Aller Anfang ist schwer – Wie du mit tausend Fragen, aber selbstfürsorglich in den Beruf startest

Aufregung, Euphorie und Stolz aber auch Nervosität, Angst und Überforderung – der Berufseinstieg ist ein Wechselbad der Gefühle. (Foto: Pexels.com)

Der Berufseinstieg ist ein Wechselbad der Gefühle. Alles ist neu. Wirst du das alles schaffen? Was ist, wenn du etwas nicht weißt? Werden deine Klient:innen und Patient:innen merken, dass du eigentlich „noch keine Ahnung hast“? Worauf du beim Einstieg achten kannst, erzählt dir unsere Autorin Natalie Waschke, deren Berufseinstieg selbst erst ein paar Jahre her ist (und die daher noch weiß, wie das so war).

Alle Anfänge sind schwer. Hast du deine erste Stelle nach dem Studium ergattert - sei es in einer Klinik, einer Beratungsstelle oder im Rahmen der Psychotherapieausbildung - wirst du vielleicht das Wechselbad der Gefühle kennen: Aufregung, Euphorie und Stolz gepaart mit Nervosität, Angst und Überforderung. In meinem Kopf war das in etwa so: „Yeah, ich habe eine Stelle! Oh Mann, hoffentlich wird das gut... immerhin verdiene ich etwas Geld. Werden die Kolleg:innen nett sein? Hoffentlich halten die mich nicht für eine totale Anfängerin... oh, aber der bin ich ja! Kriege ich das überhaupt hin? Was ist, wenn ich das nicht kann?“ und so weiter.

Neuanfänge sind ein ganz besonderer Nährboden für den inneren Kritiker, weil man die Situationen noch nicht einschätzen kann und weil man am Anfang seiner Karriere noch keinen Vergleich hat. Man kann eben (noch) nicht sagen: „Ach ja, ich habe ja auch schon in Klinik x und in der Ambulanz y gearbeitet, deswegen wird das schon“ oder: „Ich habe meinen jahrelangen Erfahrungsschatz, auf den ich mich verlassen kann“.

Der Kopf ist voll

Euphorisch und nervös gehst du also morgens zu deinem ersten Arbeitstag und alles wird neu sein: Kolleg:innen, Abläufe, Strukturen, Infos. Wer ist hier wer? Wer macht was? Wer ist zuständig? Wo bekomme ich einen Locher her? Der erste Beratungstermin, die ersten eigenen Klient:innen und Patient:innen – und danach in der Regel noch mehr Fragen: Wo rechne ich das ab? Wie wird das dokumentiert?

Die ganzen neuen Eindrücke sorgen für einen vollen Kopf. Reizüberflutung ist da vorprogrammiert. Wenn du noch dazu zum ersten Mal Vollzeit arbeitest, bist du am Ende des Tages wahrscheinlich ziemlich kaputt. Und weißt du was? Das ist ok. Als ich meine erste Stelle in einer Beratungsstelle angenommen habe, bin ich in den ersten Wochen abends nach Hause gefahren und direkt erschöpft ins Bett gefallen. Mit anderen Menschen reden? Da fehlte mir die Energie. Immerhin hatte ich schon den ganzen Tag anderen Menschen zugehört! Ich dachte mir: „Ohje, so ist also das Arbeitsleben? Werde ich jetzt bis zur Rente schon um 17:30 Uhr schlafen gehen?“

Mach dir bewusst, dass der Anfang das Schwerste ist. So kannst du dem Start gelassener entgegensehen. (Foto: Lindsey Henwood – Unsplash.com)

Ommm. Bleib geduldig

Natürlich war es nicht so. Ich brauchte Zeit, um reinzukommen, mich an die neuen Abläufe (und den neuen Tagesrhythmus) zu gewöhnen, all die Eindrücke zu verdauen und mir Routinen aufzubauen.

Wenn du dir bewusst machst, dass der Anfang das Schwerste ist, nimmst du den Start vielleicht etwas gelassener. Du weißt, es ist nur eine Phase. Vieles ist neu, vieles muss sacken. Du wirst da reinkommen. In ein paar Wochen wirst du die Abläufe draufhaben, jede:n Kolleg:in mit Namen kennen, die Räume finden, ohne dich zu verlaufen und Vieles inhaltlich dazu gelernt haben. Gib dir Zeit. Sei geduldig mit dir. Sorge für dich. Gerade in dieser ersten Zeit, die so viel Energie kostet.

Genieße es für ein paar Wochen, ein bisschen mehr Couchpotato zu sein, als sonst. (Foto: Karl JK Hedin – Unsplash.com)

Die Erlaubnis, ein Couchpotato zu sein

Was kannst du z. B. in den ersten Wochen abends für dich machen, wenn du völlig kaputt bist? Etwas, das deinem Energielevel angemessen ist, aber etwas mehr als Schlafen, damit du nicht das Gefühl bekommst, „jetzt nur noch für die Arbeit zu leben“. Eine Runde Spazieren gehen? Eine liebe Freundin treffen? Ein Schaumbad nehmen? Eine Lieblingszeitschrift kaufen und auf dem Sofa lesen? Eine Runde Yoga machen? Eine Serie bei Netflix suchten? Genieße es, im Zweifelsfall für zwei bis drei Wochen, ein bisschen mehr Couchpotato zu sein, als sonst. Keine Sorge, dein Energielevel wird schon wieder steigen, wenn du dich erst mal eingelebt hast.

