Psychologische Onlineberatung: Was du brauchst, um online eine Praxis zu eröffnen
Reisen, Unabhängigkeit und Freiheit – klingt das nicht verlockend? Unsere Autorin Sonia Jaeger reist durch die Welt und arbeitet trotzdem als Psychologin – und zwar online. Was du alles beachten solltest, wenn du als Online-Psycholog*in arbeiten möchtest, was dich erwartet und was du nicht unterschätzen solltest, verrät sie dir hier.
Vor einiger Zeit habe ich dir hier bei psylife erzählt, wie ich digitale Nomadin und Onlinepsychologin wurde. Ich erhalte jede Woche Emails von Kolleg*innen, die sich für die Arbeit als Onlinepsycholog*in interessieren und von mir gerne wissen möchten, wie ich es geschafft habe, ob es tatsächlich funktionieren kann und was man alles beachten muss, um als Psycholog*in online erfolgreich zu sein.
Wenige Informationen für neue Kolleg*innen
Die psychologische Onlineberatung ist immer noch etwas Neues und teilweise Unbekanntes in Deutschland, auch wenn sich das langsam zu ändern beginnt (auch bedingt durch Corona). Entsprechend schwer ist es aber, Informationen, gerade rund um alle rechtlichen Aspekte zu erhalten. Der Berufsverband BDP hat zwar ein Verzeichnis für Online-Psycholog*innen, auf dem ich auch zu finden bin, aber bis auf ein paar allgemeine Hinweise zur Verwendung von sicherer Technologie und guter Aufklärung von Klient*innen über Vor- und Nachteile gibt es wenig Handfestes, was neuen Kolleg*innen den Weg erleichtern könnte.
Für Klient*innen kann diese Liste hingegen sehr hilfreich sein, denn alle Kolleg*innen auf der Liste verfügen über eine gewisses Grundmaß an Qualifikationen im Bereich Psychologie und Beratung, was man sonst im Internet im Bereich der Beratung leider nicht immer so behaupten kann.
Freiheit – Reisen – (Arbeiten?)
Der Traum des Reisens, der Unabhängigkeit und Freiheit, die ein Leben als digitale*r Nomade*in verspricht, sind verlockend. Gleichzeitig habe ich immer wieder den Eindruck, dass viele sich online arbeiten als so unglaublich einfach vorstellen, dass sie wahrscheinlich ziemlich schnell enttäuscht werden würden, sollten sie es tatsächlich versuchen.
Natürlich ist es einfacher, eine Praxis online zu eröffnen als offline. Man braucht ganz wenig Ausstattung (ein Laptop, Kopfhörer und gutes WLAN reichen im Grunde völlig aus) und man könnte sofort loslegen.
Mit einem Kassensitz als Psychotherapeut*in - den du allerdings kaufen musst - gibt es die Möglichkeit, Videosprechstunden über die Krankenkassen abzurechnen. Weitere Infos dazu und zu den Anforderungen findest du hier.
Arbeitsaufwand wird oft unterschätzt
Was die meisten nicht bedenken oder unterschätzen, ist, wie lange es dauert, bis sich eine Onlinepraxis herumspricht; wie lange es dauert, bis man im Internet gefunden wird oder wie lange es überhaupt erst mal dauert, bis man eine Webseite und Social Media Auftritte geplant und erstellt hat.
Was viele unterschätzen, ist, dass neben der tatsächlichen Arbeit mit Klient*innen, auch viele andere Tätigkeiten notwendig sind, um eine erfolgreiche psychologische Praxis online zu betreiben.
Was baucht man also alles für das Eröffnen und Betreiben einer erfolgreichen psychologischen Praxis online?
Eine Webseite
Wahrscheinlich erklärt sich das von selbst: Wer eine Onlinepraxis führen möchte, der sollte online gefunden werden. Auch wenn es sinnvoll sein kann, auf diversen sozialen Medien aufzutreten, so geht doch am Ende nichts über eine persönliche Webseite. Die muss auch gar nicht sehr aufwändig sein, aber natürlich sollte sie die wichtigsten Angaben beinhalten, die Klient*innen interessieren könnten (und natürlich auf dem neuesten Stand sein, was Datenschutz angeht).
Für den Anfang kann eine Alternative eine der vielen Plattformen darstellen, die Psycholog*innen online vermitteln. Langfristig macht der Weg über eine eigenen Webseite aber auf jeden Fall Sinn, gerade für diejenigen, die sich voll und ganz auf die eigene Onlinepraxis konzentrieren wollen.
