Let’s talk about Sex – aber wie?

Sexualität – da steckt mehr dahinter als Praktiken und Vorlieben. Es geht um Beziehungsgestaltung, Grenzsetzung, Lust, Unlust und vieles mehr. Ein breites Thema, bei dem es sich lohnt, es in der Psychotherapie anzusprechen. Dennoch haben viele Scheu davor. Du auch? Unsere Autorin Evelyn Richter-Schäfer zeigt dir, wie du das sensible Thema gut in deine therapeutische Arbeit integrierst und Offenheit schaffst – sowohl für dich als auch für deine Patienten.

Ist Sexualität als Thema in der Therapie für dich mit Scheu oder Befürchtungen verbunden oder der Angst vor unbekannten Stolpersteinen? Das muss nicht sein. Warum? Weil das Thema einen guten Indikator für die Beziehungsgestaltung und andere Lebensbereiche darstellt. Sexualität ist die intimste Art der Kommunikation zu sich selbst und anderen. Es geht darum, wie viel Nähe ein Mensch zulassen kann oder wie viel Distanz notwendig ist. Es geht um Lust auf sich, den anderen und auch Unlust, Grenzen und Grenzgängen, No Gos. Um individuelle und gemeinsame Weiterentwicklung. Ein breites Themenfeld also, das sich nicht ausschließlich auf Sexualpraktiken und die Diskussion von Vorlieben beschränkt. Es steckt ein hoher Nutzen darin, dieses Thema zu erfassen und zu integrieren!

Aber was bedeutet Sexualität für dich? Welche Gefühle, Erinnerungen, Wünsche und Gedanken verbindest du selbst mit deiner Sexualität? Was ist erlaubt und wünschst du dir, was möchtest du nicht? Und was bedeuten diese und andere Fragen für deine Arbeit mit dem Thema Sexualität? Wie kann eine gute Integration dieses sensiblen Themas in die therapeutische Arbeit gelingen?

Sexualität ist immer auch Ausdruck für die Beziehungsphase, in der sich ein Paar befindet.

Sexualität in der Paardynamik

Sexualität kann für Paardynamiken als Beziehungsbarometer und Indikator verstanden werden. Sind Partner zerstritten, unzufrieden, in einem Machtkampf oder weit voneinander entfernt, dann ist es kaum verwunderlich, wenn auch Intimität und Sexualität abhandenkommen können. Andererseits könnte es auch sein, dass sich ein Paar viel streitet und den Streit als lustvolles Vorspiel für guten Sex braucht. Oder es kommt auch vor, dass Sexualität keine große Rolle für ein Paar spielt. Das entscheidet ausschließlich das Paar.

Sexualität ist immer auch Ausdruck für die Beziehungsphase, in der sich ein Paar befindet. Es macht einen Unterschied, ob ein Paar gerade in der Faszinations- oder Kennenlernphase des Anfangs auf Wolke Sieben daherkommt, mitten in einer Umerziehungsphase in Konflikten verhaftet ist oder sich gerade in der Akzeptanzphase fragt, wie es gemeinsam weitergehen kann. Hat oder will ein Paar Kinder oder will nur einer? Wenn welche da sind, wie alt sind sie und was hat sich seit der Geburt verändert? Wie alt sind die Partner und was ändert das für beide in Bezug auf ihren Körper, ihr Leben und ihre damit verbundene Sexualität?

Sexualität und du

Die Reise durch das Thema Sexualität ist auch immer eine Reise durch das Leben. In meiner Arbeit als Systemische Therapeutin begebe ich mich gerne, wie ich es nenne, auf Spurensuche mit den Klienten und damit auf eine Reise in ihr Leben, ihr ganz eigenes System heute und damals. Ich stelle Verbindungen zwischen den ganz früh integrierten Beziehungserfahrungen, dem Lebensweg und der heutigen Lebens- und Liebessituation her.

Nur wenn du dir selbst klar darüber bist, wie deine eigene Geschichte mit der
Sexualität aussieht, kannst du auch in deiner Arbeit präsent und klar sein.

Fragen um das Thema Sexualität in die Arbeit zu integrieren

Ich möchte dir anhand von drei Themenbereichen eine Idee davon geben, wie du das Thema Sexualität in deiner Arbeit sowohl im Einzelsetting als auch in der Arbeit mit Paaren integrieren kannst. Manchmal sprechen Klienten ihre (fehlende) Sexualität gleich zu Beginn an. Eine gute Möglichkeit das aufzugreifen ist es, zu fragen, wie zufrieden sie mit der derzeitigen Situation sind und was sie sich diesbezüglich wünschen. Wird das Thema von Klienten nicht angesprochen, kann man in der ersten oder zweiten Stunde zumindest fragen, wie nah man sich dem Partner gerade fühlt und wie zufrieden sie mit der derzeitigen Situation sind. Egal wie die Antworten ausfallen: die Tür für das Thema Sexualität ist geöffnet, wenn die erste Frage oder Äußerung dazu gefallen ist. Du erhältst einen Eindruck davon, wie der Klient das Thema einschätzt. Du zeigst außerdem als Therapeut, dass es ein willkommenes und kein tabuisiertes Thema ist. Nicht zuletzt ermöglicht ein frühes Ansprechen, es später wieder aufzugreifen und zu integrieren.