Du kannst dich nicht älter machen, als du bist

Gerade als Berufseinsteiger:in im Bereich Beratung, Therapie und Coaching gibt es eine typische Sorge: die „Hoffentlich bekommen meine Patient:innen oder Klient:innen nicht mit, dass ich eine Anfängerin bin“-Sorge. Die Sorge, dass die Patient:innen denken könnten: „Wie soll die mir schon helfen können, so jung wie die ist?“ Und klar, es gibt Klient:innen, die haben diese Vorstellung der grauhaarigen, lebenserfahrenen Psychologin, die du wahrscheinlich (noch) nicht bist, wenn du in den Beruf startest. Ich selbst habe aber die Erfahrung gemacht, dass die meisten Klient:innen positiv überrascht sind, wenn ich sie im Wartebereich abhole (die Vorstellung einer grauhaarigen Erfahrenen, die alles weiß und alles schon gesehen hat, passt vielleicht auch nicht zu jedem). Die Frage nach meinem Alter oder die Bemerkung „dass ich jung sei“, habe ich zwar auch schon ein paar Mal gehört, hatte aber nie den Eindruck, dass diese wertend gemeint war. „Ich bin halt so alt wie ich bin“ und „nein, eigene Kinder habe ich noch nicht“. Meiner Erfahrung nach kommt es weniger auf das Alter an, als vielmehr auf die Authentizität, die man in das Gespräch mitbringt.

Finde eine gute Balance bei deiner Arbeitskleidung. Mach einen gepflegten Eindruck, bleib aber trotzdem du selbst. (Priscilla du Preez – Unsplash.com)

Kleider machen Leute?

Am Anfang habe ich mir tatsächlich die Frage gestellt, ob ich mich verändern muss, wenn ich als Psychologin angestellt bin: „Muss ich andere Kleidung tragen? Muss ich schicker oder professioneller aussehen?“ Zugegeben, meine durchlöcherten Chucks trage ich nur noch in der Freizeit. Aber mein Nasenpiercing lasse ich drin und auch sonst unterscheide ich selten zwischen Freizeit- und Arbeitskleidung (von Jogginghosen und kurzen, knappen Sachen mal abgesehen). Als Beraterin und Therapeutin muss ich einen gepflegten Eindruck machen, aber mich auch wohl dabei fühlen und ich selbst sein. Und klar, gibt es diese schwierigen Klient:innen, bei denen man dann doch noch mal extra drauf achtet, was man anzieht. Und das ist auch okay. Wie immer geht es darum, für sich eine gute Balance zu finden.

Bleibe authentisch und gehe locker mit Wissenslücken um. Du musst nicht alles wissen. (You X Ventures – Unsplash.com)

Man kann nicht alles wissen

Zur Authentizität gehört für mich auch, transparent zu sein. Klient:innen und Patient:innen können sehr irritiert reagieren, wenn man vorgibt, etwas zu wissen oder um den heißen Brei herumredet. Zu Beginn dachte ich, ich müsste alles wissen. Aber man kann überhaupt nicht alles wissen, weil jedes Beratungsthema und jede Fragestellung individuell und anders sind. Das heißt: zu unserem Beruf gehört es dazu, Dinge nicht zu wissen. Ich habe mir ein paar Sätze angeeignet, die in solchen Situationen hilfreich sein können:

  • Das weiß ich gerade nicht, aber ich erkundige mich gerne.
  • Das ist eine sehr gute Frage. Darüber muss ich mir auch erst mal Gedanken machen.
  • Ich würde das gerne mit meinem Kollegen / Teamleitung / Oberärztin rückbesprechen. Wir können das Thema beim nächsten Mal wieder aufgreifen.

Meiner Erfahrung nach, kommt es bei den Klient:innen viel besser an, wenn man ehrlich ist. Du fühlst dich selbst wahrscheinlich auch wohler bei einem Hausarzt, der sich erst mal erkundigt oder sich rückbespricht, anstatt Halbwissen für bare Münze zu präsentieren.

„Blöde“ oder „zu unwichtige“ Fragen gibt es nicht. (Foto: Emily Morter – Unsplash.com)

Noch mehr Input?

Eins kann ich dir versprechen: irgendwann ist die erste Eingewöhnungsphase geschafft. Dann wünschst du dir vielleicht sogar neuen Input. Nutze Fortbildungen oder Kongresse für dich: um deine Basics (Gesprächstechniken, Deeskalation, Methoden) zu festigen oder neuen Input (zu Spezialthemen) zu bekommen. Damit baust du nach und nach deinen Erfahrungsschatz auf und irgendwann – wenn du deine Stelle mal wechseln und einen Neuanfang beginnen solltest – kannst du sagen: ach ja... ich habe zum Glück meinen jahrelangen Erfahrungsschatz, auf den ich mich verlassen kann.