Social Media Auftritte
Je nachdem an welche Zielgruppe man sich wendet, kann es sinnvoll sein, bei Facebook, Twitter, Instagram und Pinterest aktiv zu sein. Meiner Meinung nach gilt aber auch hier: lieber weniger, aber dafür mit mehr Inhalt und Qualität, als auf allen Hochzeiten ein bisschen mitzutanzen. Ich glaube auch nicht, dass Facebook & Co besonders wichtig sind, um Klient*innen zu finden. Denn wer sucht schon bei Facebook nach Therapeut*innen? Aber natürlich hilft es, die eigene „Marke“ bekannter zu machen und verschafft ein weiteres Stück Inhalt und Glaubhaftigkeit. Meine Klient*innen landen oft erst auf meiner Webseite und schauen sich dann auch die verschiedenen anderen Kanäle an, einfach um einen besseren Eindruck von mir und meiner Arbeit zu bekommen. Ansonsten finde ich persönlich z. B. Facebook vor allem zur Vernetzung mit Kolleg*innen unglaublich bereichernd (dazu später mehr).
Einen Blog
Ich habe von Anfang an auf meiner Webseite auch einen Blog gehabt. Durch regelmäßiges Bloggen (unter Verwendung von entsprechenden Keywords und SEO) ist es mir im Laufe der Jahre gelungen, ein sehr gutes Google Ranking zu erarbeiten. Aber auch hier: so etwas geht nicht über Nacht. Wichtig ist einerseits, dass die Webseite regelmäßig mit neuen Inhalten gefüllt wird, da man nur so auch gefunden werden kann. Andererseits hilft mir mein Blog dabei, potenziellen Klient*innen einen weiteren Eindruck in meine Arbeitsweise zu geben, ich stelle z. B. immer wieder Übungen und Geschichten aus meiner Arbeit vor oder teile Gedanken, die ebenfalls oft durch meine Arbeit oder auch durch mein Leben als digitale Nomadin angeregt werden.
Vernetzung mit Kolleg*innen
Wahrscheinlich sollte ich diesen Punkt an allererste Stelle setzen, denn ohne den regelmäßigen Austausch mit Kolleg*innen, wäre ich heute ganz bestimmt nicht dort, wo ich bin. Gerade die Onlinearbeit hat es mir ermöglicht, mich mit Kolleg*innen aus aller Welt zu vernetzen. In vielen Ländern ist die psychologische Onlineberatung bereits viel etablierter als in Deutschland. Ein Blick über den Tellerrand lohnt sich hier also ganz besonders. Neben den größeren Gruppen, in denen ich Mitglied bin, bin ich jetzt auch schon länger Teil einer Online-Intervisionsgruppe, mit der wir uns monatlich zu wichtigen Themen aus unserer Arbeit per Videochat austauschen. Darüber hinaus habe ich dieses Jahr mit Kolleg*innen einen Buchclub für Online-Therapeut*innen gegründet, für den wir jeden Monat ein Buch, das wir in unserer Arbeit nutzen oder das diese bereichern könnte, lesen und gemeinsam diskutieren. Gerade als digitale*r Nomade*in ist es ja nicht immer einfach, Freundschafen zu knüpfen und zu pflegen, in diesem Fall konnte ich das Angenehme mit dem Nützlichen verknüpfen.
Zeit und Geduld
Das Allerwichtigste: man braucht Zeit und Geduld. Auch wenn es auf den ersten Blick leicht ist, eine Onlinepraxis zu eröffnen, so dauert es doch bei den meisten mindestens 2-3 Jahre, bis es einigermaßen läuft. Wer alles selber machen möchte (und wenig Vorerfahrung im Bereich Webdesign, Social Media, Marketing etc. mitbringt) bei dem wird es tendenziell länger dauern. Wer seine Webseite z. B. in Auftrag gibt und Geld in Werbung investiert, bei dem wird es wahrscheinlich etwas schneller gehen.
So oder so, es wird nicht von heute auf morgen so sein, dass die Onlinepraxis voll ist. Was auch gut ist! Ich finde ein langsameres, natürliches Wachsen viel besser und gesünder als den schnellen Übernachterfolg. So hast du Zeit, dein Konzept reifen zu lassen, dich neben dem Marketing auch um die Inhalte zu kümmern und Schritt für Schritt mit deiner Praxis zusammenzuwachsen.
Wenn du dich weiter mit dem Thema beschäftigen möchtest, habe ich dir eine Liste mit Literatur- und Linkempfehlungen zusammengestellt, die du dir hier direkt runterladen kann.
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Liste mit Literatur- und Linkempfehlungen (Download) | 189.71 KB |