Bewegendes Geh-Spräch: 3 gute Gründe mit Klienten und Patienten öfter rauszugehen

Bewegung, frische Luft, Achtsamkeit, ein Ortswechsel... vieles spricht dafür, das Coaching- oder Therapiegespräch mal nach draußen zu verlegen, einfach mal durchzuatmen und so auf neue Ideen zu kommen. Dass das was bringt, ist sogar wissenschaftlich untersucht. Outdoor-Coach Madeleine Lang hat dir einige wichtige Erkenntnisse zusammengefasst und zeigt dir Praxistipps für das bewegende Geh-Gespräch in der Natur.

Kennst du das Gefühl, nach einem langen Strandtag nach Hause zu kommen, einem Tag voller Sonne und frischer Luft? Oder nach dem Sport gefühlt Bäume ausreißen zu können? Du bist vielleicht kaputt, aber mit sehr klaren Gedanken, motiviert und glücklich. Diese Gefühle können wir auch für Coaching und Therapie nutzen.

Öfter mal den Rahmen wechseln

Die heutige Arbeitswelt erfordert immer mehr, dass wir uns in unsicheren Situationen mit Kollegen, Vorgesetzten oder Kunden auseinandersetzen. Dabei müssen wir ständig emotionale und soziale Anforderungen regulieren, die auf Dauer zur Belastung werden können. Die Natur als Gegenpol stellt keine emotionalen und sozialen Ansprüche an uns, sondern wirkt vielmehr beruhigend. Sie stellt einen Ort dar, an dem weniger Reize verarbeitet werden müssen als beispielsweise in der Stadt. Warum daher nicht öfter den Rahmen wechseln? Denn: der Ort bestimmt das Bewusstsein.

Der sozial erwartete Rahmen einer Handlung hängt vom Ort des Geschehens ab. Im Büroalltag wird von uns erwartet, dass wir unsere Arbeit erledigen, die Leistung steht im Fokus. Wechseln wir diesen Rahmen nach draußen, werden andere Entwicklungsgedanken möglich und durch die Arbeit in der Natur positiv beeinflusst.

Dies macht auch in Coaching und Therapie ein Reframing des Gesprächs möglich.
Meine Coaching-Klienten berichten, dass „die Gespräche und die wunderbare Natur sie nachhaltig berührt haben“ und die Kombination aus Natur, Bewegung und Coaching „noch nachhallt“.

Drei wissenschaftlich untersuchte Phänomene können wir uns beim Rausgehen mit Klienten und Patienten zunutze machen:

1. Heute schon im Wald gebadet?

Wir spüren es intuitiv: Im Wald zu sein, tut uns gut. Japanische Forscher fanden heraus, dass Spaziergänge in der Natur den Blutdruck senken, den Puls regulieren und auf natürliche Weise Stresshormone reduzieren [1]. Daher ist in Japan seit den 1980er Jahren das sog. „Shinrin Yoku“, „Waldbaden“ fester Bestandteil der von staatlichen Behörden anerkannten Gesundheitsvorsorge. Dabei geht es darum, in den Wald einzutauchen, den Wald und sich selbst bewusst wahrzunehmen. Schottland hat als erstes europäisches Land nachgezogen und bindet Waldaufenthalte in die offizielle Gesundheitsstrategie ein.

Der Schwede Roger Ulrich belegte, dass bereits das Betrachten von Natur aus dem Krankenhausbett zu einer schnelleren Genesung führt. Dafür verglich er Patienten mit Blick auf eine Wand und auf einen Park  [2].

PRAXISTIPP: Das aufmerksame Geh-Spräch im Grünen kann durch Achtsamkeitsübungen verstärkt werden. Laufe dabei einmal still und für dich durch die Natur und achte ganz bewusst darauf was du siehst, hörst, riechst und schmeckst. Wie geht es dir dabei? Vielleicht siehst du einen Naturgegenstand, der das Gefühl beschreibt und den du als nachhaltige Erinnerung an den Moment mitnehmen möchtest.

2. Der Wald stärkt das Immunsystem

Im hektischen Stadtleben versetzt uns der Sympathikus unseres vegetativen Nervensystems in eine hohe Leistungsbereitschaft, indem u.a. die Herztätigkeit und der Blutdruck gesteigert werden.

Im Wald hingegen ist die Aktivität des Parasympathikus verstärkt, wie eine Forschergruppe der Nippon Medical School herausfand. Nach einem dreitägigen Aufenthalt im Wald wurde bei 12 Testpersonen festgestellt, dass sich die sogenannten Killerzellen signifikant erhöht hatten [3]. Diese erkennen und zerstören Tumorzellen und Körperzellen, die von Viren befallen sind.

