Den Erfolg nicht wert? So begegnest du dem Impostor-Syndrom
Erfolgreich und trotzdem das Gefühl, nicht gut genug zu sein? Wenn deine Klient:innen so etwas berichten, haben sie vielleicht das Impostor-Syndrom. Betroffene fühlen sich als Hochstapler:innen oder denken, Erfolge nicht verdient zu haben. Mit den folgenden 5 Tipps stärkst du deine Klient:innen und hilfst ihnen, sich von perfektionistischen Ansprüchen zu befreien.
Sonja* arbeitet seit kurzem in einem neuen Unternehmen. Erste Projekte konnte sie erfolgreich abwickeln, ihre Chefin lobt sie regelmäßig. Dennoch wird Sonja das Gefühl nicht los, dass dieser Job eine Nummer zu groß für sie ist. Für sie ist es nur eine Frage der Zeit, bis ihre Chefin erkennt, wie unfähig sie ist. Felix* wurde gerade als einer von 30 unter 200 Bewerber:innen für einen Studiengang ausgewählt. Felix könnte stolz sein. Aber: Felix ist sich sicher: „Hier liegt ein Fehler vor!“ Irgendetwas muss beim Bewerbungsverfahren vertauscht worden sein.
Was Menschen mit Impostor-Syndrom ausmacht
Menschen wie Sonja und Felix kennzeichnen sich dadurch, dass sie in ihren Betätigungsfeldern sehr erfolgreich sind, jedoch eigene Erfolge nicht auf ihre Fähigkeiten, sondern v. a. auf glückliche Umstände, Zufall oder auch eigene übermäßige Anstrengungen zurückführen. Egal wieviel Bestätigung sie erhalten, sie können diese nicht als Beweis für ihre Fähigkeiten wahrnehmen. Im Gegenteil fühlen sie sich wie „Hochstapler:innen“ und haben Angst, bei jeder nächsten Gelegenheit enttarnt zu werden. Sie leiden am sogenannten „Hochstapler-“ bzw. „Impostor-Phänomen“.
Wer so wie Sonja und Felix durchs Leben geht, leidet nicht selten auch unter depressiver Stimmung und Ängstlichkeit. Leistungsherausforderungen bringen bei Menschen mit Impostor-Syndrom regelmäßig Versagensängste und in Folge wenig hilfreiche Verhaltensweisen mit sich: Während sich manche exzessiv vorbereiten und dabei selbst verausgaben, tendieren andere dazu, schwierige Aufgaben aufzuschieben oder ganz zu vermeiden.
Genährt werden die Versagensängste häufig durch perfektionistische Selbstansprüche und bei manchen auch dem Wunsch, der/die Beste zu sein. Gleichzeitig sind viele Menschen mit Impostor-Syndrom davon überzeugt, dass Erfolge mit wenig Aufwand und am besten ohne äußere Hilfe erzielt werden sollten. Stellen sich Erfolge schließlich ein, währt die Freude oft nur kurz: Andere könnten angesichts des Erfolgs nun sogar noch mehr erwarten. Und so schließt sich der Kreis zu neuerlichen Versagensängsten.
Impostor-Gefühle machen auch vor Behandelnden nicht halt
Selbstzweifel sind auch unter Therapeut:innen und Coach:innen nicht selten. Auch manche:r sehr gut ausgebildete:r Kolleg:in kennt Gedanken wie: „Was, wenn mein:e Klient:in bemerkt, wie wenig ich zu dem Thema weiß?“ oder „Jemand anderer könnte meinem/meiner Klient:in vermutlich besser helfen.“ Vor allem wenn wir uns neuen Aufgaben stellen – wie eine neue Stelle anzutreten oder die erste eigene Praxis zu eröffnen – sind wir anfällig für solcherlei Gedanken. In eine Rolle erst hineinwachsen zu müssen, ist Teil eines normalen Entwicklungsprozesses. Was wir hier brauchen, sind Vertrauen und Geduld mit uns selbst. Für Menschen mit Impostor-Syndrom gilt es zudem ganz besonders, auch darauf zu fokussieren, was an Fähigkeiten jetzt schon da ist und somit erlaubt, aktuelle Rollen zu leben.
Woher das Gefühl, nie genug zu sein, rührt
Neben den beschriebenen Denkmustern können auch verschiedene Familiendynamiken zur Entwicklung von Impostor-Gefühlen beitragen. Häufig mussten sich Menschen mit Impostor-Syndrom in ihrer Kindheit und Jugend in Rollen einfügen, die überfordernd waren. Felix etwa wuchs alleine mit seinem psychisch kranken Vater auf. Schon früh musste er Behördengänge für seinen Vater erledigen und sich um den Haushalt kümmern. Zu Elternsprechtagen ging er ab seiner Jugend alleine. Hier hat eine Rollenumkehr zwischen Elternteil und Kind stattgefunden. Felix war von Parentifizierung betroffen.
Andere Menschen wiederum fielen ihren Eltern schon als Kind als besonders intelligent auf. Man sprach ihnen besondere Fähigkeiten zu und vermittelte ihnen, dass sie jede Herausforderung mühelos meistern können. Der Satz „Wir haben nichts anderes erwartet, als dass du mit einer Eins nach Hause kommst“, ist ihnen nur allzu bekannt.
