Impostor-Syndrom: Kompetente Psychologin… oder doch nur Hochstaplerin?

Eine junge Frau, die sich eine weiße Theatermaske so vor ihr Gesicht hält, dass sie sie anschaut.

„Wann merken alle, dass ich nicht kompetent bin? Wenn ich wirklich kompetent wäre, dann hätten alle meine Kund:innen immer perfekte Ergebnisse und würden permanent Freudensprünge machen!“ Willkommen in meinem Kopf! So sah es da noch vor ein paar Jahren aus. In meiner Arbeit als Coachin hat mir das Impostor-Syndrom früher das Leben schwer gemacht.

Das erste Mal aufgetaucht ist das Impostor-Syndrom mit Beginn meines Psychologiestudiums. Ich habe nur darauf gewartet, dass eine meiner Dozentinnen auf mich zukommt und mir sagt: „Laura, wie sind Sie auf die absurde Idee gekommen, Psychologin zu werden? Da haben Sie sich komplett überschätzt.“

Heute weiß ich: das habe ich nicht. Im Gegenteil, ich habe mich lange Zeit unterschätzt. Bin ich jetzt völlig ohne Zweifel? Nein. Ab und zu tauchen noch Selbstzweifel auf, aber in eher homöopathischen Dosen - und das ist nicht weiter schlimm, denn ich weiß, was zu tun ist.

Jetzt fragst du dich vielleicht, ob dich das Impostor-Syndrom betrifft? Das klären wir direkt!

 

Die Anzeichen für das Impostor-Syndrom

  • Du wirkst auf andere selbstsicher, aber innerlich fühlst du dich nicht so. Du hast das Gefühl zu schauspielern und eine Mogelpackung zu sein.
  • Obwohl du bereits Berufserfahrung hast, positive Rückmeldungen bekommst und schon einiges erreicht hast, hast du weiterhin Angst, nicht gut genug zu sein und aufzufliegen.
  • Es fällt dir schwer, die positiven Rückmeldungen deiner Klient:innen anzunehmen. Du denkst beispielsweise „Das wäre noch besser gegangen“,  „Mein Kunde täuscht sich, wenn er denkt, dass das gut war“ oder „Der ist nur zu höflich, um mir etwas Kritisches zu sagen.“
  • Wenn ein:e Klient:in sich zurückhaltend verhält, dann denkst du direkt, dass er oder sie total unzufrieden mit der Zusammenarbeit ist und dass du nicht gut genug warst.
  • Wenn ein:e Klient:in nicht vorwärtskommt, denkst du, dass du schuld daran bist.
  • Du hast Angst, dass deine Kund:innen unzufrieden sind und dich schlecht bewerten werden, wenn du weniger als 120 Prozent gibst.
  • Du schiebst die Vorbereitung eines Workshops, die Erstellung eines Fachartikels  oder ähnliches auf - oder bereitest es exzessiv vor. Wenn es gut ankommt, denkst du entweder, dass es deiner harten Arbeit geschuldet ist, oder schreibst es dem Glück und dem Zufall zu.
  • Du siehst deine Branchenkolleg:innen und denkst: „Die sind alle schneller, besser und erfolgreicher als ich. Bei denen wären meine Klient:innen besser aufgehoben.“

Falls du dich in einzelnen Punkten oder allen wieder erkennst, ist es mir sehr wichtig zu betonen, dass du völlig ok und damit nicht alleine bist. Ich kenne viele Ärzt:innen, Jurist:innen, Webdesigner:innen, Wirtschaftsingenieure usw., die ebenfalls davon betroffen waren. Merke dir: Du bist ein feiner, kompetenter Mensch. Es ist einfach ‚nur‘ das Impostor-Syndrom, das deine Sicht auf dich und deine Leistung verzerrt. Die gute Nachricht ist, du musst dich nicht damit abfinden. Lass uns also darüber sprechen, was du unternehmen kannst, wenn es dich betrifft.

 

Anforderungen auf ein realistisches Maß runterschrauben

Wenn deine Messlatte zu hoch ist, kannst du dich noch so sehr anstrengen: du wirst scheitern. Deshalb ist das Ziel nicht, dass du dich noch mehr streckst, sondern einen ehrlichen Blick auf deine Messlatte wirfst und sie auf eine realistische Höhe einstellst.

Eine Person hält ein Maßband in den Händen.

Erinnerst du dich an meine einleitenden Worte, an die Messlatte, die ich mir gesetzt hatte? „Wenn ich wirklich kompetent wäre, dann hätten doch immer alle meine Kund:innen perfekte Ergebnisse und würden Freudensprünge machen? Das ist eine unrealistische Anforderung, denn du kannst einen super Job und alles richtig machen, aber es gibt Außenfaktoren, auf die du keinen Einfluss hast. Und es gibt auch Kund:innen, die sich leise freuen.

Wie kommst du jetzt deinen überhöhten Anforderungen auf die Schliche? Im ersten Schritt musst du sie dir bewusst machen! Nutze diesen Satz: „Wenn ich wirklich kompetent/gut genug wäre, dann…“ Welche Anforderungen kommen da ans Licht? Welche lösen Druck aus?

Praktischerweise schreibe ich hier für andere Expert:innen im Bereich Therapie, Beratung, Coaching, daher nutze dein Handwerkszeug und hinterfrage diese Anforderungen. Und dennoch: auch, wenn du das Handwerkszeug mitbringst, Selbst-Coaching hat seine Grenzen. Scheue dich also nicht, dir jemanden zur Unterstützung zu suchen. Das ist kein Versagen, wie dir dein Impostor-Syndrom jetzt vermutlich einreden will: „Wenn ich wirklich kompetent wäre, dann würde ich das alleine schaffen.“ Nein. Jeder braucht einmal Hilfe. Jeder hat Blindspots. Ich habe mir auch eine Coachin geholt, weil es Punkte gab, an denen ich nicht alleine weiterkam. Das ist okay, normal und macht aus dir keine:n schlechte:n Coach:in, Berater:in oder Therapeut:in. Im Gegenteil.

 

Lobe dich selbst und nimm das Lob deiner Klient:innen an

Ich kann mir gut vorstellen, dass du aktuell noch selbst dein:e größte Kritiker:in bist. Vielleicht fällt dir nichts Lobenswertes auf oder du hast Angst, arrogant zu werden. Aber dich selbst zu loben und anzuerkennen ist ein wichtiger Schritt, um dein Impostor-Syndrom zu bändigen. Nimm dir daher am Ende deines Arbeitstages 5 Minuten Zeit und frage dich:

  • Was ist mir heute gut gelungen?
  • Was habe ich hingekriegt?
  • Wie habe ich mit meinen Fähigkeiten zu dem Ergebnis beigetragen?

Wenn du unsicher bist, ob du es aufschreiben sollst, weil dir dein Kopf erzählt, dass das noch besser gegangen wäre: schreibe es auf. „Lieber ein Lob zu viel als eines zu wenig“, sollte dein neues Motto werden. Außerdem, selbst wenn etwas noch besser ginge, heißt es nicht, dass deine aktuelle Leistung schlecht ist. Wenn es dir trotzdem schwerfällt, dann wechsele die Perspektive: Wenn es um deine beste Freundin ginge oder deinen liebsten Mitarbeiter, wofür würdest du sie bzw. ihn dann loben? Und dann schreib es auf.

Übe außerdem auch das Lob deiner Klient:innen anzunehmen. Statt es zu relativieren, sagst du „Danke, das freut mich wirklich sehr.“

Eine junge Frau sitzt vor einem Spiegel und lächelt sich freundlich an.

Zweifel deine Zweifel an

Wenn dein Kopf das Lob zunichtemachen möchte und du denkst: „Das sagt die nur aus Höflichkeit“, dann mache einen Faktencheck: Was spricht dagegen, dass sie es nur aus Höflichkeit sagt? Welche Beweise gibt es wirklich? Eine Situation, die mir Kund:innen im Coaching immer wieder schildern, ist folgende: „Ich habe meinen Kunden um ein Testimonial gebeten. Nun ist eine Woche vergangen und ich habe nichts mehr von meinem Kunden gehört. Bestimmt ist er total unzufrieden mit der Zusammenarbeit und hat es deshalb nicht erstellt.“ (Anmerkung: Testimonials sind Stimmen und Rückmeldungen, die man mit Einverständnis der Kunden:innen auf der Website verwendet).

Ganz klassisch für das Impostor-Syndrom ist es, dass durchschnittliche Leistungen und neutrale Situationen negativ interpretiert und als Beweis gewertet werden, versagt zu haben. Hier gilt: Zweifel deine Zweifel an. Welche Beweise gibt es, die gegen deine Zweifel sprechen? Welche andere Erklärung gibt es für die Situation?

Ich kann es nicht oft genug sagen: Du bist bestimmt eine Top-Wahl für deine Klient:innen und machst einen super Job. Es geht nicht darum, dass du dich weiter optimieren musst, sondern darum, den Blick auf dich und deine Arbeit zu verändern. Mit dir stimmt alles. Das sind doch wirklich gute Nachrichten.

 

Zum Weiterlesen:

Laura Kellermann (2021). Das Federleicht-Prinzip: Das Geheimnis der entspannten Karriere. Frankfurt am Main: Campus Verlag.