Wie du Achtsamkeit in deinen Berufsalltag integrieren kannst
Hast du schon überlegt, wie du deine Achtsamkeitspraxis in deinen beruflichen Alltag in der Psychotherapie oder im Coaching integrieren könntest? Wir geben dir einen Tipp für den Anfang und zeigen dir auch, was du tun kannst, wenn es mal nicht so gut klappt.
Über das Repertoire der Achtsamkeit kannst du deine Fähigkeit zur Anwendung der Zweite-Person-Perspektive weiter ausdifferenzieren. Dafür eignet sich ein vorurteilsarmes Feld, auf dem das Bild der Patient*innen bzw. Klient*innen entsteht. Da wir dies aufgrund unserer Ausbildung und zahlreichen, einschlägigen Vorerfahrungen jedoch nicht ausreichend gewährleisten können, geht es vor allem darum, diese Vorurteile (die z. B. getarnt als Diagnosen oder Schlussfolgerungen auftreten) bei uns selbst wahrzunehmen und uns von diesen zu distanzieren, um so aus diesem guten Abstand heraus die Individualität des Gegenübers wiederzuerleben und so genau wie möglich seine/ihre Perspektive zu erfassen.
Es kann dir so z. B. leichter gelingen, die Bedürfnisse deiner Patient*innen bzw. Klient*innen zu erfassen und diese zu beantworten. Das Gegenüber fühlt sich angenommen und verstanden. Die Hilfestellung kann so effektiver und gezielter erfolgen. Als Nebenwirkung hat diese Art des Sich-akzeptiert-Fühlens eine Verbesserung der Beziehung und damit eine Arbeitserleichterung für beide Seiten.
Übung: Achtsames Zuhören im Patient*innen-/Klient*innengespräch
Versuche, dir im Gespräch mit deinen Patient*innen bzw. Klient*innen mehrmals deines Atems und deines Körpers im Raum sowie deiner Sitzhaltung bewusst zu werden. Ist deine Körperhaltung funktional-entspannt? Versuche, dich fordernder, besorgter, abschätzender oder ähnlich wertend-interpretierender Ausdrucksweisen bewusst zu werden und diese in eine offene Zugewandtheit aufzulösen. Versuche, dir auftauchender Bewertungen, Vorwegnahmen, Schlussfolgerungen, Kategorisierungen usw. bewusst zu werden. Benenne diese innerlich und lasse sie los. Strebe einen „offenen“ und entspannt-ruhigen Zustand an, in dem dein Gegenüber von dir wirklich wahrgenommen werden kann. Versuche also, dein Gegenüber wirklich „mitzukriegen“, zu erspüren und gleichzeitig auch bei dir zu sein, die eigene Befindlichkeit als Spiegel oder Resonanzboden zu nutzen. Verbal kannst du dich auf „ahh“, kurze Paraphrasierungen des vom Gegenüber Gesagten oder kurze Verständnisnachfragen beschränken. Nonverbal kannst du beispielsweise durch Kopfnicken und sanften Augenkontakt (ansehen, abblenden, ansehen) Einstimmung in dein Gegenüber praktizieren.
Nimm dir zusammengefasst für das Achtsame Zuhören genügend Zeit, die Patient*innen bzw. Klient*innen vor dem Hintergrund deiner eigenen Befindlichkeit umfassend wahrzunehmen, so dass sie sich verstanden und quasi „gefühlt“ fühlen („feeling felt“), bevor du zu einer Intervention, Hilfestellung oder Beratung übergehst.
Erfolgreich Scheitern in Achtsamkeit
Ist das immerwährende perfekte Verweilen im Hier und Jetzt durch absolute, möglichst noch mühelose und jederzeit verfügbare Konzentration tatsächlich das Ziel einer Achtsamkeitspraxis?
Dieses Ziel wird die meisten von uns sicherlich überfordern. Das Scheitern ist gewissermaßen schon vorprogrammiert. Du wirst immer wieder die Erfahrung machen, dass du während der Übungen - wie auch im Alltag - „unachtsam“ bist. Deine Aufmerksamkeit wird abschweifen, die Konzentration wiederkehrend nur schwer zu halten sein. Übungen, die dir an einem Tag leichtgefallen sind, werden dir an einem anderen Tag wie eine nicht zu bewältigende Aufgabe erscheinen, ohne dass du eine Erklärung dafür finden kannst. Dies kann frustrierend sein. Doch muss es das? Was bedeutet es wirklich, „erfolgreich“ achtsam zu sein?
Das Ziel einer Achtsamkeitspraxis beinhaltet:
1. die Intention, das Erleben bewusst auf den gegenwärtigen Moment zu richten,
2. das Bemerken, wenn die Aufmerksamkeit unabsichtlich zu etwas anderem „gewandert“ ist,
3. das sanfte und gelassene Rückführen der Aufmerksamkeit zum gegenwärtigen Moment.
Dabei ist ein gewisses Maß an Konzentration und der Fähigkeit, sich zu konzentrieren, natürlich notwendig. Es ist aber nicht das Ziel, die Aufmerksamkeit zu jeder Zeit unfehlbar auf den gegenwärtigen Moment richten und halten zu können. Wir streben dies an, obwohl wir wissen, dass dieses „ultimative“ Ziel niemals erreicht werden kann. Wir schweifen ab, bemerken es und kehren zum gegenwärtigen Moment und unserer ursprünglichen Intention zurück. Dies ist das „erfolgreiche Scheitern“ der Achtsamkeit. Wichtig ist, dass wir an unserer Intention, das „Unmögliche“ anzustreben, gelassen festhalten und eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis aufrechterhalten. Es ist diese immerwährende Bemühung, von der du profitieren wirst. Setze deinen Übungsschwerpunkt dabei auf Übungen, die dir eher leichtfallen, die du besonders magst oder die für dich am wenigsten aufwändig sind. Dann begib dich auf deinen ganz persönlichen Weg, eine eigene Achtsamkeitspraxis zu entwickeln.
Achtsamkeitsübung
Wenn du die nächsten Male deine Achtsamkeitsübungen durchführst, wende einen Teil deiner Aufmerksamkeit darauf, wie du auf Momente des „Scheiterns“ - also wenn z. B. die Gedanken sich nicht über die von dir gewünschte Dauer auf den Achtsamkeitsfokus konzentrieren lassen oder dir beim Benennen die eine oder andere Bewertung dazwischengerutscht ist - innerlich (oder äußerlich) reagieren. Falls du feststellst, dass du dies wohlwollend akzeptieren kannst, z. B. als „Tagesform“ oder „aktueller Trainingsstand“, dann kannst du bereits erfolgreich scheitern. Solltest du dich hingegen dabei beobachten, wie du dich entwertest, infrage stellst oder zum Weitermachen „auf Biegen und Brechen“ zwingen willst, dann stellt dies eine gute Übung auf dem Weg zum erfolgreichen Scheitern im Sinne der Achtsamkeitspraxis dar.
Eine Möglichkeit, dies zu üben, ist den Impuls des Entwertens, Infragestellens oder Weiterantreibens etc. zu benennen, z. B. „Aha, da ist ja wieder mein ehrgeiziger Antreiber, der sich wünscht, alles sofort und sofort perfekt zu können“. Schmunzle einen Moment über diesen Impuls und erlaube dir dann freundlich-wohlwollend das Ende dieser Übung oder die Hinwendung zu einer leichteren.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Gerhard Zarbock und Silka Ringer.