Ethische Herausforderungen der Digitalisierung
Terminvereinbarung per Smartphone? Kommunikation mit Patienten per Email? Die Digitalisierung macht auch vor psychologischen Dienstleistungen keinen Halt. Gleichzeitig ist die Sensibilität für Datenschutzfragen deutlich gestiegen und somit auch die ethische Herausforderung. Wie du sorgfältiger und sensibel mit intimen Daten umgehen kannst und worauf du bei der Kommunikation mit digitalen Medien achten solltest.
Kann man mit dem Smartphone oder per E-Mail Termine vereinbaren? Welche Vorkehrungen muss ich treffen, um in meiner Praxis digital zu kommunizieren?
Mit der Einführung der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist die Sensibilität für Datenschutzfragen deutlich gestiegen. Aber wie wird die Zustimmung zur Nutzung und Weitergabe von Daten umgesetzt? Das ist entscheidend darüber ob letztlich mehr oder weniger Datenschutz entsteht. Mit einer allgemeinen Entbindung von der Schweigepflicht für alle Kommunikationsformen bist du als Psychologe zwar rechtlich im sicheren Bereich - aber was gilt es ethisch dabei abzuwägen?
Geheimnisschutz als Basis der Inanspruchnahme
Neben den erwarteten hohen Fachkompetenzen ist der Schutz persönlicher Geheimnisse eine wesentliche Voraussetzung für die Bereitschaft von Klienten, sich einem Psychologen gegenüber zu öffnen. Der Geheimnisschutz bildet somit eine zentrale Basis für deine Arbeit. Nicht nur die Inanspruchnahme an sich, sondern auch die Effektivität von Beratung, Therapie und mancher diagnostischer Vorgehensweise wird vom Beziehungsaufbau und dem Maß an Vertraulichkeit beeinflusst.
Vertraulichkeit und Anonymität
Vertraulichkeit und Anonymität sind daher auch bei der digitalen Kommunikation sehr bedeutsame Faktoren für deine Arbeit. Vertraulichkeit erfordert den Schutz aller Inhalte. Anonymität bedeutet, dass keine Daten einer Person zugeordnet werden können. Im ersten Schritt der ethischen und datenschutzrechtlichen Abwägungen stellt sich also die Frage, inwiefern Kontaktaufnahmen von Dritten beobachtet, gespeichert und ausgewertet werden können.
Festnetz, Handy, Smartphone
Bei Telefonaten über das Festnetz werden zwar die Verkehrsdaten vom Anbieter des Telefondienstes kurzfristig gespeichert, aber weder ausgewertet noch mit anderen Daten verknüpft. Beim Telefonieren mit einem Smartphone ist dies in der Regel anders: im Rahmen der Nutzung der Betriebssysteme oder einzelner Apps erfolgt eine Zustimmung zur Verarbeitung und Weitergabe der Verkehrsdaten. Bei einem „alten Handy“ werden die Verkehrsdaten vom Betriebssystem nicht übermittelt und auch bei Nutzung eines Smartphones ohne Datenübertragungsvertrag bleiben sie geschützt. Im letzteren Fall wäre allerdings darauf zu achten, dass - wenn zu einem späteren Zeitpunkt das Smartphone als internetfähiges Gerät (und nicht nur als Telefon) genutzt wird - eine Neuinstallation des Betriebssystems vorgenommen wird bzw. die Daten, die das Betriebssystem unter dem persönlichen Profil sammelt, gelöscht werden.
Big-Data-Analysen
Bei der Übermittlung von Verkehrsdaten und deren Abgleich mit dem Adressbuch können im Zusammenhang mit dem Serverstandort datenschutzrechtliche Bestimmungen anderer Länder ins Spiel kommen, sodass auch eine dauerhafte Speicherung und Verknüpfung dieser Daten im Kontext von Big-Data-Analysen (Einkäufe, Reisen, GPS-Profile, Plattformen sozialer Medien etc.) möglich ist und entsprechende Folgen haben kann.
Die Verarbeitung der Daten, die durch den Kontakt mit einem Psychotherapeuten entstehen, können also theoretisch negative Auswirkungen auf berufliche Chancen, Verträge bei Versicherungen etc. haben. Prinzipiell ist es kaum möglich, Vorkehrungen zu treffen, die die Anonymität in Gänze sichern, da schon die Kontaktaufnahmen der Klienten via Smartphone Hinweise darstellen. Andererseits ist eine Kontaktaufnahme noch kein Beleg für eine psychische Problematik oder Erkrankung und auch im (fach-)ärztlichen Bereich sind heute Terminvergaben über Smartphones oder gar mittels unverschlüsselter E-Mails üblich.
Verzicht auf Smartphone und unverschlüsselte E-Mails
Es erscheint sinnvoll, dass du nicht selbst einen Beitrag zur Verkehrsdatenspeicherung leistest und insofern auf die berufliche Nutzung deines Smartphones mit Internetverbindung und auf den Eintrag der Daten von Klienten in digitale Adressbücher verzichtest.
Beim unverschlüsselten E-Mail-Verkehr werden nicht nur Kontaktinformationen übermittelt, sondern auch konkrete Inhalte (beispielsweise Terminreihen), die theoretisch für jedermann einsehbar sind. In ethischer Hinsicht erscheint es daher auch hier sinnvoll, dass du auf inhaltliche Kommunikation und häufige Bestätigung von Terminen mittels unverschlüsselter E-Mails verzichtest.
