Kinderwunsch zwischen Traum und Wirklichkeit – Psychosoziale Beratung zu einem komplexen Thema

Bleibt eine Schwangerschaft aus, nehmen viele Paare einen langen, oft schwierigen medizinischen Weg auf sich. Ein Weg, der mit vielen Entscheidungen und Belastungen einhergehen kann. Eine psychosoziale Beratung wird bislang nur von einem Bruchteil der Paare aufgesucht. Warum sie dennoch so wichtig ist und welche Rolle Berater haben.

Der Blick auf ungewollte Kinderlosigkeit hat sich im Verlauf von Jahrhunderten stark verändert. In der Bibel wurde diese noch als Strafe Gottes beschrieben (z.B. 1. Mose 20, 29 und 31). Und über Jahrhunderte galt eine Ehe ohne Kinder als etwas Unnatürliches, Abweichendes, für das die Schuld überwiegend der Frau gegeben wurde. Wusstest du, dass bis ins vorige Jahrhundert die Abwertung von Kinderlosigkeit noch sehr stark verbreitet war? Selbst die Vertreterinnen der ersten Frauenbewegung hielten an der Bestimmung der Frau als Mutter fest! Und heute? Dank der Reproduktionsmedizin müssen immer weniger Paare ungewollt kinderlos bleiben. Dennoch: Es gibt kein Menschenrecht auf ein eigenes Kind. Aber der Wunsch erscheint noch immer als das Natürlichste von der Welt, weshalb ihn kaum jemand infrage stellt.

Zuerst zum Arzt

Wohin gehen Heterosexuelle, die in einer glücklichen Beziehung leben, in der beide Partner ein Kind wollen, die regelmäßig ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, wenn eine Schwangerschaft aber nicht eintritt? Sie gehen zum Arzt. Wohin auch sonst; es ist schließlich in den meisten Fällen zunächst ein medizinisches Problem. Es folgt eine umfangreiche Diagnostik. Ist eine von mehreren möglichen Ursachen ermittelt, beginnt die Behandlung. Die Möglichkeiten medizinisch assistierter Fortpflanzung – von ICSI über IVF *) und Samenspende bis zur Eizellspende und Leihmutterschaft – sind größer geworden und mit ihnen die Entscheidungsspielräume. Je nach Veranlagung begeben sich Paare ganz in die Hände von Ärzten in Kinderwunschzentren, in spezialisierten Praxen oder beginnen zu recherchieren, welche Optionen sie haben, wie die Erfolgsaussichten sind und was sie die unter Umständen jahrelange Behandlung kosten wird.

Medizinische Beratung allein reicht nicht

Die meisten bleiben damit zunächst allein, denn ein unerfüllter Kinderwunsch ist kein Partythema. Es wird auch im Familienkreis häufig ausgeklammert, warten womöglich die Eltern beider Partner schon sehnsüchtig auf Enkelkinder. Allmählich werden die Paare zu Experten. Nur ein Bruchteil der betroffenen hetero- und homosexuellen Paare nimmt bisher eine psychosoziale Beratung in Anspruch. Das ist ein Fehler, wie die Sozialarbeiterin und Familientherapeutin Dr. Petra Thorn aus Erfahrung weiß. Eine Beratungspflicht lehnt sie dennoch ab. Vielmehr plädiert sie dafür, dass reproduktionsmedizinische Zentren und auf diesem Gebiet arbeitende Ärzte zu einer Kooperation mit Beratungseinrichtungen verpflichtet werden und alle Kinderwunsch-Patienten auf Beratungsmöglichkeiten hinweisen. Je eher diese in Anspruch genommen würden je besser, sagt sie. Über Adoption rede kaum jemand mehr, sobald er sich in die Hände der Reproduktionsmedizin begeben habe.

Es lohnt sich auch auszuloten, warum jemand unbedingt Mutter oder Vater werden will. Ist es die Vorstellung von einer „normalen Familie“, geht es darum, den Erwartungen anderer zu entsprechen oder ist da eine Leere, die nicht zwingend von einem Kind gefüllt werden muss? Vielleicht tut es auch ein neuer Job oder eine andere erfüllende Aufgabe. Ein psychologisches Coaching könnte da zielführend sein.

Belastungen zu Beginn der Behandlung

Für alle, die auf ein Kind unter keinen Umständen verzichten wollen, beginnt irgendwann die Behandlung. Ich erspare dir die detaillierte Beschreibung aller infrage kommenden Verfahren und konzentriere mich hier auf einen Fall. Linda und Peter hatten sich zunächst für eine Hormonbehandlung entschieden. Dass diese mit Geschlechtsverkehr auf Kommando verbunden sein würde, hatte man ihnen erklärt. Es schien ihnen unproblematisch, schließlich liebten sie sich. In der Realität belastete es die Beziehung und blieb auch nach wiederholten Versuchen ohne Erfolg. Größere Erfolgschancen versprach ihnen ihre Ärztin mit der In-vitro-Fertilisation (IVF). Nach drei zum Teil psychisch und physisch belastenden aber immerhin teilweise von der Krankenkasse bezahlten Versuchen mit IVF standen sie vor der Frage, ob sie nun komplett selbstfinanziert noch weitere Versuche mit völlig ungewissem Ausgang machen sollten oder – wenn man schon seine Ersparnisse für ein Kind zu opfern bereit ist – einen anderen, aussichtsreicheren, in Deutschland jedoch verbotenen Weg geht – den der Eizellspende. Zu dem Kummer über die Kinderlosigkeit kamen damit weitere Probleme auf Linda und Peter zu.

