„Wie können Sie nur...?“ – Umgang mit Kränkungen in der Therapie

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In der therapeutischen Situation ist das Potenzial für Kränkungen besonders hoch. Die Klient:innen öffnen sich emotional, sind ungeschützter. Aber auch Therapeut:innen können mit Kränkungen konfrontiert sein. Wie geht man professionell damit um? Unsere Autorin Bärbel Wardetzki hat die wesentlichen Punkte für dich zusammengetragen.  

Eine Kränkung ist wie eine Ohrfeige für die Seele, die uns durch andere versetzt wird. Wenn wir uns zurückgewiesen, unwichtig oder kritisiert fühlen, kommen wir mit unseren Minderwertigkeitsgefühlen in Kontakt. Kränkungen berühren direkt unser Selbstwertgefühl. Wir erleben uns geschwächt und erniedrigt, sind ohnmächtig, traurig und enttäuscht. Viele zwischenmenschliche Probleme, Missverständnisse, Meinungsverschieden­heiten und Streitigkeiten sind auf Kränkungen zurückzuführen. Gegenseitige Kränkungen können verheerende Folgen haben. Sie führen häufig zum Abbruch einer Beziehung. Auch Rache, Wut, Unversöhnlichkeit, Bitterkeit und Schmerz können Folgen sein. Wir sind empört, wie jemand es wagt, auf eine so verletzende Weise mit uns umzugehen. Das führt zu Unfrieden mit dem anderen und in uns. Wie zeigt sich Kränkung in der Psychotherapie? 

Kränkungen können tiefe Wunden hinterlassen. (Foto: Masha Raymers - Pexels.com)

Geplatzte Termine als Zeichen der Kränkung 

Psychotherapeut:innen, Berater:innen und Coach:innen kennen das Phänomen der „geplatzten Termine“. Ein Beispiel: Die Klientin meldet sich plötzlich nicht mehr. Sie versäumt den Termin ohne ihn abzusagen. Sie hat ihn vergessen oder kommt viel zu spät. 

Meine Erfahrung ist, dass dahinter häufig eine Kränkung steckt, die die verletzte Klientin mit Rückzug und Beziehungsabbruch beantwortet. Sie ist von etwas getroffen, das wir gesagt, getan oder unterlassen haben, kann aber darüber nicht sprechen. In ihren Augen sind wir die Täter:innen, die ihr etwas angetan haben, obwohl wir doch für sie da sein müssten. Sie fühlt sich verlassen, nicht verstanden und bricht daher den Kontakt ab. Auf unsere Nachfrage, warum sie nicht gekommen sei, bekommen wir oft keine klare Antwort. Die einzige Reaktion, die ihr bleibt, ist der Rückzug, weil sie sich eine Auseinandersetzung mit uns entweder nicht traut, nicht weiß, wie sie das tun kann, oder auf uns so wütend ist, dass sie uns nicht mehr sehen will. Vielleicht will sie uns mit ihrer Abwesenheit auch bestrafen. 

Wir selbst wissen oftmals gar nicht, was für die Klient:innen so verletzend war und kommen daher nicht auf die Idee, dass sich in ihren Verhalten eine Kränkungsreaktion ausdrückt. Ein Charakteristikum von Kränkungen ist, dass unsere Verhaltensweisen im anderen eine Kränkung auslösen können, ohne dass wir es merken.  

Ein leerer Sessel - der Klient hat den Termin platzen lassen. Vielleicht ist er gekränkt. (Foto: Rio Kunkoro - Pexels.com)

Der Wunsch, angenommen zu werden 

Eine Klientin von mir verschwand von einem Tag auf den anderen. Sie rief mich dann an und sagte, sie wolle die Therapie beenden. Wir vereinbarten einen nochmaligen Termin, weil ich ihre Gründe erfahren wollte. Es stellte sich heraus, dass sie sich sehr gekränkt fühlte, als sie nach der letzten Stunde auf dem Flur einer anderen Patientin von mir begegnete, die noch dazu schlanker war als sie und ihrer Meinung nach besser aussah. Das beeinträchtigte ihr Selbstwertgefühl dermaßen, dass sie dachte, ich müsse die andere selbstverständlich mehr mögen als sie und dann könne sie gleich wegbleiben. Ihre Erwartung, die beste Klientin von mir zu sein - die sicher sehr viele haben -, wurde dadurch frustriert.  

Ich konnte ihr erklären, dass ich gerne mit ihr arbeitete und sie sehr schätzte, und erfüllte damit ihren unausgesprochenen Wunsch nach Annahme und Wertschätzung. Letztlich führten wir die Therapie erfolgreich fort. Das gelang jedoch nur deshalb, weil die Klientin sich ihrer Gekränktheit bewusst war und Kontakt zu mir aufnahm, was sie vor der Therapie aus Stolz nicht gemacht hätte. Sie war durch die bisherigen Therapiestunden soweit innerlich gestärkt, dass sie die Beziehung nicht einfach abbrechen musste, sondern mir gegenüber ihre Kränkung ausdrücken konnte. Ich meinerseits war beeindruckt von ihrer Ehrlichkeit und signalisierte ihr mein Verständnis. Nur durch das Gespräch und den Kontakt zwischen uns war die Wende möglich.  

