Warum die Klimakrise auch eine psychologische Krise ist
Schulstreiks. Klimawandel. Klimakrise. Ist da wirklich was dran? Viele Menschen verdrängen und verleugnen die Klimakrise. Sie verneinen eine Bedrohung und wenden sich lieber erfreulichen Themen zu. Wieso? Das lässt sich psychologisch gut begründen, sagen die Psychologists for Future. Warum die Klimakrise auch eine psychologische Krise ist und wieso man sie ernst nehmen sollte.
Zu Beginn möchten wir euch an eine Fabel erinnern. Sie handelt von einem Hirtenjungen, der auf der Weide Schafe hüten musste. Eines Tages langweilte er sich und beschloss, seinen Mitmenschen einen Streich zu spielen. Er schrie: „Hilfe! Ein Wolf!“ Sie endet damit, dass schließlich tatsächlich ein Wolf kommt und das Leben von Mensch und Tier bedroht. Und dann aber niemand mehr zur Hilfe eilt, weil alle an einen falschen Alarm glauben.
Unsere aktuelle globale Situation ähnelt dieser Geschichte. Mit zwei wichtigen Unterschieden: Es ist nicht nur ein Junge, der vor einer Gefahr warnt, sondern es sind Millionen Jungen und Mädchen. Der andere Unterschied ist: Es handelt sich nicht um einen Streich, den man nicht ernst nehmen muss. Die Kinder und Jugendlichen sprechen nur laut aus, was wissenschaftlich längst erwiesen ist.
Die Klimakrise ist real
Die Liste der Warnungen, dass menschengemachte Treibhausgas-Emissionen das Klima unserer Erde verändern, ist lang und viele Jahrzehnte alt. Meist wissen wir schon aus dem Schulunterricht etwas über den „Wolf“ der Klimakrise und dass wir es mit einer realen, ausgewachsenen Bedrohung zu tun haben – gleichwohl bemerkten wir aber bis zuletzt in unseren Breitengraden wenig von dieser angeblichen Bedrohung.
Fällt es uns deshalb so schwer, die drohenden Veränderungen wahrzunehmen und uns mit ihnen ernsthaft auseinanderzusetzen? Und könnte es sogar zu einer Ironie der Weltgeschichte werden, dass wir die wohl entscheidendste Warnung nicht ausreichend ernst genommen haben und so ein altes Märchen auf furchtbare Weise wahr wird?
Tatsächlich hat es in der Geschichte der Menschheit schon viele falsche Prophezeiungen gegeben: Nur allzu oft sollte die Welt ganz oder teilweise untergehen, was dann aber doch nicht passierte. Es gibt in Mythologie, Literatur und Film ein ausgeprägtes Faible für solche Fantasien. Doch in der Realität blieben solche Katastrophen weitgehend aus – und dies bestärkt unsere Abwehr: Warum sollte ausgerechnet zu unseren Lebzeiten so etwas passieren?
Wir verdrängen, verleugnen, schieben das Thema beiseite und beschäftigen uns lieber mit erfreulicheren Dingen. Wir nehmen die Klimakrise nicht ernst und die Bedrohung kaum wahr – und tun wenig dagegen. Und genau das ist Teil eines großen und fatalen psychologischen Problems. Ja, die Klimakrise ist auch eine psychologische Krise. Die damit im Zusammenhang stehenden Prozesse und Mechanismen wollen wir im Folgenden näher beleuchten.
Bagatellisierung und Verdrängung
Skepsis, Widerstand, Bagatellisierung, Verdrängung – all diese Formen des Umgangs mit der Klimakrise können wir auf Basis unseres psychologischen Wissens erklären. Dabei scheint es nicht den einen entscheidenden psychologischen Prozess zu geben. Ganz im Gegenteil: Wir haben alle unsere bevorzugten und bewährten Bewältigungs- bzw. Abwehrstrategien, die uns im Alltag auch helfen, nicht von schlechten Nachrichten und bedrohlichen Reizen überflutet zu werden.
