Was ist Yogatherapie? Ein Überblick

Yoga ist sehr beliebt und auch seine Wirksamkeit konnte mittlerweile in einigen Studien belegt werden. Kein Wunder also, dass auch die „kleine Schwester“ des klassischen Yoga, die Yogatherapie, immer mehr Aufmerksamkeit bekommt. Aber was ist eigentlich Yogatherapie?  Unsere Autorin und Yogatherapeutin Julia Cremasco gibt dir einen Einblick in den Inhalt, die Wirkung und die Ausbildung.

Im Deutschen Ärzteblatt wurde in den Jahren 2014 und 2016 über sie berichtet. Im Immanuel Krankenhaus in Berlin gehört sie in der Abteilung für Naturheilkunde mittlerweile zu den gängigen Methoden und Dr. Holger Cramer von der Universität Duisburg-Essen beschäftigt sich als Forschungsleiter in der Klinik für Naturheilkunde unter anderem mit der Wirksamkeit von Yoga bei Bluthochdruck. Yogatherapie gilt als komplementäre, also eine ergänzende Therapieform – und sie gewinnt zunehmend an Beachtung.

Wie wirkt Yogatherapie?

Yogatherapie setzt sich – wie das „klassische“ Yoga auch – individuell aus Körper-, Atem- und Mentalübungen zusammen. Der Ansatz ist dabei immer prozessorientiert und ganzheitlich zu verstehen. Wie reagiert das „Gesamtsystem Patient“ auf die Yogapraxis? Dabei können sowohl die Symptomlinderung als auch die Ursachenbekämpfung im Mittelpunkt der Therapie stehen. Die Wirkung ist jedoch nicht vergleichbar mit einer Tablette, welche ein bestimmtes Symptom zielgerichtet lindert. Eine bestimmte Körperübung ist nicht das Heilmittel für eine bestimmte Beschwerde. Dies entspräche dem mechanistischen Schubladendenken, bei dem der Mensch wie eine Maschine in seine Bestandteile zerlegt wird. Die Kausalkette „Mach dies und dann ist jenes anders“ greift in der Regel nicht in der Yogatherapie.

Wechselwirkung von Körper, Atem, Geist – und Überzeugung

Yogaübungen und somit auch der Einsatz von Yoga im therapeutischen Kontext wirken immer auf den Menschen als Ganzes, indirekt und hochgradig individuell. Das, was bei einem Patienten funktioniert hat, muss bei einem anderen nicht wirken. Im Idealfall werden in der Yogatherapie die unterschiedlichen Ebenen des Gesamtsystems „Mensch“ angesprochen: das Körperliche, das Atemsystem und das Seelische. Aus der Embodiment-Forschung (ein Kunstwort, das aus der Silbe „Em...“ für „Emotion“ und „Bodi...“ für Körper zusammengesetzt ist) wissen wir mittlerweile, dass diese Ebenen sich gegenseitig bedingen. Wir sind also mehr als die Einzelteile: ein emotionaler Zustand beeinflusst unsere Körperhaltung – und umgekehrt.

Teil einer Gesamttherapie

Für mich ist Yogatherapie Teil einer umfassenderen Therapie, denn die umfassende Kenntnis über den Patienten ist wichtig: Welche Persönlichkeit trägt der Patient in sich? Wie verläuft sein Leben? Welche Belastungen bestehen? Welche aktuellen Symptome bringt er mit? Ich habe auch einen Blick auf seine direkten Reaktionen auf die yogatherapeutische Arbeit: Wie nimmt der Patient eine Übung an? Welche Reaktion zeigt sich? Insbesondere sind hier natürlich auch eventuell auftretende Widerstände spannend. Aus diesem Dialog ergibt sich ein wirksames – eben ein prozessorientiertes – Wechselspiel zweier Experten: Patient und Therapeut.

Ziel sollte es sein, das Defizit im Leben des Patienten zu fokussieren und die Folge des Defizits auf Körper-, Atem- und/oder Mentalebene zu lokalisieren, um entstandene negative Automatismen Schritt für Schritt zu ersetzen. So können sich neue und positivere Muster entwickeln.

Durch die Yogapraxis sollte ein Wohlgefühl und ein Entspannungszustand beim Patienten angestrebt werden, aus dem heraus Entwicklung möglich wird.

Für wen eignet sich Yogatherapie?

Yogatherapie eignet sich grundsätzlich für jeden Patienten, der sich im besonderen Maß auf ein prozessorientiertes Vorgehen einlassen kann. Geduld und Neugierde gegenüber dem Unbekannten sind wichtig. Auch die Bereitschaft zum Spüren des eigenen Selbst sollte vorhanden sein. Der Patient ist idealerweise offen gegenüber der ganzheitlichen Idee. Schubladenartige Erwartungen im Sinne eines „einmal täglich Kopfstand und die Migräne ist weg“ können in der Regel nicht bedient werden.