Ein offenes Gespräch schafft Raum für Gefühle und lässt die Ursache einer Kränkung erkennen.  (Foto: Polina Zimmerman - Pexels.com)

Der wunde Punkt und das Selbstwertgefühl 

Dass wir oft nicht wissen, was unsere Gegenüber kränkt, hat damit zu tun, dass Kränkungen in der Regel an wunden Punkten ansetzen, die unverarbeitete seelische Verletzungen hinterlassen haben. Erinnert die jetzige Situation an die alte Verletzung, löst das eine starke Kränkungsreaktion aus, die Außenstehende oftmals nicht nachvollziehen können. Da wir in der Regel nicht wissen, welche wunden Punkte unsere Gegenüber haben, tappen wir sozusagen in die Falle, weil wir etwas bei ihnen auslösen, das wir nicht intendiert haben.

Da Kränkungen und Selbstwertgefühl zwei Seiten einer Medaille sind, beziehen sich die wunden Punkte meist auf Selbstwertverletzungen durch frustrierende und traumatische Erfahrungen aus der Kindheit, die das Gefühl hinterlassen haben, nicht wichtig, wertvoll oder liebenswert zu sein bzw. keine Existenzberechtigung zu haben. Kränkbar sind wir aber auch in Situationen, in denen uns gerade ein Unrecht oder eine Trennung geschehen ist. In einer solchen Zeit sind wir in besonderem Maße auf Zuwendung und positive Unterstützung angewiesen. Hohe Erwartungen begünstigen ihrerseits das Kränkungsniveau, wenn wir davon ausgehen, dass die Welt oder andere Menschen das erfüllen müssen, was wir uns vorstellen.

In der therapeutischen Situation ist das Potenzial für Kränkungen besonders hoch, da die Klient:innen sich emotional öffnen, sich mit ihren Gefühlen und Verletzungen auseinandersetzen und daher weniger geschützt gegen Kränkungen sind, als im Alltag. Für Klient:innen kann allein die Tatsache, eine Therapie beginnen zu müssen, eine Kränkung ihres Selbstwertes bedeuten. Das Eingeständnis, es nicht allein zu schaffen, erleben sie als schwächend und beschämend.  

Von außen ist es oft nur schwer nachvollziehbar, weshalb jemand getroffen reagiert. (Foto: Eduardo Lempo - Pexels.com)

Kränkungen der Therapeut:innen  

Es können allerdings nicht nur die Therapeut:innen eine Kränkungsreaktion bei ihren Patient:innen auslösen, sondern auch umgekehrt. Häufig geschieht das in den Momenten, in denen unsere Kompetenz infrage gestellt oder nicht bestätigt wird. „Die andere Therapeutin hat es aber besser gemacht“ oder die Frage „Können Sie so einen Fall wie mich überhaupt behandeln?“ wirken umso kränkender, je stärker das eigene therapeutische Selbstwertgefühl geschwächt ist.  

Für den Fortgang der Therapie ist die Kränkungskompetenz der Therapeut:innen entscheidend. Das bedeutet, eine professionelle Distanz einzunehmen und die Aussagen zuerst einmal nicht persönlich zu nehmen. Unprofessionell wäre es, die Klient:innen unsere Kränkungswut oder unsere Verletzung ungefiltert spüren zu lassen. Besser ist es, unsere Kränkungs­gefühle zurückzuhalten und uns inhaltlich auf die Aussagen der Klient:innen zu beziehen. Wir können beispielsweise nachfragen, was ihnen an den anderen Therapeut:innen so gut gefallen hat, wodurch sie profitieren konnten? Und was ihnen bei uns fehlt oder sie an uns stört? 

Das sind wichtige Fragen, weil sie den Klient:innen unser Interesse signalisieren und wir viel über ihre Bedürfnislage erfahren. 

Kränkungskompetenz bedeutet einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn das therapeutische Können angezweifelt wird. (Foto: cottonbro - Pexels.com)

Kritik an uns hören wir zwar ungern, sie ist aber kein Grund, gekränkt zu reagieren. Wir sollten sie stattdessen ernst nehmen, weil es sein kann, dass wir einen Fehler gemacht haben. Sie ist auch ein Hinweis darauf, dass unsere therapeutische Strategie für den/die Klient:in evtl. nicht passend ist. Das gilt es dann, in der Supervision näher anzuschauen und die eigenen wunden Punkte aufzuarbeiten. Oder die kränkenden Aussagen der Klient:innen als Ausdruck ihrer Probleme zu verstehen.
 

Der therapeutische Umgang mit Kränkungen  

Für den therapeutischen Umgang mit Kränkungen gibt es drei wesentliche Bereiche:

Der erste ist der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung, in der die Klient:innen es wagen, ihre Kränkungsgefühle offenzulegen. Ich ermutige sie sogar, das zu tun. 

Der zweite ist die Bearbeitung des lebensgeschichtlichen Hintergrunds und der wunden Punkte.  

Der dritte ist die stützende Begleitung für die aktuelle Kränkungssituation.

Die Schlüssel für die Verarbeitung der Kränkung sind:

  • Sich eingestehen, gekränkt zu sein.

  • Die Verantwortung für die Heftigkeit der Kränkungsreaktion übernehmen. 

  • In Distanz gehen, statt die Beziehung abzubrechen. 

  • In Kontakt und in den Dialog mit der Person gehen, von der man sich gekränkt fühlt. 

  • Das eigene Selbstwertgefühl stärken, um weniger verletzbar zu werden. 

  • Das Ziel ist Mitgefühl und Versöhnung mit sich selbst und dem anderen.

 

Literaturhinweis: 

Wardetzki, B. (2012). Nimm’s bitte nicht persönlich. München: Kösel.