Die u.g. Fragen bieten dir zusätzlich die Möglichkeit, dich selbst zu reflektieren. Denn nur wenn du dir selbst klar darüber bist, wie deine eigene Geschichte mit der Sexualität aussieht, kannst du auch in deiner Arbeit präsent und klar sein. Andernfalls könntest du ins Klientensystem rutschen und Partei ergreifen oder in einer Stunde letztendlich mehr in dein eigenes Gedankenkarussell fallen statt die Klienten gut zu begleiten.

Frühe Prägungen und Vorbilder

  • Wie hast du und wie durftest du deine eigene Lust entdecken als Kleinkind, Kind und später Jugendlicher?
  • Was war erlaubt, was war versehen mit Tabus, Scham oder Verboten wie „Das macht man nicht?“ und „‚Pfui!“?
  • Oder gab es körperliche Grenzenlosigkeit, die in dir zu Scham und Ablehnung führte?
  • Hattest du Zeit und Raum für dich und deine aufkeimende Sexualität in der Pubertät?
  • Wie sexuell aktiv waren deine Eltern und Großeltern? Wieviel Lust, Entwicklung und (Wieder)entdeckung haben sie sich erlaubt? Oder ist das alles irgendwann eingeschlafen?
  • War Sex nur Mittel zum Zweck oder gar ein Machtinstrument zwischen deinen Eltern?
  • Wieviel (nicht sexuelle) Berührung, körperliche Nähe und Zärtlichkeit gab es grundsätzlich in deiner Familie?

Antworten auf diese und ähnliche Fragen bilden eine gute Basis dafür, wie Klienten schon früh geprägt wurden und sehr häufig Beziehungen auch heute leben. So kann es also vorkommen, dass sie sich eine freie und lustvolle Beziehung wünschen, es aber durch eine sehr rigide oder konservative Prägung durch ihr Elternhaus nicht schaffen, ohne Reflexion aus diesem Familienmuster auszusteigen.

Dein eigenes Lustverständnis

  • Wie (un)lustvoll, offen, neugierig, freudvoll gehst du mit deiner eigenen Sexualität um?
  • Was traust du dich, wo sind deine Grenzen?
  • Was macht dich an, was turnt dich ab?
  • Bist du lieber aktiv oder passiv?
  • Wie äußerst du deine sexuellen Wünsche oder Grenzen und stehst du dafür ein?
  • Welche (Verlust)Ängste, Scham oder Schuldgefühle oder sonstigen negativen Gedankenmuster hast du in Bezug auf deine Lust, deinen Körper, den intimen Kontakt mit einem anderen Menschen?
  • Mit wem sprichst du über deine Sexualität und wie erlebst du dich dabei?

Lebens- und Beziehungserfahrungen in deinem Leben und heute

  • Welche und wieviel Erfahrungen hast du gemacht und wie waren sie für dich?
  • Wofür steht für dich Sexualität – Liebe? Machtkampf? Lebenslust? Befriedigung? Nähe? Freude? Ekstase? Angst?
  • Wie hast du dich bislang als Mann oder Frau erleben dürfen und was wünschst du dir in Bezug auf deine eigene Sexualität und Rollenvorstellung?
  • Möchtest du Kinder? Wie viele und mit wem?
  • Was ist dein ideales Bild von deiner sexuellen (Lust)entwicklung in deinem Leben? Wie darf deine Sexualität in welchem Alter stattfinden?

Wenn ein Einzelklient oder ein Paar mit dem Thema Sexualität in meine Praxis kommt, dann prüfe ich parallel auch immer, welche eigenen Vorstellungen, Ideen, Beurteilungen ich in Bezug auf deren Lebensphase und -konstellation habe. Supervision und die damit verbundene, ständige Reflexion sind unerlässlich.

Wenn ich als Therapeutin ein Thema nicht zum Tabu mache oder ein schambehaftetes, ängstliches Gefühl dazu entwickle, dann werden auch die Klienten eine offene Haltung dazu entwickeln können.

Stolpersteinen in der therapeutischen Praxis?

Größere Stolpersteine gibt es meines Erachtens nicht, auch nicht beim Thema Sexualität. Reagiert ein Klient gegebenenfalls erschrocken, verschämt oder anderweitig unerwartet auf Fragen nach der Sexualität, dann kannst du es a) erstmal annehmen und den Widerstand respektieren (sehr wichtig für den Vertrauensaufbau) und b) zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgreifen und behutsam nachfragen, was in Bezug auf die Sexualität innerlich passiert. Eventuell könnte ein erlerntes Tabu, eine schlechte Erfahrung oder der falsche Zeitpunkt des Ansprechens ein Hintergrund der Ablehnung sein – die es jedoch für das Therapeuten-Klienten-Verhältnis zu integrieren gilt. Wenn ich als Therapeutin ein Thema nicht zum Tabu mache oder ein schambehaftetes, ängstliches Gefühl dazu entwickle, dann werden auch die Klienten eine offene Haltung dazu entwickeln können. Denn immerhin kommen sie doch mit dem Wunsch, sich zu entwickeln und Krisen zu verlassen. Dafür ist das ein oder andere beherzte und angemessene Nachfragen des Therapeuten unerlässlich!

Und um einen Gedanken vom Anfang nochmal aufzugreifen: Die Lust auf und innere Erlaubnis zum Thema Sexualität steht für mich sinnbildlich für die Lust auf Leben, Erfahrungen und Weiterentwicklung allgemein. Menschen darin zu ermutigen, sich genau das ins Leben zu holen, was sie brauchen und manch Altes und Unbefriedigendes dafür loszulassen – das ist auch eine gute Haltung in der Arbeit mit dem Thema Sexualität.