Ein Pferd als Therapeut - Der vielfältige Einsatz therapeutischen Reitens
Der gesundheitsfördernde Effekt des Reitens ist bereits seit der Antike bekannt. Wem es hilft und wo man qualifizierte Therapeuten findet. Ein Überblick über die wichtigsten Fakten zum therapeutischen Reiten.
Der 9jährige Max hat normalerweise Schwierigkeiten, mit anderen Menschen in Kontakt zu gehen. Oft ist er körperlich sehr angespannt und hat einen hohen Bewegungsdrang. Auch fallen ihm immer wieder neue Ideen ein, denen er sofort nachgehen möchte. Andere Kinder fühlen sich von Max oft überrumpelt. Aber auch Gesprächssituationen mit Erwachsenen sind oft unmöglich.
Doch dann lernt Max Fidelis kennen, ein Pferd. Und Max lernt durch Unterstützung des Reittherapeuten, wie er mit Fidelis in Kontakt gehen kann: ihn füttern, striegeln und auch reiten. Fidelis ist geduldig. Max merkt, dass er ruhig und bestimmt auf Fidelis zugehen muss, damit sich Fidelis auf ihn einlassen kann. Eine Beziehungserfahrung, die neu für Max ist – und ein großer Erfolg!
Eine Therapieform mit viel Historie und vielen Namen
Der gesundheitsfördernde Wert des Reitens war bereits in der Antike bekannt. In den 1950er Jahren wurde das Reiten als Therapieform „wiederentdeckt“ und seitdem stetig weiterentwickelt. Durch unterschiedliche Grundberufe entstanden verschiedene Sparten pferdgestützter Intervention. Genauso unterschiedlich sind die Begrifflichkeiten: Reittherapie, (psycho-) therapeutisches Reiten, heilpädagogisches Reiten, heilpädagogisches Voltigieren und Coaching mit dem Medium Pferd – um nur einige zu nennen.
Oftmals fällt es leichter, mit Pferden in Kontakt zu treten als dies im zwischenmenschlichen Therapiekontakt möglich wäre.
Soziale Beziehungen gestalten lernen
Pferde sind sanft und freundlich. Ihre Größe verleiht ihnen aber zugleich Autorität, die einen angemessenen und respektvollen Umgang erfordert. Wer ein Pferd zum Mitmachen veranlassen will, muss sowohl das Vertrauen als auch den Respekt eines Pferdes gewinnen. Dazu muss man lernen, die eigenen Wünsche klar und verständlich auszudrücken, die Grenzen des Pferdes zu erkennen und zu akzeptieren, aber auch die eigenen Grenzen wahrzunehmen und angemessen umzusetzen.
Oftmals fällt es leichter, mit Pferden in Kontakt zu treten als dies im zwischenmenschlichen Therapiekontakt möglich wäre. Pferde bieten so die Chance, neue und positivere soziale Beziehungen zu erleben und soziale Kompetenzen aufzubauen. Noch dazu werden durch das Reiten alle Sinne angesprochen und heilende Selbst- und Körpererfahrungen möglich gemacht.
Wiederkehrende Rituale
Wie eine Therapiestunde abläuft, richtet sich nach den Therapiezielen (z.B. soziale Kompetenzen erlernen, Impulssteuerung, Entspannung finden). Wiederkehrende Rituale wie die Begrüßung des Pferdes, Putzen und Striegeln, Vorbereiten des Reitens und das Reiten selbst können Bestandteile sein. Durch das Putzen und Vorbereiten des Pferdes werden Berührungsängste abgebaut und Kontakt mit dem Pferd hergestellt. Der Patient lernt, sich auf die Bedürfnisse des Pferdes einzustellen und wiederkehrende Abläufe durchzuführen. Das Reiten selbst kann geführt oder frei, auf dem Reitplatz oder im Gelände stattfinden. So werden Vertrauen und Selbstwirksamkeit gestärkt, aber auch die Körperwahrnehmung und Motorik.
Wann eine Reittherapie hilfreich ist
Die Einsetzbarkeit von Reittherapie ist vielfältig. Zur Anbahnung einer therapeutischen Beziehung kann sie zum Beispiel helfen bei Menschen, die sich nur schwer auf eine Therapie einlassen können, Berührungsängste haben (z.B. bei einer autistischen Störung) oder therapiemüde sind. Bei Störungen der Impulskontrolle (z.B. bei einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) kann das Pferd unterstützend beim Erlernen einer besseren Selbstkontrolle eingesetzt werden, u.a. durch das Einüben wiederkehrender Abläufe, aber auch durch Entspannungsphasen auf dem Pferd. Menschen mit einem gestörten Körperselbstbild (z.B. bei Essstörungen) haben die Chance, sich über die körpersprachliche Kommunikation mit den Pferden mit ihrem Körper einmal ganz anders auseinanderzusetzen, als nur ihrem Körperideal zu entsprechen. Insgesamt können psychiatrisch erkrankte Menschen mit dem Pferd die Erfahrung machen, dass sie die „Zügel ihres Lebens“ auch mal wieder in die eigene Hand nehmen können.