Datenschutz und Berufsethik
Prinzipiell geht es beim Geheimnisschutz um das Recht der Klienten auf informationelle Selbstbestimmung. Verzichtet der Klient explizit darauf, entfällt die rechtliche Verpflichtung für dich. Andererseits ist der Schutz der persönlichen Geheimnisse der Klienten auch eine ethische Verpflichtung und stellt einen maßgeblichen Teil des beruflichen Images dar. Eine Beschädigung dieses Images würde auch die Bereitschaft zur Inanspruchnahme psychologischer Dienstleistungen und deren Nutzen verringern.
Sorge für das Wohl der Klientinnen und Klienten
Ein weiterer Aspekt aus den Berufsethischen Richtlinien tritt unter Umständen hinzu: die Aufgabenstellung, für das Wohl und die Interessen der Klienten zu sorgen und in ihrem wohlverstandenen Interesse zu handeln. Eine informierte Zustimmung fordert vom Klienten, die Umstände und auch mögliche Konsequenzen zu kennen. Angesichts der kontinuierlichen Entwicklung der Technik und der Kommunikationsmittel stellt dies eine große Herausforderung dar, die viele Klienten, aber Berufsangehörige gleichermaßen überfordert. Dieses Dilemma kannst du dadurch leicht lösen bzw. beschränken, in dem du im Zweifel auf ein Kommunikationsmittel verzichtest oder seine Nutzung nur ohne Übermittlung bedeutsamer persönlicher Inhalte erfolgt.
Anonymitätsannahme trügerisch
Vielleicht denkst du, dass bei Verwendung eines Spitznamens in der E-Mail-Adresse ja die Anonymität gewährleistet sei? In Zeiten von Big-Data-Analysen mit der Verwendung von IP-Adressen und anderen einfachen Hinweisen (Postleitzahl, Telefonnummer o.Ä.) ist die Anonymitätsannahme jedoch trügerisch, sodass es ethisch sinnvoll scheint auf die Übermittlung von Inhalten in unverschlüsselter elektronischer Kommunikation zu verzichten.
Klienten sensibilisieren
Ein ethisches Dilemma entsteht, wenn Klienten zum Beispiel aus Unwissen oder Bequemlichkeit auf Vertraulichkeit verzichten und unsichere bzw. öffentlich einsehbare Kommunikationsmittel oder Plattformen verwenden wollen. Da es ihre eigenen Geheimnisse sind, geht es zunächst darum zu klären, inwiefern dieser Wunsch auf einer informierten Entscheidung basiert. Du kannst Klienten sensibilisieren, in dem du entsprechende allgemeine Hinweise gibst, z.B. auf deiner eigenen Webseite, im internen Bereich des Kontaktformulars der Homepage und auf einem Informationsblatt, das beim ersten persönlichen Kontakt ausgehändigt wird. So kannst du deine Klienten auch im Treffen informierter Entscheidungen unterstützen.
Ethische Abwägungen und Entscheidungen
Letztlich sind Klienten frei, ihre Diagnosen in allen Medien preiszugeben und ihre Geschichte vollständig darzustellen. Du solltest aber sorgfältig abwägen und entscheiden, inwiefern und bis zu welchem Grad du bereit bist, einen Bruch der Vertraulichkeit mitzutragen. Zu bedenken sind hierbei das Image der Berufsgruppe sowie deine persönliche Einschätzung über einen möglichen Schadens für den Klienten. Dabei sind sehr unterschiedliche Entscheidungen vorstellbar, je nach Umständen und Überlegungen im Hinblick auf den geringsten Schaden. So kann ein Psychologe zum Beispiel darauf bestehen, zum Schutz der Vertraulichkeit über das Internet nur verschlüsselt zu kommunizieren und die Dienstleistung im anderen Fall ablehnen.
»Begleitender Schutz«
Im anderen Extrem könntest du im Kontext einer Offenbarung von Klienten in den Medien quasi in „begleitendem Schutz“ eine Coachingfunktion im Hintergrund einnehmen. Das Ziel besteht dabei in der Fürsorge bzw. Nachsorge (also darin, bei möglichen Krisen im Kontext des Medienauftritts zu intervenieren). Auch hierbei ist denkbar, dass zur Abwendung eines Schadens am Image der Profession diese Rolle nicht öffentlich gemacht oder aber auch nur in einem begrenzten Umfang eingenommen wird. In der modernen Mediengesellschaft kann es dazu kommen, dass mehr Persönliches zutage tritt, als Klienten vorab zu offenbaren bereit waren, sodass du von einer solchen Funktion in der Regel Abstand nehmen solltest.
»Wir schützen Ihre Daten!«
Jenseits dieser Extrembeispiele ist ein sorgfältiger und sensibler Umgang mit intimen Daten Wesensmerkmal psychologischer Dienstleistungen. Das eigene Angebot und die eigenen Aktivitäten sollten auf sichere Verbindungen ausgerichtet sein. Dies bedeutet unter anderem das Bereithalten eines Kontaktformulars auf einer verschlüsselten Website, inhaltlicher Austausch per E-Mail nur mit Verschlüsselung, Telefonate mit einem Gerät, bei dem Datenweitergabe ausgeschlossen ist, und die Aufklärung der Klienten über Risiken, die durch elektronische Kommunikation entstehen können.