Coaching: Stellst du die falschen Fragen? Zeit für ein Repertoire-Update

Eine Frau zieht die Schultern hoch und hebt die Hände, über deren Flächen je ein Fragezeichen schwebt

Die richtigen Fragen sind oft der Schlüssel für entscheidende Durchbrüche in deinen Coaching-Sitzungen. Erfahre, wie du dein Fragenrepertoire gezielt erweiterst, um deine Klient:innen wirksam zu unterstützen, den Gesprächsfluss bewusst zu steuern und neue Perspektiven zu eröffnen – mit Praxisübungen, die du sofort in deinen nächsten Sitzungen ausprobieren kannst.

Der Moment, in dem eine Frage alles verändert

Vielleicht hast du es schon erlebt: Dein Gegenüber schildert eine Herausforderung, und während du zuhörst, formt sich in dir eine Frage. Du sprichst sie aus und plötzlich verändert sich etwas. Dein:e Klient:in hält inne, denkt nach, der Blick verändert sich. Manchmal kommt ein leises „Das habe ich mich noch nie gefragt“. Manchmal ein tiefes Ausatmen, als würde ein unsichtbarer Knoten gelöst werden.
Solche Momente zeigen, dass Fragen mehr sind als Gesprächselemente. Sie können den gesamten Coaching-Prozess in eine neue Richtung lenken. Sie regen an, das Bekannte zu hinterfragen, und schaffen Raum für neue Ideen. Genau deshalb lohnt es sich, dein Fragenrepertoire immer wieder zu prüfen, zu erweitern und bewusst einzusetzen.

Die unsichtbare Grundlage guter Fragen ist deine Haltung

Bevor wir über Formulierungen sprechen, geht es um deine innere Haltung. Die besten Fragen entstehen aus echtem Interesse, respektvoller Neugier und der Bereitschaft, die Antwort wirklich hören zu wollen. Wenn du innerlich schon weißt, wohin das Gespräch führen „soll“, werden deine Fragen leicht suggestiv. Eine offene Haltung bedeutet, nicht sofort zu werten und den Prozess des Denkens und Fühlens zuzulassen. Das braucht Geduld und die Fähigkeit, in Stille auszuhalten, wenn dein:e Klient:in nachdenkt. Oft sind es gerade diese Pausen, in denen sich die wirklich wichtigen Gedanken formen.
Ein praktischer Tipp: Stelle dir vor jeder Frage kurz innerlich die Frage: „Dient das jetzt wirklich dem Prozess?“ Dies verhindert, dass du aus Gewohnheit oder aus deiner eigenen Unruhe heraus fragst.

Wieso Fragen die eigentliche Arbeit leisten

Deine Aufgabe als Coach ist es, Klient:innen dabei zu begleiten, eigene Lösungen zu entwickeln, die zu ihnen passen. Fragen sind dafür das zentrale Werkzeug. Sie helfen, den Blick zu öffnen, neue Perspektiven zu entdecken und festgefahrene Denkbahnen zu verlassen. Fragen wirken besonders stark, wenn sie nicht nur den Verstand, sondern auch die Vorstellungskraft und Emotionen ansprechen. Eine gut formulierte Frage kann mehr in Bewegung bringen als lange Erklärungen. Sie aktiviert Ressourcen, macht Ziele greifbar und führt zu einem Perspektivwechsel, der im Gegensatz zu Antworten, nachhaltig wirkt. Wichtig ist, Fragen kurz und klar zu halten. Sie dringen schnell durch, ohne den Denkfluss zu überfrachten. Im meinem Buch „Fragetechniken für Coaches für Dummies“ formuliere ich es so: „Die wirksamste Coaching-Methode ist zugleich die schlichteste: eine gut platzierte, wirkungsvolle Frage. Sie braucht keine Technik, kein Flipchart, kein Tool – nur echtes Interesse, Zuhören und Timing.“

Eine Frau sitzt im Therapieraum, der Therapeut reicht ihr eine Taschentuchpackung

Fragen als Prozesssteuerung

Fragen bestimmen nicht nur Inhalte, sie lenken auch die Dynamik des Gesprächs. Mit einer präzisen Frage kannst du den Fokus verschieben, vertiefen oder erweitern, je nachdem, was im Moment hilfreich ist.

Beispiele:

  • Fokus setzen: „Welcher Aspekt ist dir im Moment am wichtigsten?“
    Hilft, Prioritäten zu klären.
  • In Bewegung bringen: „Was könnte dich jetzt einen kleinen Schritt voranbringen?“
    Aktiviert Handlungsorientierung.
  • Zurück zum Kern führen: „Wenn du alles weglässt, was gerade nicht zentral ist – worum geht es dann?“
    Vermeidet Abschweifungen.

So nutzt du Fragen bewusst als Steuerungsinstrument:

  1. Zuhören, bevor du steuerst: Nur wenn du den bisherigen Verlauf gut erfasst hast, kannst du sinnvoll lenken.
  2. Offene Fragen für Weite, geschlossene für Klarheit: Setze beides gezielt ein.
  3. Meta-Fragen einbauen: Etwa: „Sind wir gerade bei dem Thema, das dir am meisten hilft?“

Warnsignale und typische Fallen beim Fragenstellen

Vielleicht merkst du gar nicht, dass du immer wieder ähnliche Fragen stellst und erst rückblickend stellst du fest, dass dein Fragenrepertoire zu schmal geworden ist. Folgende Anzeichen deuten darauf hin, dass es Zeit ist, dein Repertoire zu erweitern:

  • Wiederholung: Du greifst unbewusst auf dieselben zwei, drei Lieblingsfragen zurück.
  • Vorhersehbare Antworten: Deine Klient:innen reagieren mit routinierten Antworten, ohne spürbare neue Einsichten.
  • Fehlende Überraschungsmomente: Es gibt kaum Momente, in denen dein:e Klient:in innehält, weil eine Frage sie oder ihn unerwartet trifft.
  • Sitzungen ohne Richtungswechsel: Der Prozess bleibt linear, ohne dass neue Perspektiven entstehen.
  • Eigene Langeweile: Wenn du dich selbst dabei ertappst, dass dich deine Fragen nicht mehr inspirieren, spüren das auch deine Klient:innen.

Häufig hängen solche Warnsignale mit typischen Fallen beim Fragenstellen zusammen. Manche Fragen wirken zwar logisch, verfehlen jedoch ihre Wirkung, weil sie zu früh auf Lösungen zielen oder den Fokus zu stark verengen. Wenn du zum Beispiel fragst: „Was willst du dagegen tun?“, bevor das eigentliche Thema erfasst ist, kann das Druck auslösen und dein:e Klient:in fühlt sich schnell bewertet oder bekommt das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.

Wie im Buch beschrieben: „Die falsche Frage kann blockieren, beschämen, in Rechtfertigungen oder zu mehr Verwirrung führen. Gute Fragen dagegen öffnen, berühren, bringen Klarheit und machen Entwicklung möglich – wenn sie gekonnt gestellt sind.“

Der Schlüssel liegt darin, solche Muster zu erkennen und bewusst Fragen zu stellen, die den Raum öffnen, statt ihn vorschnell zu schließen, besonders zu Beginn eines Gesprächs.
 

Ein Pfeil mit 3 Spitzen, davor zwei Füße in Turnschuhen.

Übung: Die „Ungewöhnliche-Frage-Challenge“

Nimm dir für die nächste Woche vor, in jeder Sitzung mindestens eine Frage zu stellen, die dein:e Klient:in so noch nicht gehört hat. Diese Frage darf spielerisch, überraschend oder bildhaft sein. Hauptsache, sie bricht mit den gewohnten Denkmustern.
Beispiele:

  • „Angenommen, du könntest die Situation wie ein Foto bearbeiten – was würdest du entfernen, was würdest du hinzufügen?“
  • „Wenn ein:e gute:r Freund:in in genau dieser Lage wäre, was würdest du ihr/ihm raten?“

Jetzt bist du dran: Beobachte nach der Frage bewusst die Reaktion deiner Klient:in und lerne aus ihr.

So baust du dein Fragenrepertoire gezielt aus

Wenn du Fragen gezielter einsetzen möchtest, lohnt sich ein systematisches Vorgehen. Viele Coaches arbeiten hier mit einer Art „Fragenkompass“, also einer persönlichen Sammlung bewährter und inspirierender Fragen, die ständig ergänzt wird. Solch eine Sammlung wächst am besten, wenn du dir regelmäßig Zeit nimmst, neue Impulse zu entdecken und zu reflektieren, welche Fragen in deinen Sitzungen wirklich etwas bewegen.

  1. Rückblick nutzen
    Notiere nach jeder Sitzung, welche Fragen besonders wirksam waren. Ergänze, wie dein:e Klient:in darauf reagiert hat und in welchem Moment du die Frage gestellt hast.
  2. Kategorien anlegen
    Strukturiere deine Fragenbibliothek nach Fragearten wie ressourcenorientierte Fragen, hypothetische Fragen oder kreative Unterbrecherfragen. So kannst du während einer Sitzung schneller passende Ideen abrufen.
  3. Inspirationsquellen nutzen
    Neben Fachliteratur zu Fragetechniken gibt es praxisnahe Trainingsformate, in denen du nicht nur neue Fragen kennenlernst, sondern sie direkt im geschützten Rahmen ausprobieren kannst. Achte bei der Auswahl darauf, dass Theorie und sofortige Anwendung kombiniert werden.
  4. Fokus-Training
    Nimm dir für eine Woche bewusst eine bestimmte Frageart vor, setze sie in mehreren Sitzungen ein und beobachte die Wirkung. So trainierst du deine Flexibilität und merkst schnell, welche Formulierungen dir besonders liegen.
  5. Austausch suchen
    Im Dialog mit Kolleg:innen oder in Gruppenformaten entstehen oft neue Fragen, die du allein nicht entwickelt hättest. Nutze diese Gelegenheiten, um deine Sammlung zu erweitern.
Zwei Frauen und zwei Männer unterhalten sich an einem Bürotisch, im Hintergrund sieht man eine Pinnwand.

Ein vielfältiges Fragenrepertoire ist kein Luxus, sondern die Grundlage für wirksames Coaching. Indem du bewusst neue Fragen sammelst, ausprobierst und reflektierst, erweiterst du nicht nur deine eigenen Möglichkeiten, sondern eröffnest auch deinen Klient:innen mehr Wege zu Lösungen. Jede gezielt gesetzte Frage ist ein Angebot, über Bekanntes hinauszugehen und Neues zu entdecken – manchmal mit Folgen, die weit über das Coaching hinausreichen.