Unsere psychische Abwehr ist erst einmal etwas Gesundes und Wichtiges – sie bietet uns Bewältigungsstrategien, um unser subjektives Wohlbefinden aufrechtzuerhalten und unseren Lebenskontext sowie auch unser Selbsterleben als stabil wahrnehmen zu können. Ansonsten würden wir uns gar nicht mehr auf die Straße trauen bei all den Gefahren, die dort lauern können. Unseren psychischen Abwehrstrategien liegt unter anderem zugrunde, dass es sich evolutionär als sinnvoll erwiesen hat, nur auf unmittelbare Gefahren zu reagieren und unsere Zeit nicht mit der Angst vor sich anschleichenden unsichtbaren Wölfen zu verschwenden. Nur unmittelbare Gefahren sind für unser archaisches, evolutionär erworbenes Bedrohungssystem relevant.
In Bezug auf die Klimakrise heißt das: Wir glauben nicht, dass der Wolf kommt, weil wir ihn nicht kommen sehen. Und ist ein zähnefletschendes Raubtier nicht in Sicht oder wird es geradezu ausgeblendet, so stellt es für unser psychisches Bedrohungssystem auch keine reale Gefahr dar.
Die Klimakrise ist für eine unmittelbare Gefahrenwahrnehmung zu langsam und zu komplex. Allein die Unterscheidung zwischen Wetter und Klima ist trotz vielfältiger Aufklärungsarbeit nicht allen Menschen klar. Andere, viel persönlichere und spürbarere Sorgen haben es so viel leichter, sich im Wettbewerb um unsere Aufmerksamkeit durchzusetzen.
Dazu kommt ein weiteres Problem: Selbst wenn die Warnungen vor der Klimakrise unsere bewusste Aufmerksamkeit erreichen, können wir unser damit einhergehendes Unwohlsein auf verschiedenste Art und Weise reduzieren, ohne auf die eigenen klimaschädlichen Annehmlichkeiten des Lebens verzichten zu müssen. Wir können uns zum Beispiel sagen, dass
- wir gar nicht zuständig sind, sondern andere handeln müssen (Verantwortungsdiffusion),
- die Klimakrise uns schon nicht so schlimm treffen wird (Bagatellisierung),
- es gar keine Krise gibt (Verleugnung),
- oder wir schieben den Gedanken einfach beiseite (Verdrängung).
Darüber hinaus fällt es uns schwer, geliebte Gewohnheiten aufzugeben und liebgewonnene Standards zu verlassen. Hier gibt es einen inneren Interessenkonflikt zwischen dem Bedürfnis, etwas für das Klima zu tun, und dem Wunsch, auf möglichst wenig verzichten zu müssen. Zudem gibt es auch eine Diskrepanz zwischen der Einsicht, dass etwas getan werden müsste und der Wahrnehmung, individuell wenig gegen diese überwältigende, globale Bedrohung unternehmen zu können. Grundsätzlich neigen wir psychisch dazu, solche inneren Konflikte – auch „kognitive Dissonanzen“ genannt – zur unmittelbaren Aufrechterhaltung unseres Wohlbefindens irgendwie aufzulösen. Wenn konkrete Handlungsmöglichkeiten fehlen, dann erfolgt diese Auflösung eher kognitiv.
Verleugnung und Skepsis vor dem Hintergrund von Geld und Macht
Das Bedürfnis, kognitive Dissonanzen aufzulösen, kann und wird im Übrigen auch gezielt ausgenutzt: Seit Bekanntwerden der menschengemachten Klimakrise haben politische Organisationen, Lobbygruppen und klimaschädliche Industrieunternehmen Kampagnen und eigene „klimaskeptische“ Studien gefördert, um Informationen über den menschengemachten Klimawandel und seine Folgen zu unterdrücken und zu diskreditieren. Diese Strategien dienen dabei schlicht dazu, die eigenen ökonomischen Interessen zu schützen.
Eine angemessene Reaktion auf den menschengemachten Klimawandel wurde so über Jahrzehnte aus politischen und ökonomischen Gründen gezielt behindert – nachzulesen beispielsweise in der beeindruckenden Reportage “Losing Earth” von Nathaniel Rich in der New York Times. Skeptische oder verleugnende Botschaften haben aufgrund ihrer entwarnenden Inhalte eine psychisch entlastende Funktion und erfreuen sich vermutlich gerade deshalb bis heute einer weiten Verbreitung und Beliebtheit.
