Wie Hatha-Yoga den therapeutischen Prozess unterstützen kann
Über das Einbinden von Yoga-Praktiken in den therapeutischen Prozess kann positiv erlebte Veränderung körperlich erfahren werden. Die über die Yoga-Praktiken vermittelte innere Haltung unterstützt den therapeutischen Prozess zusätzlich.
Hatha-Yoga, „Yoga der Körperstellungen“, ist der heute bekannteste Yoga-Zweig, auch wenn er nicht immer im ursprünglichen Sinne ausgeübt wird. In den wesentlichen Schriften zum Hatha-Yoga wie der Hatha-Yoga-Pradipika werden verschiedene Übungen und Bewusstseinszustände beschrieben.
Mit Blick auf die Psychotherapie sind vor allem Körper- und Atemübungen sowie die Einstellungen zu den jeweiligen Übungen – die sogenannten „Tugenden“ – von Bedeutung. Eine der Tugenden ist die „Ernsthaftigkeit“: Alle Übungen sind konzentriert und mit der inneren Überzeugung zu praktizieren, dass sie richtig, bedeutsam und sinnvoll sind.
Eine weitere Tugend ist die „Furchtlosigkeit“, denn mitunter ist es bei ungewohnten Übungen notwendig, innere Ängstlichkeit oder Unsicherheit zu überwinden. Dabei kann es helfen, Übungen individuell anzupassen und positiv unterstützend anzuleiten.
„Beharrlichkeit“ wiederum ist wichtig, da jede Übung erst durch Wiederholung vervollkommnet werden kann. Der Übende darf nicht aufgeben, wenn etwas nicht sofort klappt, oder nachlassen, sobald sich erste Fortschritte einstellen.
Des Weiteren sollte der eigene Übungsstand wahrhaftig betrachtet werden. Diese „Wahrhaftigkeit“ zu entwickeln, gelingt leichter bei wertschätzender Anleitung. Ohne „Vertrauen“ aber können alle geschilderten Tugenden bzw. Einstellungen kaum entwickelt werden – Vertrauen zu sich selbst und zu anderen, insbesondere zum Anleitenden. Entsprechend wichtig ist die Beziehungsebene im Yoga.
Atemkontrolle beeinflusst das psychische Erleben
Alle Körperübungen sollten individuell angepasst und ohne Leistungsdruck angeleitet und praktiziert werden, denn nur so vermitteln sie positive Erfahrungen. Jeder kann gefordert werden, eine Überforderung aber sollte unbedingt vermieden werden. Verschiedene Übungen und ihre Variationsmöglichkeiten erlauben dies sowohl für Anfänger als auch für Fortgeschrittene. Bewusste Entspannung zwischen sowie nach den Übungen hilft, deren Auswirkungen zu erspüren. Dabei können Selbstwirksamkeit und Selbstwerterhöhung erlebt werden.
Der Atem wird im Yoga als Lebensenergie verstanden. Spezielle Atemübungen dienen dem bewussten Erleben der normalerweise automatisch ablaufenden Prozesse. Die Atemkontrolle ermöglicht zudem eine Beeinflussung des psychischen Erlebens.
Dabei kann der Übende Einfluss auf eine der drei Atemphasen nehmen: auf Ein- und Ausatmen oder die – seltener bemerkte – Atempause. Letztere kann beispielsweise bewusst verlängert werden, um den Atemrhythmus insgesamt zu verlangsamen. Zur Atemkontrolle gehört auch die Atemlenkung: Im Allgemeinen ist unsere Atmung flach und fließt nur bis in den Brustraum. Wird die Atemluft tiefer aufgenommen, drücken die volleren Lungen das Zwerchfell nach unten. Man spricht von der sogenannten „Bauchatmung“. Als „dritten Atemraum“ bezeichnet man die Lungenspitzen. Um diese mit Luft zu füllen, muss die Einatmung nochmals intensiviert werden. Geschieht dies, spricht man von der „vollständigen Yoga-Atmung“.