Niemand kann Rollenerwartungen, die dem Entwicklungsalter nicht entsprechen, oder übertriebenen Leistungserwartungen dauerhaft gerecht werden. So kommt es zu einem Gefühl der Überforderung und Zweifeln an den eigenen Fähigkeiten. Dazu gesellt sich die Angst, Eltern oder andere wichtige Bezugspersonen zu enttäuschen, sowie der Versuch, die eigenen Unsicherheiten zu verbergen.
Impostor-Gefühle haben auch mit sozialer Herkunft zu tun
Einen Einfluss auf das Selbstbild und mögliche Impostor-Gefühle hat auch die soziale Herkunft. Sonja hat als erste in ihrer Familie studiert. Wie viele „first generation students“ hatte sie Zweifel, an der Universität richtig zu sein. Ihre Kolleg:innen schienen mit der Lektüre von Foucault bereits bestens vertraut. Währenddessen versuchte Sonja mühsam, sich die Sprache der Professor:innen zu eigen zu machen und sich in der Bürokratie der Universität zurecht zu finden. Selbst als Sonja mit Bestnoten abschloss, blieb das leise Gefühl „Ich bin noch nicht gut genug. Und vielleicht wird es auch nie ganz reichen.“
Impostor-Gefühle und Versagensängste treten jedoch auch bei Menschen mit anderen sozialen Ausgangsbedingungen auf. Wenn etwa der Vater Richter und die Mutter Chirurgin sind, erscheinen die Fußstapfen, in die es zu treten gilt, mitunter unerreichbar groß.
Wie du Klient:innen mit Impostor-Syndrom stärken kannst
- Unterstütze deine Klient:innen dabei, ihren Blick für eigene Stärken und Erfolge zu schärfen. Hilfreich ist hier z. B. ein Tagebuch, in dem täglich auch kleinste Erfolge festgehalten werden. Ein Hindernis kann sich auftun, wenn Menschen befürchten, eingebildet zu sein, wenn sie sich auf ihre Stärken fokussieren. Hilf deinen Klient:innen, solche Bedenken auszuräumen: Die eigenen Stärken zu kennen und zu schätzen ist Ausdruck von guter Selbstkenntnis und Selbstvertrauen und hat mit Überheblichkeit wenig zu tun.
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Arbeite mit deinen Klient:innen an ihren perfektionistischen Selbstansprüchen und setze dich mit ihren inneren Kritikern auseinander. Erkenne den Grund für perfektionistische Verhaltensweisen (wie z. B. „Ich habe Angst bloßgestellt zu werden“, „Ich möchte auf keinen Fall so werden, wie meine Mutter“) und arbeite mit deinem/deiner Klient:in an einer wohlwollenderen inneren Stimme.
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Mach dich auf die Spur nach möglichen biografischen Wurzeln für die Impostor-Gefühle deiner Klient:innen. Wer weiß, woher die eigenen Muster rühren, dem fällt es leichter, sich von diesen zu distanzieren. Arbeite zudem heraus, was die aktuelle Situation deines/deiner Klient:in als Erwachsene:r von der damaligen Situation als Kind unterscheidet und alte Denk- und Handlungsmuster deshalb heute als überholt erscheinen lässt.
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Ermutige deine Klient:innen mit Vertrauenspersonen in Austausch über ihre Versagensängste zu gehen. Wer über eigene Unsicherheiten spricht, bemerkt so vielleicht, dass auch andere ähnliche Gefühle kennen, und fühlt sich weniger isoliert. Und vielleicht ergeben sich im Gespräch auch schöne Rückmeldungen darüber, was andere an deinem/deiner Klient:in schätzen.
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Arbeite mit deinen Klient:innen am Abbau hinderlicher Verhaltensmuster. Wer prokrastiniert, sollte anstehende Aufgaben in kleine, realistische Teilschritte aufteilen, diese möglichst genau planen und sich für deren Erledigung belohnen. Klient:innen, die zur exzessiven Vorbereitung tendieren, solltest du hingegen zu mehr „Mut zur Lücke“ motivieren. In beiden Fällen können starke Ängste den Aufbau hilfreicheren Verhaltens blockieren. Strategien von Atementspannung bis hin zu Bewegung können hier hilfreich sein.
Was wir alle tun können
Impostor-Gefühle greifen vor allem dort um sich, wo Menschen Konkurrenzdruck und einen verurteilenden Umgang mit Fehlern erleben. Es liegt an Unternehmen und Bildungseinrichtungen, aber auch an jedem von uns, zu einem Umfeld beizutragen, in dem Unsicherheiten wohlwollend betrachtet werden können. Wir alle haben Stärken, wir alle haben Schwächen. Wir alle fühlen uns manchmal ungenügend, wir alle kennen Scham. Ein Gedanke, der vielleicht nicht nur für Menschen mit Impostor-Syndrom beruhigend sein kann.
*Sonja und Felix sind fiktive Personen
Zum Weiterlesen
Bravata et al. (2021). Prevalence, predictors, and treatment of imposter syndrome: a systematic review. J Gen Intern Med, 35(4) 1252-1275.
Feenstra et al. (2020). Contextualizing the Imposter “Syndrome”. Frontiers in Psychology. doi: 10.3389/fpsyg.2020.575024.
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