Psychohygiene für Psychotherapeuten im Praktikum - Wie man das Klinikjahr übersteht
Wenn du gerade Psychotherapeut im Praktikum bist, kennst du das vielleicht: volle Wochen, viel Stress und noch dazu ein leeres Konto. Die aktuellen Rahmenbedingungen sind wenig wertschätzend und machen gerade das Klinikjahr zu einer schwierigen Phase. Wie du das nicht nur überlebst, sondern auch mehr auf dich selbst achten kannst.
Ich bin Psychotherapeutin in Ausbildung – du auch? Während Freunde und ehemalige Studiumskollegen den Kopf schüttelten („Unter diesen Bedingungen mache ich auf gar keinen Fall die Ausbildung!“), ließ ich mich drauf ein - im vollen Bewusstsein dafür, was das vor allem im Klinikjahr für die meisten Psychotherapeuten im Praktikum (oder auch „PiPler“ genannt) bedeutet: kein oder nur sehr wenig Geld für die Arbeit, die man leistet - obwohl man bereits ein einschlägiges Studium hinter sich hat. Viel Verantwortung. Oftmals fehlende Einarbeitung oder Anleitung (nicht wenige PiPler fühlen sich dadurch ins kalte Wasser geschmissen und überfordert). Daneben Jobs und Nebentätigkeiten, um die Kosten der Ausbildung zu finanzieren und von etwas zu leben. Abends oder am Wochenende Theorieseminare und Selbsterfahrungstermine. Zeit für Erholung bleibt da wenig. Aber vielleicht geht es dir ja wie mir: ich wollte nun mal Psychotherapeutin werden. Und wenn ich nicht gerade eine unbestimmte Anzahl von Jahren auf die strukturellen Veränderungen in der Ausbildung warten wollte, würde ich mich den Rahmenbedingungen stellen müssen.
Wofür tue ich das hier eigentlich?
Schon im ersten Ausbildungsjahr bin ich dann erschrocken angesichts der Erschöpfung bei vielen Ausbildungsteilnehmern. Sind wir nicht gerade dabei, einen Wunschberuf zu erlernen? Statt Freude und Enthusiasmus hörte ich an vielen Stellen von langen Tagen, vollen Wochen und Stress. Quält man sich müde ins Seminar, kann man sich schnell fragen, warum man das alles überhaupt tut – selbst wenn es der Traumberuf ist und selbst wenn man vorher wusste, was die Rahmenbedingungen sein würden. Manche beginnen, die Tage zu zählen. Ja, man könnte sich eine Art Kalender basteln, indem man die Tage kreuzt, die man im Klinikjahr schon geschafft hat... Aber macht das zufrieden? Wahrscheinlich nicht.
(Wenig) Balance zwischen Verausgabung und Belohnung
Beim Modell der Gratifikationskrise wird davon ausgegangen, dass wir dann in der Lage sind, berufliche Belastungen auch langfristig auszuhalten und Zufriedenheit zu erleben, wenn die Belastungen durch entsprechende Belohnungen ausgeglichen werden (z. B. durch Gehalt, Beförderung oder Wertschätzung). Sind Verausgabung und Belohnung hingegen langfristig im Ungleichgewicht führt das zu negativen Gefühlen wie Frust oder Wut. Das kann Stress auslösen und somit langfristig gesundheitsschädlich sein.
Wie sieht das für Psychotherapeuten im Praktikum aus? Geld bekommen viele von uns eben nicht. Auch Aufstiegschancen werden sich wahrscheinlich eher selten ergeben – außer in der Einrichtung, in der du die praktische Tätigkeit ableistest, wird gerade eine Stelle frei. Man könnte noch die „Beförderung“ zum Psychotherapeuten nach Beendigung der Ausbildung dazuzählen – aber das ist sehr langfristig gedacht.
Zwei von drei beruflichen Belohnungsfaktoren fallen also schon mal weg. Am ehesten relevant ist demnach die Wertschätzung, z.B. durch Kollegen. Vielleicht kannst du - wie ich - sagen, dass du Wertschätzung in deinem beruflichen Umfeld erfährst. Das mag dich motivieren und dir ein gutes Gefühl geben. Aber was, wenn selbst das nicht vorhanden ist?
Selbstwertschätzung
Sich selbst wertzuschätzen – und zwar stabil, also unabhängig vom Feedback anderer – ist nicht nur wichtig, um das Fehlen anderer „Belohnungen“ zu kompensieren, sondern auch, um grundsätzlich langfristig mit sich und seiner Arbeit zufrieden zu sein. Zu den Formen der Selbstwertschätzung könnte es gehören, dich selbst zu loben oder für die geschaffte Arbeit zu belohnen. Du könntest auch anderen von deinen Erfolgen erzählen und stolz auf dich sein – z.B. wenn du dich mit anderen PiPlern zum Feierabend auf einen Kaffee triffst.
