Innerer Kritiker meets inneren Querdenker

Der innere Kritiker macht uns das Leben schwer: Durch Zensur und Bewertung blockiert er Lernprozesse. Der innere Querdenker strebt nach Veränderung und stellt alles infrage. Warum wir sie trotzdem beide brauchen und wie wir sie mit Hilfe kreativer Methoden integrieren können.

Der innere Kritiker macht uns das Leben schwer: Durch Zensur und Bewertung blockiert er Lernprozesse. Um uns zu schützen, meint er alles kontrollieren zu müssen; er hat Angst vor Veränderung. Wird er ausgeschlossen von der „inneren Familie“ (Schwartz, 2002), fühlt er sich alleine gelassen und verstärkt seine Anstrengungen noch. Der innere Querdenker hingegen strebt voller Sehnsucht nach Neuem, wofür mit gewohnten Verhaltensmustern gebrochen werden muss. Er stört und unterbricht vertraute Denkmuster und stellt alles infrage. Er verunsichert. Wenn der innere Querdenker jedoch unterdrückt wird, fühlt man sich energielos und nicht lebendig.

Innere Stärken nutzen

Genauso wie äußere Teams profitiert auch das „innere Team“ von einem Querdenker ebenso wie von einem Kritiker - wenn diese nicht missverstanden, sondern in ihrem Wesen und Wert erkannt und integriert werden. Zu einem lähmenden Konflikt zwischen beiden Anteilen kommt es nur, wenn man sie als unvereinbare Standpunkte betrachtet. Tatsächlich ergänzen und bedingen sie sich gegenseitig: Um kreativ, flexibel und offen gegenüber Veränderungen sein zu können, braucht man eine sichere Basis - und gleichzeitig braucht es die mutige Kraft des inneren Querdenkers, der mit Lust nach Neuem strebt, um aus alten Verhaltensmustern herauszukommen.

Es geht also nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch: Nur das Pendeln zwischen den Polen von Sicherheit, Kontrolle, Struktur und Bindung einerseits und Unsicherheit, Wandel, Offenheit, Nichtwissen und Freiheit andererseits ermöglicht Wachstum und Veränderung.

Veränderungsprozesse sind kreative Prozesse

Kreativität ist eine grundlegende Eigenschaft aller Lebewesen, und es bedarf einer beständig wirkenden Kreativität, um überlebensfähig zu sein. Dabei besteht eine „kontinuierliche Spannung zwischen der Etablierung und Aufrechterhaltung von konstanten Strukturen und der Unterbrechung des erreichten Gleichgewichts, um neue Erfahrungen zu ermöglichen“ (Holm-Hadulla, 2009, S. 231). Kreativität wird erst durch das Aufgeben von Kontrolle, durch das Loslassen innerer Zensur, durch Hingabe und Muße erreicht (Johnstone, 2004).

Im Alltag beobachtete Johnstone (2004), einer der Begründer des Improvisationstheaters, eine Selbstzensur, die dem Individuum einerseits das Gefühl von Sicherheit vermittelt, es aber gleichzeitig in vielen Bereichen blockiert. Er entwarf Improvisationsübungen, um Schauspielschülern ein freieres Lernen zu ermöglichen, mit weniger Angst und innerer Zensur. Konkret wird in Spielen und Übungen trainiert, Ideen und Impulse nicht zu bewerten, über Fehler zu lachen und den Zustand von Nichtwissen und Unsicherheit auszuhalten und als notwendig und wertvoll für das Entstehen innerer Impulse zu erfahren. Es erfordert, mit konzentrierter Wahrnehmung und Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt zu sein, sich einzulassen und loszulassen, nicht zu kontrollieren oder an eigenen Ideen und vorgefertigten Konzepten festzuhalten. Die Arbeit mit kreativen Methoden aus dem Improvisationstheater und das Trainieren von Improvisationsfähigkeit nimmt die Angst vor und schafft Lust auf Veränderung.

Anwendung im Alltag

Im Theater geht es darum, verschiedene Rollen zu spielen und über ein möglichst breites Handlungsrepertoire zu verfügen. Im Alltag brauchen wir die Fähigkeit, Veränderungen zu akzeptieren und auf Neues angemessen zu reagieren. Durch Übungen und Spiele aus dem Improvisationstheater kann der innere Kritiker lernen, über sich selbst zu lachen und sich mit dem inneren Querdenker zu verbünden. Durch die Integration der beiden scheinbar widersprüchlichen Anteile kann sich eine neue Qualität entwickeln, die weder im „Bewahren des Bewährten“ noch im „Ständig-verändern“ enthalten ist, sondern aus der Interaktion beider Pole entsteht: als Ganzes, das mehr ist als seine Teile (von Kibéd, 2014).

Literatur

Holm-Hadulla, R.M. (2009). Leidenschaft. Goethes Weg zur Kreativität: Eine Psychobiographie (2. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Johnstone, K. (2004). Improvisation und Theater (7. Aufl.). Berlin: Alexander Verlag.

Schwartz, R.C. (2002). Systemische Therapie mit der inneren Familie (3. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta.

Varga von Kibéd, M. & Sparrer, I. (2014). Ganz im Gegenteil. Tetralemmaarbeit und andere Grundformen Systemischer Strukturaufstellungen – für Querdenker und solche, die es werden wollen (8. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer.