Arbeit mit Streitpaaren - Achtsame Einzeltherapie in der (Zweier-)Gruppe

Kennst du auch diese Streitpaare, die dazu neigen, jede Äußerung des Partners als Angriff zu erleben? Oftmals reicht hier der paartherapeutische Fundus nicht aus, um den Streiteifer zu unterbrechen. Aber wie arbeitet man dann mit solchen Paaren? Unser Autor Hermann Latka ist erfinderisch geworden.

 

„Streitpaare“ gibt es viele – du kennst sicherlich die scheinbar sanften, die sich wie bei Loriot verrückt machen oder aber die sichtbarer aggressiven, die sich verbissen wegen Nichtigkeiten bekämpfen.

Sie neigen dazu, alles - jegliche Äußerung oder Nichtäußerung des Partners - als Angriff zu erleben, gegen den es sich zu verteidigen gilt: durch argumentieren, korrigierend reingrätschen, sich beklagen, anklagen, verallgemeinern, laut werden oder weinen.

Worum geht es?

Als Anlass für eine Paarberatung oder -therapie kann alles dienen. Daher ist es nur schwer auszumachen, worum es im Einzelnen wirklich geht und oft scheint es sich um Nichtigkeiten zu handeln. Am wenigstens ist es oft den Streitenden selber klar.

Worum geht es wirklich? Manchmal mag es um Recht haben wollen und um Macht gehen; oft um sexuelle Unzufriedenheit; öfters aber um die Angst, zu wenig wahrgenommen und geliebt zu werden. Und das sind meist tief verankerte uralte Ängste, die rational kaum auflösbar sind, sondern nur durch neue Vertrauenserfahrungen.

Paartherapeutischer Fundus reicht oft nicht aus

Ich stellte fest, dass mein Fundus an paartherapeutischem Wissen und Können nicht immer ausreichte, den Streiteifer (oder besser Streitzwang?) der Paare zu unterbrechen.

Nach einer offensichtlich unveränderbaren Streitstunde vor einigen Jahren sagte ich zu dem Paar, das mit Empfehlungen zu mir geschickt worden war, wie anstrengend ich die Stunde erlebt hätte. Ich würde mir überlegen, ob ich eine Arbeit mit ihnen übernehmen würde - und sie mögen es sich ebenfalls überlegen.

Ich hatte keine Bereitschaft mehr, zu solch frustrierenden Paarbegleitungen. Ich war mehrere Tage sehr ratlos. Wie kann es weitergehen, wenn ich doch spüre, dass da noch Zuneigung ist, ohne die ein solches „Streitpaar“ ja gar nicht bei mir wäre?

Eine Methode aus der Gestalttherapie

Meine Ratlosigkeit machte mich erfinderisch. Die beiden Menschen können nicht fair miteinander sprechen – ergo: brauchen sie es bei mir auch nicht lernen! Ich biete ihnen etwas ganz anderes an.

Ich erinnerte mich an meine Ausbildungszeit als Gestalttherapeut, in welcher unsere Lehrer mit uns vorwiegend Einzelarbeit in der Gruppe machten. Das Paar ist ja mit n=2 die kleinste Gruppe.

Einzeltherapie in der Zweiergruppe

So bot ich damals zum ersten Mal einem Paar folgendes an: Ich bin gerne bereit, mit Ihnen zu arbeiten, jedoch unter Bedingungen: Sie kommen weiterhin als Paar zu mir, aber Sie werden nicht als Paar mit mir arbeiten, sondern jeder einzelne kann mit mir in Anwesenheit des anderen an seinen ganz eigenen Themen arbeiten. Es können paarbezogene Themen sein, müssen es aber nicht. Es kann um Themen von Erziehung, Beruf, Lebensperspektive, um Sinnfragen und um manches andere gehen. Die jeweils zuhörende andere Person darf sich dabei nicht (fragend, korrigierend, berührt etc.) einmischen - bis auf ein kurzes Feedback zum Schluss. Dann kommt der Andere dran. Sie sind nicht gezwungen, eigene Fragen zu bearbeiten, aber eine bessere Gelegenheit, von Ihrem Partner (und auch von Ihnen selber) kennen gelernt zu werden, finden Sie wohl nicht. - Am nächsten Tag erhielt ich ihre zu meiner Überraschung gleichlautende Zusage und wir machten Termine aus.

Ein Beispiel aus der konkreten Arbeit

Um dir zu verdeutlichen, wie die Methode in der Praxis aussehen kann, möchte ich dir beispielhaft von Anke und Paul erzählen.

