Der Wert von Achtsamkeit für Therapierende

Eine Frau sitzt mit geschlossenen Augen am offenen Fenster.

Die Vermittlung von Fertigkeiten zur Achtsamkeit hat schon seit Längerem in der therapeutischen Arbeit einen Platz gefunden. Wir verfolgen damit unter anderem das Ziel, die Patient*innen zu befähigen, Anspannung und aversive Emotionen zu verringern, Impulsivität zu regulieren oder sich zu entschleunigen.

In der helfenden Tätigkeit fordern uns neben den eigenen Persönlichkeitsvariablen (z. B. die Selbstanforderung, alle Patient*innen heilen zu wollen) und berufsübergreifenden Faktoren (z. B. fehlende Mitarbeitendenorientierung im Führungsstil der Vorgesetzten) noch eine Reihe spezifischer Aufgaben heraus. Damit sind beispielsweise die professionelle Regulation von im Arbeitsprozess entstehenden Emotionen, die nahezu ubiquitäre Bereitstellung von Empathie oder der Umgang mit den von den Patient*innen erhaltenen Informationen über deren traumatisierende Erfahrungen gemeint.

Gerade weil dadurch unsere Tätigkeit einen höheren Selbstbezug aufweist als manch andere, bedarf es einer besonders umfassenden und gut etablierten Psychohygiene, damit diese Anforderung nicht zur Überforderung und damit zum Wegbereiter eines Burnout-Syndroms wird. Der Übergang von Herausforderung zur Überforderung und weiter zum Burnout geschieht häufig schleichend und mit zunächst eher diskreten Veränderungen.

Checkliste zur Burnout-Gefährdung

Um dir die Einschätzung deiner eigenen, aktuellen Burnout-Gefährdung zu erleichtern, findest du im Folgenden eine kurze Checkliste. Die Items sind dem Fragebogen zu Belastungsreaktionen (F-BRHB) nach Zarbock und Dahme (2009) entnommen und können deine persönliche Reflexion über das Erleben und Verhalten bezüglich deiner helfenden Tätigkeit innerhalb der letzten Woche anregen. 

1.    Wie oft hast du folgende Empfindungen in Bezug auf deine Arbeit gehabt?

  • ausgelaugt
  • gereizt
  • überfordert

2.    Wie oft hattest du folgende oder ähnliche Gedanken oder Einschätzungen? 

  • „Ich werde geschätzt.“
  • „Mein Beruf macht mir Spaß.“
  • „Ich lerne für mich Wichtiges hinzu.“

3.    Wie oft kam Folgendes bei dir vor?

  • „Ich habe nach der Arbeit zu viel Alkohol getrunken oder mehr gegessen, als ich eigentlich wollte.“
  • „Ich konnte nach der Arbeit nicht abschalten."
  • „Ich war gegenüber meiner*m Partner*in / meiner Familie / meinen Freund*innen gereizt.“ 

4.    Wie stark fühltest du dich durch Folgendes belastet oder negativ beansprucht?

  • Verhalten von Patient*innen / Klient*innen
  • Konflikte mit Kolleg*innen / Vorgesetzten / Untergebenen
  • Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Leistungskontrolle

5.    Fühlst du dich durch die Arbeit in deinem helfenden Beruf belastet?

6.    Würdest du heute eine andere Berufsausbildung wählen und einen anderen Beruf ergreifen?

Indem wir Achtsamkeit nicht mehr nur als an Patient*innen zu vermittelnde Strategie betrachten, sondern für uns selbst – auch in unserer beruflichen Praxis – entdecken, schaffen wir eine wichtige Basis, frühzeitig Einschränkungen unseres Wohlbefindens zu erkennen. Gleichzeitig etablieren wir uns damit aber vor allem eine wesentliche Art des Erlebens und Verhaltens, die frühzeitig Risikofaktoren für die Entwicklung eines Burnout-Syndroms reduziert. Die konzentrierte Beobachtung unser Selbst sowie unserer Umwelt bietet einen Weg, auf eine nicht wertende Weise das, was uns im Alltag der helfenden Tätigkeit begegnet, akzeptieren zu können und uns aus diesem Abstand heraus gelassen für einen suffizienten Umgang zu entscheiden statt impulsiv darauf zu reagieren. So können wir unsere (überhöhten) Selbstanforderungen wahrnehmen, ohne uns damit zu überfordern, sie zu befolgen. Oder wir können unsere eigenen Belastungsgrenzen sehen, anstatt sie zu verleugnen oder uns dafür zu entwerten – und gleichzeitig unsere Bedürfnisse wahrnehmen sowie eine diesen entsprechende, selbstfürsorgliche Lösung finden. Und wir können aufkommende Gefühle benennen, ohne uns von ihnen mitreißen zu lassen. 