Abwarten, Lähmung oder Handlung
Und wenn wir der Warnung vor „dem Wolf“ dann doch Glauben schenken? Aufgrund unseres evolutionären Erbes neigen wir dazu, auf erkannte Gefahren reflexartig selbstschützend zu reagieren: Wir kämpfen, flüchten oder verstecken uns bzw. erstarren. Dies mag hilfreich sein, wenn wir im Wald einem hungrigen Raubtier begegnen. Angesichts komplexer, globaler Gefahren, die uns nicht unbedingt direkt ins Auge starren, funktioniert dies aber nicht mehr.
Zur Bewusstmachung der Klimakrise braucht es nicht nur Wissen über die Klimakrise und angemessene Reaktionen darauf, sondern auch eine moderate emotionale Aktivierung. Nur wer weiß, was passieren kann, und gleichzeitig die damit verbundenen Gefühle von Angst und Trauer zulässt, kann aktiv ins Handeln kommen.
Wenn die Bedrohung dann tatsächlich anerkannt wird und auch emotional berührt, dann besteht die Gefahr, dass die individuellen Handlungsmöglichkeiten angesichts des Ausmaßes sehr beschränkt erscheinen – und damit geht es vielen von uns nicht gut. Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit können entstehen. Um dieser Hilflosigkeit vorzubeugen, ist es wichtig, dass wir uns die konkreten Möglichkeiten bewusst machen, wie wir aktiv werden können. Das können wir alle auf individuelle, gesellschaftliche und politische Art und Weise, wie es zum Beispiel die Psychologists for Future in einem Beitrag über das in den Medien verbreitete Phänomen der sogenannten „Klimaangst“ beschreiben. Es ist wissenschaftlich belegt, dass die Klimakrise emotional besser verarbeitet werden kann, wenn wir wissen, wie wir handeln können. Dies geht umso leichter, je eher wir Teil einer Gruppe sind, die die gleichen Werte und Ziele teilt.
Wie wir die kollektive Verdrängung überwinden können
Aktuell schließen sich Millionen von Menschen der globalen Klimabewegung an und beteiligen sich an Klimastreiks. Nur in der Gemeinschaft können wir auf demokratischem Weg politische Entscheidungen bewirken und sowohl die individuelle als auch die kollektive Verdrängung und Verleugnung überwinden.
In unserer Familie, unserem Freundeskreis, am Arbeitsplatz oder generell im öffentlichen Leben macht es zudem nachgewiesenermaßen einen Unterschied, wenn wir uns nachhaltig verhalten. Bereits kleine Verhaltensänderungen können beim Gegenüber eine Irritation und schließlich ein Umdenken zur Folge haben. Dabei gibt es auch eine sogenannte „stille Wirkung“ – das heißt, dass zwar auf den ersten Blick kein Erfolg sichtbar zu sein scheint, sich aber nach und nach beim Gegenüber eben doch etwas tut. Mit gutem Beispiel voranzugehen, ist ein bewährter zivilisatorischer Mechanismus.
Eine weitere Handlungsmöglichkeit besteht darin, dass du Kontakt mit den Gruppen aufnimmst, in denen du Mitglied bist, und dort das Klimathema mit auf die Tagesordnung setzt – sei es im Sportverein oder eben auch im psychotherapeutischen Berufsverband. Dieses Problem ist so groß, dass es am besten von allen Seiten gleichzeitig angegangen wird.
Aus unserem individuellen und politischen Handeln für den Klimaschutz, für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen, entsteht ein Erleben von Selbstwirksamkeit. Das stabilisiert unser Selbst und tut uns gut. Es profitieren idealerweise alle: ganz kurzfristig unser seelisches Wohlbefinden, mittel- und langfristig unzählige Lebewesen auf unserer Erde, inklusive uns selbst.
Was können wir aus der Geschichte des Hirtenjungen lernen?
„Panikmachende“ Kinder und Jugendliche stören vielleicht unsere gewohnten Abläufe und Denkmuster. Unsere mitunter ablehnenden Reaktionen auf ihre Warnungen sind psychologisch gut zu erklären und verständlich. Es ist im Fall der Klimakrise jedoch lebenswichtig, ihnen zuzuhören und sie ernst zu nehmen. Denn die Kinder und Jugendlichen wollen uns nicht wie der Hirtenjunge nur einen Streich spielen, sondern es ist ihnen ernst. Ihre Warnungen sind begründet.
Lea Dohm, Felix Peter, Bianca Rodenstein