Nachdem zu Beginn der Stunde eine Weile Stille geherrscht hatte, meldet sich Anke mit einem Problem, welches sie mit ihrem heranwachsenden Sohn hat. Mir ist wichtig, möglichst während der ganzen Stunde die anfängliche Haltung der Stille zu bewahren und – auch als Modell – ruhig zuzuhören und ruhig nachzufragen. Fast wie zu erwarten will sich Paul anfangs das eine oder andere Mal einmischen, was ich freundlich aber bestimmt zurück weise: „Paul, nehmen Sie Ihre innere Reaktion wahr und ernst. Es ist jetzt aber nicht Ihre Zeit zu sprechen.“ Das kann er annehmen.

Anke berichtet von häufigem Streit mit dem Sohn Peter, der 16 Jahre alt ist und dessen Freunde ihr nicht gefallen. Ich lasse sie sich mit Peter identifizieren und sie kann so nachvollziehen, wie einengend und bevormundend er sich durch sie als Mutter fühlen muss. Da kommen Erinnerungen hoch, wie sehr sie sich von frühester Kindheit an durch ihre eigene besorgte Mutter eingeengt und von allen Spielkameraden abgeschnitten gefühlt hat. Sie wird traurig und auch wütend auf ihre Mutter. Sie erkennt dann ihren Neid auf Peter, der sich die Freiheiten einfach nimmt, die ihr versagt gewesen sind.

Ich beobachte bei Paul feuchte Augen und eine große Betroffenheit. In der Feedbackrunde platzt es aus ihm heraus, wie sehr ihn diese frühe Einengung berührt hat, von der sie ihm noch nie erzählt hätte. Und er ahnt, weshalb sie jedes Mal so zickig reagiert, wenn er ihr Vorschriften machen will.

Rückmeldephasen nach der Einzelarbeit

Nach der Einzelarbeit können beide Partner – wie auch in dem Beispiel - mitteilen, wie sie es erlebt haben (sharing), und die zuhörende Person kann Beobachtungen mitteilen (feedback). Oft kommen die Partner zu einem neuen Verständnis füreinander („Das habe ich ja gar nicht gewusst!“, „So hast du es mir noch nie erzählt.“). Ein Gespräch ergibt sich daraus nicht. Ein einfaches „Danke“ genügt.

Das ist der Sinn meines Vorgehens: Keine Analysen, kein Kommunikationstraining. Stattdessen Gelegenheiten schaffen, sich und den Partner auf einer tieferen Ebene besser kennenzulernen. Allein daraus kann Respekt und ein achtsameres Umgehen miteinander erwachsen.

Rahmenbedingungen und die Aufgabe des Therapeuten

Die Methode der achtsamen Einzelarbeit in der 2er-Gruppe ist eine intensive Selbsterfahrung. Entscheidend ist die Atmosphäre von Ruhe, Langsamkeit und Achtsamkeit bei der Arbeit. Sie ermöglicht es, sich auf schwierige Themen einzulassen ohne Angst vor dem Partner und vor eigenen inneren Verurteilungen.

Die Aufgabe des Therapeuten ist es dabei, für eine Stimmung der Achtsamkeit fernab von Small Talk zu sorgen und dennoch Raum für Humor und Heiterkeit zu lassen. Diese Stimmung der Achtsamkeit verlangt Zeit und ist wesentlich für neues Erleben im beschriebenen getrennten Zweiersetting.

Auch für die Einhaltung der Spielregel, also die absolute Nichteinmischung der gerade zuhörenden Person, zu sorgen, ist Aufgabe des Therapeuten. Die zuhörende Person wird angeregt, ihren Einmischungsimpuls mit Interesse zur Kenntnis zu nehmen. Das wird vermutlich öfter geschehen.

Langzeitwirkungen

Dieses geschilderte Verfahren bei im Streiten verstrickten aber motivierten Paaren habe ich in der Folge wiederholt angewandt, stets mit der Wirkung größerer Gelassenheit und Bereitschaft, sich gegenseitig in der Andersartigkeit zu lassen.

Noch bestätigender war für mich mein Nachfragen nach längerer Zeit, teils nach mehreren Jahren: Wie geht es heute? Gab es nachhaltige Langzeitwirkungen? Was hat sich bewährt? Was wurde vergessen? Aus den Rückmeldungen konnte ich entnehmen, dass meine Arbeitsweise bewirkt hatte, dass Paare voreinander wieder mehr Wünsche, Bedürfnisse, Meinungen usw. äußern konnten, ohne dass der andere geradezu rituell „dazwischen grätschte“. Auch erlebten die Paare die Möglichkeit, den Partner auf andere Weise kennen zu lernen und entwickelten so wieder mehr Respekt voreinander. Die Methode und ihre Rahmenbedingungen ermöglichte ihnen viel Raum für eigene Themen und gleichzeitig Schutz.