*innen sehr wichtig und gehören für mich zur Gesamtversorgung.
Sie gehen mit Ihrem Angebot auch direkt in Unternehmen und beraten vor Ort. Wie wird das Angebot dort angenommen?
In vielen Unternehmen ist das Thema „Gesundheitsbudget“ immer eine große Diskussion. Ich bin an dieser Stelle ehrlich, aber ich finde es sehr schade, dass in vielen Unternehmen psychologische Beratung für Mitarbeiter*innen nicht oder nur teilweise übernommen wird. Wenn Mitarbeiter*innen gesund bleiben, wird das Unternehmen doppelt davon profitieren und die Krankheitsrate sinkt auf ein Minimum – vorausgesetzt es wird richtig gemacht, indem Fachleute hinzugezogen werden.
Die meisten Klient*innen kommen also von selbst zu Ihnen in die Praxis? Wie werden Ihre Klient*innen auf Sie aufmerksam?
Das ist richtig! Die meisten Klient*innen kommen von selbst zu mir in die Praxis. Ich denke, für eine gute Akquise benötigt man ein umfangreiches Netzwerk in der Stadt. Und das wichtigste in der heutigen Zeit ist natürlich eine ordentliche, nicht überfüllte Webseite sowie ein strukturiertes und zielgerichtetes Google-Ranking. Google lässt sich dafür zwar gut bezahlen, aber es lohnt sich am Ende des Tages. Viele Menschen finden über die Webseite den Weg zu mir in die Praxis. Facebook und Instagram nutze ich ebenfalls zwischendurch, aber hier verwende ich nicht zu viel meiner kostbaren Arbeitszeit.
Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit? Und was sind die besonderen Herausforderungen?
Im Rahmen meiner Arbeit lerne ich gerne neue Menschen und interessante Gesprächspartner*innen kennen. Jede*r Klient*in ist individuell und so lassen sich die Beratungsgespräche und Interventionen nie gänzlich vorbereiten. Jeder Tag hält also auch neue, überraschende und herausfordernde Aufgaben und Ereignisse bereit. Hier ist von mir als Berater Spontanität gefragt – und spontan bin ich besonders gerne.
Der Vorteil für meine Klient*innen ist u. a. die kurzfristige lösungsorientierte und lösungsfokussierte Beratung bei dringenden Arbeitsplatzkonflikten, Ängsten oder Erschöpfungszuständen. Insgesamt finde ich, dass es zu wenige fachbezogene Praxiseinrichtungen gibt, die arbeitspsychologische Beratung mit den Schwerpunkten Burnout, Ängste und Arbeitsplatzkonflikte für berufstätige Menschen anbieten.
Inwieweit hilft Ihnen Ihre langjährige Erfahrung im Hotelmanagement bei Ihren Beratungen?
Ich bin stolz auf meinen Werdegang, da ich Erfahrungen aus der Psychologie sowie aus Unternehmen und Management miteinander kombinieren kann. Ein gutes Studium und viele Weiterbildungen verknüpft mit operativen und administrativen Betriebserfahrungen helfen mir, professionell zu arbeiten.
Weiterbildungen sind natürlich auch wichtig. Gerade in unserer Branche muss und sollte man sich ständig weiterbilden und entwickeln. Wir arbeiten täglich mit Menschen zusammen und sind in vielen Fachrichtungen unterwegs, d. h. wir beschäftigen uns mit unterschiedlichen Themen unserer Klienten*innen. Ich versuche immer auf dem neusten Stand zu bleiben und melde mich zielgerichtet zu unterschiedlichen Fortbildungen an. Einige habe ich bereits abgeschlossen und bin u. a. Heilpraktiker für Psychotherapie, zertifizierter Burnouttherapeut und psychologischer Berater sowie Business Coach für Stressprävention und –bewältigung.
Welche Kenntnisse sollten Kolleg*innen mitbringen, die sich für die arbeitspsychologische Beratung interessieren?
Wer in diesem Bereich tätig werden möchte, sollte eigene berufliche Erfahrungen mitbringen. Erfahrungen als Führungskraft oder im Managementbereich sind von Vorteil. Sicherlich gibt es auch Ausnahmen, aber ich denke, die beruflichen Erfahrungen und Kenntnisse lernt man einfach nicht an der Uni oder in der Fachhochschule, sondern aktiv im Unternehmen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Fachausrichtung der Praxis. Ich sehe häufig Praxen, die Beratungen mit über zehn Themen und Ausrichtungen anbieten. Das ist meiner Meinung nach nicht von Vorteil, denn als Psycholog*in, Coach und Berater*in kann man nicht alles gleich gut können. Jeder von uns hat seine Schwerpunkte und Fachgebiete, die er auch intensiv nutzen und weiter ausbauen sollte.