Eigenlob stinkt nicht
In einer Gesellschaft, in der „Eigenlob stinkt“, mag das zunächst schwerfallen – vor allem dann, wenn du mit wenig Erfahrung in einem Umfeld arbeitest, in dem es nur wenig Anleitung und Anerkennung gibt. Da können Selbstzweifel und Hilflosigkeit schon mal lauter, die eigenen Schwächen und Fehler schon mal sichtbarer werden. Aber Selbstwertschätzung lässt sich zum Glück üben. Je häufiger du bewusst deinen Fokus auf Erfolge lenkst (z.B. in dem du dir zum Feierabend aufschreibst, was du gut gemacht hast), umso leichter wird es dir fallen. Da zählen auch die kleinen, alltäglichen Erfolge dazu! Das fühlt sich nicht nur gut an und stärkt den Selbstwert, sondern steigert eben auch deine Arbeitszufriedenheit und macht dich unabhängiger von der (ggf. fehlenden) Wertschätzung anderer.
Auf Entlastung achten
Was machst du eigentlich in deiner wenigen freien Zeit neben Klinik, Nebentätigkeit und Theorieseminaren? Das ist eine entscheidende Frage! Oftmals fehlt in stressigen Phasen für erholende Aktivitäten als erstes die Zeit. Stress kann aber nur dann gut bewältigt werden, wenn nach der Anspannung, die durch Stress entsteht, auch eine Entspannung folgt. Gerade in stressigen Phasen ist es daher wichtig, dass du dir regelmäßig Zeit für Erholung reservierst.
Dabei hat die Art der Erholung einen großen Einfluss darauf, wie erholsam es wirklich ist. Sie muss nämlich passen! Besuchst du nach dem Kliniktag das Fitnessstudio, weil du das Gefühl hast, dass du „musst“? Dann wird dich das mit Sicherheit weniger erholen, als wenn du wirklich spürst, wie du Freude an Bewegung hast, wie es dich zufrieden macht und dich auf andere Gedanken bringt.
Die Mischung macht’s
Optimaler Weise haben wir verschiedene Erholungsmöglichkeiten in unserem Repertoire, von denen wir wissen, dass sie uns gut tun. Eine Mischung aus entspannenden und aktivierenden Aktivitäten ist am besten. Ein Abend auf der Couch, ein Sauna-Besuch oder ein Bad können deinem Körper helfen, neue Kräfte zu tanken. Besteht dein Erholungsrepertoire allerdings hauptsächlich aus solchen passiveren Arten der Erholung, kann es sein, dass dir langfristig die Aktivierung fehlt und sich bei dir ein Gefühl der Leere einstellt. Baue daher auch aktivierende Tätigkeiten in deine Arbeitswoche ein. Das kann Sport sein, aber auch kreative Beschäftigungen, eine Verabredung mit Freunden oder andere Unternehmungen. Solche anregenden Tätigkeiten machen nicht nur Spaß, sondern können dir auch helfen, neue Impulse zu entwickeln, auf neue Gedanken und Ideen zu kommen und somit auch neue Perspektiven auf gegenwärtig schwierige Situationen zu entwickeln.
Austausch mit anderen PiPlern
Neue Perspektiven schaffst du dir auch durch den Austausch mit anderen. Neben Freunden und Familie, suche auch den regelmäßigen Austausch mit PiPlern. Sie stecken in der selben Lage und können dadurch deine Probleme und Sorgen besser nachempfinden. Warum also mit dem Start einer Intervisionsgruppe warten, bis die Ausbildung fortgeschrittener ist? Was später hilft, hilft auch jetzt. Kollegialer Austausch bietet Hilfestellungen und neue Perspektiven zur Problemlösung . Er macht die Situation durch Zuhören, Verständnis oder aber gemeinsames Schimpfen einfach etwas erträglicher.
Wichtiges Repertoire für die Zukunft
Nach 12 Monaten und 1200 Stunden ist dann das Klinikjahr überstanden. Neben therapeutischen Erkenntnissen und dem Wissen darum, wie es ist, in einer Klinik zu arbeiten, wirst du dir ein Repertoire aufgebaut haben, mit belastenden und stressigen Zeiten umzugehen. Was hat dir Kraft gegeben? Mit wem konntest du dich gut austauschen? Bei welchen Aktivitäten konntest du dich erholen? Das mag vielleicht die wichtigste Erkenntnis von allen sein. Denn wir sind dabei, einen Beruf zu erlernen, der emotional belastend ist und für den ein selbstfürsorglicher und achtsamer Umgang mit sich selbst unumgänglich ist.
Schlussbemerkung
Vielleicht denkst du jetzt, dass ich weniger von Selbstwertschätzung und Erholung hätte schreiben und lieber mehr dazu hätte ermutigen sollen, gegen die bestehenden Rahmenbedingungen zu demonstrieren. Ja, mach das! Geh auch demonstrieren. In Zukunft sollte uns Psychotherapeuten in Ausbildung definitiv bessere und wertschätzendere Rahmenbedingungen ermöglicht werden.
Bis es so weit ist, werden viele von uns weiterhin die Ausbildung unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen machen, aus dem schlichten Wunsch heraus, als Psychotherapeut arbeiten zu können. Neben politischen Aktionen vergesst daher nicht, auf euch selbst zu achten.