Finanzielle Belastungen

„Viele Paare sind sich am Anfang ja völlig einig über ihren Kinderwunsch“, so Dr. Petra Thorn. „Aber das kann sich ändern. Die physischen und psychischen Belastungen können bei einem der Partner dazu führen, dass er nicht mehr unter allen Umständen entschlossen ist die Behandlung fortzusetzen. Die Beratung kann helfen, darüber in einen vernünftigen Austausch zu kommen“, meint Thorn. Auch Geld könne ein Thema werden. Drei Versuche mit IVF werden bei gesetzlich Versicherten anteilig von der GKV übernommen. Dennoch bleiben immer noch zwischen 4.500 und 7.500 Euro für die Paare übrig. „Manche schaffen das aus eigener Kraft, manche bitten die Familie um Hilfe, aber für viele kommt das nicht in Frage. Nach mehreren erfolglosen Versuchen steht womöglich eine Kreditaufnahme zur Debatte. Da können Partner schon mal verschiedener Auffassung sein, denn anders als bei sonstigen Krediten ist überhaupt nicht sicher, ob das ersehnte Ergebnis am Ende steht.“ Nicht nur Psychologische Paartherapeuten und Finanzpsychologen wissen, dass solche Probleme eine Beziehung zerstören können.

Wenn es heikel wird

Linda und Peter brachen die IVF nach drei Versuchen ab. Sie entschieden sich für die in Deutschland verbotene, in mehreren europäischen Ländern aber erlaubte Eizellspende. Damit entstand neuer Beratungsbedarf: Wie und wann kann man das Kind darüber aufklären, wie es gezeugt wurde? Wird es je erfahren können, wer seine biologische Mutter ist? Welche Konsequenzen kann das Verfahren für die Bindung zwischen Mutter und Kind haben? Kenntnisse auf dem Gebiet der Entwicklungspsychologie wären da hilfreich und könnten den Betroffenen viele Ängste nehmen.

Was die heikle Beratung zu in Deutschland verbotenen Verfahren betrifft, betont Petra Thorn, die wie viele Ärzte und Wissenschaftler für ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz plädiert, den grundsätzlich ergebnisoffenen Beratungsprozess. „Als Fachkräfte fällen wir weder in der Psychotherapie noch in der Beratung Entscheidungen für Ratsuchende. Wichtig ist, dass sie umfassend aufgeklärt werden, damit sie selbst eine informierte Entscheidung treffen können. Dazu gehören z.B. Informationen über die Gesetzgebung des Behandlungslandes, weil diese z.B. darüber entscheidet, ob Kinder später ihre biologischen Wurzeln überhaupt herausfinden können. Dazu gehört weiter das Wissen um die Dynamik in Familien nach Samen- oder Eizellspende. Viele Paare sorgen sich beispielsweise um die Bindungsqualität zwischen Kind und sozialem Elternteil. Wir wissen jedoch, dass diese genauso stabil ist wie zu dem genetischen Elternteil. Auch die Frage, wie offen Paare in ihrem sozialen Umfeld mit dem Thema Kinderwunsch(behandlung) bis hin zur Inanspruchnahme von nur im Ausland zugelassenen Verfahren umgehen, sollte nicht dem Zufall überlassen, sondern bewusst und einvernehmlich getroffen werden.“

Gesetzgeber drückt sich um ergebnisoffene Debatte

Ein schon länger gefordertes neues Fortpflanzungsmedizingesetz steht nicht auf der Agenda des Gesetzgebers. Er drückt sich um zugegeben sehr komplexe und nicht nur medizinisch, sondern auch ethisch zu prüfende Fragen herum. Welche der medizinisch und technisch möglichen Wege zu einem Kind lässt man zu, welche bleiben verboten bzw. verbietet man, welche Forschungen werden jetzt erlaubt, die vor knapp 30 Jahren (so alt ist das Embryonenschutzgesetz) wegen damals noch zu großer Risiken verboten wurden? Um wessen Wohl geht es bei der Entscheidung: das der Eltern, die sich ein Kind wünschen; oder das der Kinder? Geht es zumindest auch um das Wohl möglicher Eizell-Spenderinnen und das von potenziellen Leihmüttern sowie deren schwer überprüfbare Motive – von Hilfsbereitschaft bis zu finanzieller Not? Welche Rolle spielt das Gewinnstreben einer Industrie, wie sie z.B. in einigen Bundesstaaten der USA rund um das Thema entstand?

Verstehst du jetzt, warum dieses Arbeitsfeld für Psychologen interessant, abwechslungsreich, herausfordernd aber auch sehr erfüllend sein kann? Bist du eher fasziniert von einem Thema, mit dem du dich bisher nicht oder nur wenig befasst hast? Oder hast du Angst bekommen angesichts seiner Komplexität? Hoffentlich ist Ersteres der Fall, denn spezialisierte psychosoziale Berater gibt es auf dem Gebiet bislang noch nicht ausreichend. Wenn Du mehr über die Fortbildungen erfahren möchtest, ist das Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland (BKiD) die richtige Adresse.

 

*) In-vitro-Fertilisation (IVF) und Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) sind beides Methoden der künstlichen Befruchtung. Bei ICSI wird die Samenzelle des Mannes direkt in das Zytoplasma der weiblichen Eizelle eingespritzt; bei IVF geschieht eine Verschmelzung von diversen Samen und Eizellen im Labor.