Mir ist allerdings auch die Frage wichtig, für welchen Therapeuten sich diese Therapiemethode eignet. Aus meiner Sicht ist es auch mit Blick auf die Wirkung wichtig, Yoga als Lebensphilosophie zu sehen und in einem gewissen Umfang auch zu leben. Ich bin überzeugt davon, dass bei einem ausschließlich mechanischen Einsatz der Methode „Yogatherapie“ ein nicht unbeachtlicher Teil der Wirksamkeit ausbleibt.

Wie sieht eine typische Yogatherapiestunde aus?

Die eine typische Yogatherapiestunde existiert nicht. So individuell wie ein Mensch ist, so individuell ist der Verlauf der Therapie. Der Yogatherapeut vermeidet es möglichst ein Konzept nach Schema F aus der Schublade zu ziehen. Yogatherapie ist sehr häufig eingebettet in einen größeren therapeutischen Kontext. Ich beschreibe im Folgenden kurz zwei Beispiele aus meiner Praxis:

Person A, über 60 Jahre alt, kam mit einer Angststörung zu mir in die Praxis. Die Symptomatik äußerte sich sowohl körperlich als auch mental. Ein angstbedingter, unnatürlicher und ungesunder Atemrhythmus war permanent beobachtbar. Ab der ersten Therapiestunde praktizierte A Atemübungen als „Hausaufgabe“ daheim, um in einen gleichmäßigen und tiefen Atemrhythmus zurückzufinden. Zugleich erlernte A eine yogische Bewegungsübung, die diesen Prozess unterstützte. Flankiert wurde dies von Hypnotherapie in den Sitzungen und Introvisionsübungen, welche von der Person zuhause geübt wurden.

Person B kannte ich bereits aus einer psychotherapeutischen Begleitung aus den Vorjahren, in welcher wir eine Anpassungsstörung nach ihrer Scheidung bearbeitet hatten. Zirka drei Jahre später meldete sich B bei mir erneut auf Grund von Problemen in den Wechseljahren. Meine Kenntnis von B aus der vorherigen Behandlung war hilfreich. Ich wusste, dass B von der Persönlichkeitsstruktur her tendenziell unruhig, ungeduldig und leistungsorientiert war. Akut waren Hitzewallungen für B sehr belastend. Und so sind wir aufbauend auf der tendenziell unruhigen Gesamtstruktur yogatherapeutisch mit einer Bewegung-Atemkombination gestartet, um dem Körpersystem Gleichmäßigkeit und Rhythmus zu bieten - zwei Aspekte, die grundsätzlich in den Wechseljahren im Umbruch sind und die bei B sowieso aufgrund der Persönlichkeitsstruktur schnell im Defizit waren. Die Bewegungsübungen waren gezielt äußerst simpel, um jegliches Leistungsstreben zu verhindern. 

Wie kann man sich in dem Bereich weiterbilden?

Vielleicht bist du nun interessiert daran, Yogatherapie in deine Arbeit mit einfließen zu lassen und fragst dich, wie es mit Weiterbildungen aussieht? Nach heutigem Stand existieren keine Ausbildungsstandards in Yogatherapie. Die Deutsche Gesellschaft für Yogatherapie e.V. (DeGYT) erarbeitet Grundlagen für Ausbildungsschulen und engagiert sich dafür, dass der Beruf „Yogatherapeut“ staatliche Anerkennung erfährt.

Sehr streng genommen, kann momentan jeder, der nachgewiesenermaßen therapeutisch tätig sein darf, auch yogatherapeutisch aktiv sein, denn: Weder ist der Beruf des Yogalehrers geschützt, noch ist der Ausbildungsgang „Yogatherapeut“ klar organisiert. Die DeGYT betont, dass ein Yogalehrer jedoch mindestens 500 Ausbildungsstunden absolviert haben sollte, bevor er mit dem Gedanken spielt, sich yogatherapeutisch ausbilden zu lassen. Die Ausbildung in Yogatherapie nach den Vorstellungen der DeGYT umfasst dann ebenfalls 500 Ausbildungsstunden. Aus meiner Sicht solltest du in gewisser Weise das Yogaphilosophische und das Prozesshafte des Ansatzes durchdrungen haben, um es authentisch in eine yogatherapeutische Begleitung mit einfließen lassen zu können.

Fazit

Ich selbst erlebe Yogatherapie als ein wirksames, komplementäres Werkzeug. Es ist nicht so, dass ich die Methode täglich anwende, denn wie zuvor schon beschrieben, sollte diese Art des Vorgehens zum Patienten und seinen Symptomen passen. Dort, wo es in meiner Arbeit bisher zum Einsatz kam, waren die Resultate positiv und zielführend. Yogatherapie ist eine noch sehr junge Richtung, die wahrscheinlich mit den Jahren an Bedeutung gewinnen wird, da das therapeutische Denken sich mehr und mehr vom stark kategorisierenden Vorgehen löst und der ganzheitliche Ansatz stärker in den Fokus der Arbeit rückt.