Pferde geben ihrem Gegenüber ein unvoreingenommenes Feedback über dessen Wirkungsweise.
Auch Erwachsene können profitieren
Wahrscheinlich kannst du dir jetzt schon vorstellen, dass die Reittherapie bei Kindern sehr gut wirkt. Die körpersprachliche Kommunikation und Interaktion mit dem Pferd ermöglicht es, erlebniszentriert zu arbeiten. So können Kinder ganz konkrete, neue, Erfahrungen machen. Für viele Kinder stellt das Pferd eine ungeheure Motivation zur Veränderung dar. Da der Wunsch, ein Miteinander mit dem Pferd zu erleben, groß ist, können von ihm Rückmeldungen angenommen werden.
Aber die Reittherapie ist natürlich nicht nur auf die Therapie von Kindern und Jugendlichen beschränkt. Auch für Erwachsenen rückt im Umgang mit dem Pferd die Bedeutung der Sprache in den Hintergrund. Pferde kommunizieren über feine Körpersignale und sind daher in der Lage, bei ihrem Gegenüber feine Körpersignale zu „lesen“, zu „spiegeln“. Pferde geben daher ihrem Gegenüber ein unvoreingenommenes Feedback über dessen Wirkungsweise. Mit Erwachsenen kann, neben der Reiterfahrung an sich, auch sprachlich gut über Erlebtes reflektiert werden. Die Arbeit mit der Pferdeherde bietet zum Beispiel Projektions- und Identifikationsmöglichkeiten, die dem Therapeuten wichtige diagnostische Informationen bereitstellen und dem Patienten zur Selbsterkenntnis verhelfen können.
Einen qualifizierten Reittherapeuten finden
Die therapeutische Arbeit mit dem Pferd hat in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erfahren. Der Beruf ist jedoch nicht gesetzlich geschützt. Einen einheitlichen Standard hinter der Bezeichnung gibt es also nicht. Wer sich nach einem reittherapeutischen Angebot erkundigt, sollte daher genau hinschauen. Für die qualifizierte therapeutische Arbeit mit dem Pferd sollte eine fundierte Ausbildung im pädagogischen, therapeutischen oder medizinischen Bereich Voraussetzung sein. Dazu sollten eine Reittherapieausbildung sowie Wissen und Können rund ums Pferd vorliegen, - wobei es auch hier keine einheitliche Ausbildung gibt. Seit einigen Jahren gibt es den Berufsverband für Fachkräfte Pferdegestützter Interventionen (www.berufsverband-pi.de), auf dessen Homepage man auch Therapeuten suchen kann.
Kosten müssen selbst übernommen werden
Reittherapeutische Angebote müssen meist selbst bezahlt werden. Für Kinder kann die Finanzierung über das Jugendamt versucht werden. Hierzu sollte man sich an das zuständige Jugendamt im Bezirk wenden. Eine Finanzierung über die gesetzlichen Krankenkassen ist leider nicht möglich, in privaten Krankenkassen hingegen kann eine Beantragung versucht werden. Neuerdings ist es Erwachsenen gelungen, eine Finanzierung über das sogenannte Persönliche Budget zu bekommen. In der Regel ist hierfür das Sozialamt Ansprechpartner.
Reittherapeut werden
Vielleicht hast du beim Lesen dieses Artikels nicht nur darüber nachgedacht, für welche deiner Patienten eine Reittherapie sinnvoll sein könnte, sondern auch, ob du dich nicht selbst reittherapeutisch weiter qualifizieren möchtest.
Wenn du dich für eine Ausbildung in diesem Bereich interessierst, kannst du zwischen verschiedenen Ausbildungsstätten wählen, die bezüglich Voraussetzungen und inhaltlichen Schwerpunkten sehr variieren. Grundvoraussetzungen sind in der Regel, wie oben beschrieben, eine fundierte Ausbildung im pädagogischen, therapeutischen oder medizinischen Bereich sowie Wissen und Können rund ums Pferd. Die Aus- bzw. Weiterbildungen laufen über Wochenendseminare und je nach eigenen zeitlichen Möglichkeiten über ein bis mehrere Jahre. Die Kosten liegen zwischen 3000 und 5000 Euro. Eine Übersicht über zertifizierte Ausbildungsinstitute findest du auf der Homepage des Berufsverbandes für Fachkräfte Pferdegestützer Interventionen (www.berufsverband-pi.de).