Neben der direkten Atemlenkung gibt es ferner die Möglichkeit, in der Vorstellung in bestimmte Körperregionen zu atmen – um dort „Kraft“ hinzusenden. Zudem gehören zur Atemkontrolle verschiedene Atemtechniken, die harmonisierend (wie etwa die Wechselatmung) oder energetisierend wirken können (wie etwa die Schnell- oder Blasebalg-Atmung).
Tugenden können den therapeutischen Prozess unterstützen
Die Förderung der beschriebenen Einstellungen – Ernsthaftigkeit bzw. Motivation, Furchtlosigkeit, Beharrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Vertrauen – kann unterstützend auf den therapeutischen Prozess wirken. Während der Einfluss von Motivation und Vertrauen hinlänglich bekannt und erforscht ist, werden die anderen drei Einstellungen bisher weniger beachtet. Das Anwachsen von Furchtlosigkeit kann auch als ein Überwindung von Ängsten verstanden werden. Diese Sichtweise ermöglicht es, Mut bewusst zu machen und positiv zu verstärken und damit positives Potential bewußt zu machen.
Ebenso ist Beharrlichkeit Thema in der (Verhaltens-)Therapie: Sie hilft, das Ausbleiben von Fortschritten im Entwicklungsprozess oder eventuelle Rückschritte zu bewältigen. Schwierigkeiten werden nicht als persönliche Schwäche angesehen, sondern als Probleme, die bewältigt werden können. Diese Einstellung kann für Patienten – und manchmal auch für Therapeuten – sehr entlastend wirken.
Yoga-Haltungen, die in der Psychotherapie eingesetzt werden können
Das Integrieren von Körperübungen – mit Ausnahme von Entspannungsübungen – in die Therapie ist ungewohnt und erfordert, dass dass der Therapeut mit Yoga-Praxis vertraut ist. Im Allgemeinen können Yoga-Übungen im Rahmen der Psychotherapie nur begrenzt eingesetzt werden. Ihre Anwendung setzt voraus, dass der Klient bereit für deren Einsatz ist.
Neben Übungen in sitzender Position kommen in der Psychotherapie auch stehende Übungen in Frage. Die Standhaltung „Berg“ kann zum Beispiel über den Bodenkontakt Stehvermögen und Aufrechtsein erfahrbar machen. Die stehende Vorwärtsbeuge kann emotional mit Loslassen verbunden werden. Die Ausübenden sollten nach ihren Empfindungen gefragt werden, um sie im weiteren therapeutischen Prozess aufzugreifen. Im Einzelfall kann der Therapeut Anregungen geben, welche Empfindungen andere Ausübende geäußert haben.
Auch die Atemkontrolle kann Eingang in die verhaltenstherapeutische Behandlung finden. Sie hilft, Abstand zu emotionalen und kognitiven Belastungen zu finden. Die Konzentration auf die Atmung, die verlängerte, vertiefte Atmung und das Setzen von Atempausen führen zu körperlicher und psychischer Beruhigung und Entspannung. Diese Auswirkungen können ohne große Übung erfahren werden, so dass Atemkontrolle unkompliziert zur Reduktion von Anspannung eingesetzt werden kann und Selbstwirksamkeit direkt erfahrbar macht.
Yoga kann den therapeutischen Prozess begleiten und unterstützen – insbesondere, wenn es nicht bei einmaligen Interventionen bleibt. Zu Recht ist die Ergänzung der Richtlinienverfahren um körperorientiertes Vorgehen bewährte und verbreitete Praxis. Falls Yoga parallel zur Psychotherapie ausgeübt wird, kann es sinnvoll sein, im Rahmen der Therapie auf die dort gesammelten Erfahrungen zurückzugreifen. In dieser Situation kommen je nach Erfahrung der Klienten weitergehende Übungen mit einem breiteren Spektrum an emotionalen Eindrücken in Frage, wie beispielsweise bei der den Rücken stärkende und den Brustraum weitende Kobra, zu der Mut visualisiert werden könnte, oder beim Drehsitz, der körperliche und mentale Flexibilität erfahrbar machen kann. Als hilfreich können auch Übungsabläufe wie der vom Autor in leicht modifizierter Form praktizierte Mondgruß empfunden werden, der innere Ausgeglichenheit bewirkt.