Achtsamkeitsübung

Da Achtsamkeit sich nahezu ausschließlich über die Selbsterfahrung vermittelt, schlagen wir dir folgende Einstiegsübung vor und empfehlen dir, diese im Verlauf der Woche zu wiederholen.

Begib dich für diese Übung wenn möglich an einen Ort, an dem du für einige Minuten völlig ungestört sein kannst. Stelle dein Telefon oder Handy für diese Zeit auf lautlos und sei in dieser Zeit für andere nicht erreichbar.Wende deine Aufmerksamkeit in den nächsten Minuten nur dir selbst zu, deinem gegenwärtigen Befinden. Halte dafür in deinem Tagesablauf in Stille inne.


Nimm eine bequeme Körperhaltung ein und schließe die Augen, wenn es für dich angenehm ist.
Wende deine Aufmerksamkeit zunächst deinem körperlichen Befinden zu. Wie fühlt sich dein Körper in diesem Moment an? Beachte angenehme und unangenehme Empfindungen wie Verspannungen oder Schmerzen gleichermaßen. Nimm dir die Zeit, diese Empfindungen ganz bewusst wahrzunehmen – auch oder gerade wenn diese unangenehm sein sollten. Achte auf das Vorhandensein von umfassenden Empfindungen wie Müdigkeit und Erschöpfung und beobachte diese ganz bewusst. Versuche, deine Aufmerksamkeit sanft auf diesen Empfindungen ruhen zu lassen.


Wenn du bemerken solltest, dass deine Aufmerksamkeit abschweift und du abgelenkt bist, kehre einfach gelassen mit deiner Aufmerksamkeit zu den Körperempfindungen zurück.

Nimm dir im zweiten Teil dieser Übung in gleicher Art und Weise ausreichend Zeit, dein gegenwärtiges emotionales Empfinden wahrzunehmen und für einige Momente aufmerksam zu beobachten. Achte hier wieder auch auf unangenehme Stimmungen und Emotionen wie beispielsweise Niedergeschlagenheit, Gereiztheit, Ärger, Traurigkeit oder gar emotionale Erschöpfung. Versuche, solchen Empfindungen nicht auszuweichen, sondern als Teil deiner gegenwärtigen Realität anerkennend wahrzunehmen.

Wende dich im dritten Teil dieser Übung deinen Gedanken und bildhaften Vorstellungen zu. Versuche, so gut es dir möglich ist, deine gegenwärtigen Gedanken zu beobachten. Achte wieder auf angenehme Gedanken ebenso wie auf unangenehme, belastende Gedanken wie Sorgen, Gedanken oder Bilder an zukünftige oder zurückliegende unangenehme Ereignisse und Pflichten. Versuche,  auch diese Vorstellungen nicht zu vermeiden, sondern bewusst mit deiner ganzen Aufmerksamkeit offen zu begegnen.

Sitze zum Abschluss dieser Übung noch einige Momente in Stille da, nimm dann einen tiefen Atemzug und öffne langsam die Augen.

Literatur

Zarbock, G. & Dahme, B. (2009). Fragebogen zu Belastungsreaktionen helfender Berufe (F-BRHB). Als Download zum Buch - Zarbock, Ammann, Ringer (2012). Achtsamkeit für Psychotherapeuten und Berater. Weinheim: Beltz - erhältlich.

 

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Gerhard Zarbock und Silka Ringer.