Eine Ursache für diesen Befund liegt in der Kommunikation von Pflanzen untereinander. In Japan wurden bereits mehrere Tausend Pflanzenvokabeln entschlüsselt. Dabei geben Pflanzen Terpene, chemische Verbindungen, an ihre Umwelt ab. Andere Pflanzen reagieren darauf und aktivieren ihr Immunsystem. Auch Menschen reagieren auf die Terpene in der Luft, dadurch werden mehr weiße Blutkörperchen gebildet [4].

PRAXISTIPP: Im Geh-Spräch die Waldluft tief einatmen und über die Haut aufnehmen.

3. Wundermittel Bewegung

„Ich muss jetzt erst einmal zum Sport!“ Nach einem anstrengenden Arbeitstag kann uns der Sport helfen, Probleme nicht mehr so negativ wahrzunehmen, auch wenn sich objektiv die Situation nicht verändert hat. Wir kommen leichter auf neue Ideen, wenn wir vorher gedanklich feststeckten. Die Forschung hat dafür verschiedene Erklärungsmodelle.

  1. Im Gehirn wirkt Sport wie eine kleine Droge. Eine Erhöhung der Botenstoffe Serotonin und Dopamin, kann eine Art „Flow“ beim Sport mit sich bringen.
  2. Fuss et al. sehen Endocannabinoide, körpereigene Substanzen, die den Menschen in einen rauschhaften Zustand versetzen können, für ein Wohlbefinden nach dem Sport verantwortlich. Sportliche Aktivität führe zu einer vermehrten Ausschüttung von körpereigenen Cannabinoiden [5].
  3. Auch Pilger laufen oft stundenlang nebeneinander her. Dabei können diese Geh-Spräche schnell sehr intensiv werden. Dass man sich dabei nicht ansieht, wie in einem Raum, sondern gemeinsam in eine Richtung schaut, wirkt zusätzlich auf eine offene Gesprächsatmosphäre.

PRAXISTIPP: Je nach Fitness des Klienten kann auch die Geschwindigkeit des Spaziergangs etwas beschleunigt werden. In meinen Geh-Sprächen hat sich gezeigt, dass mit leicht erhöhter körperlicher Anstrengung auch die Intensität des Gesprächs zunimmt.

Wann bietet sich ein Geh-Spräch an?

Durch die Verbindung eines achtsamen Waldaufenthaltes mit dem bewussten Einatmen der Waldluft und der Bewegung in einem Geh-Spräch verstärkt sich die Einzelwirkung. Ein gemeinsames Geh-Spräch im entspannten Gang entfaltet auch schon nach wenigen Minuten seine Wirkung. Erfahrungsgemäß freuen sich die meisten Klienten über den Ortswechsel.

Wer seine Praxisräume nicht am Waldrand hat, kann auch in Stadtparks, Kleingartenanlagen oder anderen Grünflächen gehen. Ich habe mit meinen Klienten auf dem Weg zum Meer die Erfahrung gemacht, dass es sich für intensive emotionale Arbeit anbietet einen ruhigen Ort aufzusuchen. Denn öffentliche Flächen bedeuten natürlich auch, dass diese nicht exklusiv für die Klienten zur Verfügung stehen. Der Ortswechsel ist ein Geschenk für die Klienten und Patienten, die sich gestresst fühlen, und nicht zuletzt für uns Coaches und Therapeuten selbst die Möglichkeit, mal die Örtlichkeit zu wechseln und durchzuatmen.

Im Sinne Walsers: Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.

Viel Spaß beim Rausgehen!

Quellen:

  1. Park, Bum J. et al. (2010). The physiological effects of Shinrin-yoku (taking in the forest atmosphere or forest bathing): Evidence from field experiments in 24 forests across Japan, Environmental Health and Preventive Medicine.
  2. Ulrich, Roger S. (1984). View through a window may influence recovery from surgery. Science, vol. 224, Issue 4647, pp. 420-421.
  3. Qing Li et al. (2007). Forest bathing enhances human natural killeractivity and expression of enti-cancer proteins. International Journal of immunopathology and pharmacology, Vol. 20, no.  2, pp.3-8.
  4. Cho, Kyoung Sang et al. (2017). Terpenes from Forests and Human Health. Toxicological Research, Vol. 33, No. 2, pp.97-106.
  5. Fuss et al. (2015). A runner’s high depends on cannabinoid receptors in mice. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 10/2015, 112, Vol. 42.