Mit Feingefühl durch schwierige Gespräche navigieren
Schwierige Gesprächssituationen gehören zum Therapie- und Beratungsalltag dazu. Gerade wenn das Gegenüber nicht offen für alternative Sichtweisen oder Lösungsimpulse ist, verzetteln wir uns schnell in Erklärungen und Gegenargumenten. Wie du eine positive Atmosphäre schaffst, die es ermöglicht, auch in herausfordernden Situationen miteinander im Gespräch zu bleiben und gemeinsam Lösungen zu finden.
Eine Therapie- oder Beratungssituation kann herausfordernd werden, z. B. wenn Klient:innen nicht offen für alternative Sichtweisen sind. Allzu schnell geraten einige von uns in eine typische Ja-aber-Diskussion: „Wenn Sie einmal genauer hinschauen, dann sehen Sie…“ - „Ja, aber in meinem Fall ist das anders ….“ Beide Gesprächspartner:innen argumentieren sich durch jedes weitere Argument tiefer in ihren eigenen Argumente-Graben hinein. Je mehr Argumente genannt werden, desto höher die Reaktanz – der innere Widerstand – gegenüber der anderen Meinung. Folgende Gesprächstechniken helfen, erst gar nicht in die Ja-aber-Falle zu tappen und das Gegenüber für alternative Sichtweisen zu öffnen.
1. Argumente geschickt umwandeln: Keinen Gegenstandpunkt einnehmen
Eine Möglichkeit, die Verteidigungshaltung des anderen zu vermeiden, ist, keinen Gegenstandpunkt einzunehmen, also: auf eine Gegenargumentation verzichten. Das funktioniert, indem du fragst, statt argumentierst. Wer sich mit dem Thema Kommunikation bereits auseinandergesetzt hat, wird nicht zum ersten Mal lesen, dass Fragenstellen eine hochwirksame Gesprächsmethode ist. Doch immer wieder tauchen Hürden auf, die verhindern, sie einzusetzen: Zum einen ist es schwierig, die geeigneten Fragen zu finden, die zu einer konstruktiven Selbstreflexion anregen. Zum anderen ist es herausfordernd, den eigenen Antwortreflex zu überwinden. Wir haben bereits Gegenargumente und Lösungen im Kopf, die wir sofort loswerden möchten. Ein Kniff, diesen Antwortreflex im Griff zu haben, dennoch die eigenen Argumente nicht verpuffen zu lassen, ist: Wandle die Gegenargumente in Fragen um. Statt „Ich habe das Gefühl, dieser Karriereschritt wird zu viel für Sie sein, denn ...“, frage: „Was bedeutet dieser Karriereschritt für Ihre Arbeitslast? Wie stemmen Sie diese?“ Es ist nicht die eigene Haltung: „Dadurch könnte sich Ihr Bruder ganz schön vor den Kopf gestoßen fühlen“, sondern: „Wie fühlt sich Ihr Bruder damit?“
Was dann passiert, ist, dass die andere Person Expertin ihres eigenen Standpunkts bleiben darf. Dadurch ist sie eher bereit, die Grenzen ihres eigenen Wissens zuzugeben: „Das weiß ich noch nicht genau. Das wäre eine Überlegung wert.“ Niemand nimmt einen Gegenstandpunkt ein, deshalb muss der eigene auch nicht verteidigt werden.
Wie bei jeder Technik gilt: Sie ist nicht die Lösung für alle Gesprächssituationen. Manchmal ergibt es durchaus Sinn, nicht zu fragen und auch eigene Lösungsvorschläge als Impuls zu geben. Doch wenn du merkst, die andere Person ist nicht offen dafür, kann es hilfreich sein, noch einmal einen Schritt zurückzugehen.
2. Touch-Turn-Talk: Sensibel gegenargumentieren
„Also das dauert hier aber lange!“ beschwert sich der Patient bei der Abholung im Wartezimmer: „Heute war sehr viel los, das tut mir leid“ – „Ich sitze hier seit halb 11, wieso geben Sie nicht rechtzeitig Bescheid, wenn sich alles zeitlich verschiebt?“ – „Es gab eine Notfallsituation und es war zu viel los, da konnte ich nicht rechtzeitig Bescheid geben.“ – „Da kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln über so viel Desorganisation!“ beschwert sich der Patient nun noch energischer. Ein Fall, mit dem ich immer wieder in Trainings für medizinisches Fachpersonal konfrontiert werde. Und immer wieder sehen wir, wie eine kleine Änderung in der Gesprächsführung deeskaliert.
Zunächst die Analyse der Situation: Was hier passiert ist, dass der Patient auf seine Beschwerde eine Erklärung bekommt, jedoch kein Verständnis. Mit einer Erklärung wird vielmehr vom Patienten Verständnis erwartet. Eine kleine Änderung durch die Touch-Turn-Technik verändert seine Gemütslage zum Positiven:
Touch: Berühre zunächst den Standpunkt des Gegenübers, und zwar nicht durch „Ich verstehe Sie“, sondern ganz konkret und durch das Benennen seiner Gefühlslage: „Das ist für Sie natürlich ärgerlich. Sie hatten einen Termin um 9:15 Uhr und jetzt ist es 10:30 Uhr. Das ist grade mit Ihren Rückenproblemen natürlich schwierig.“
Turn: Erst jetzt folgt der Übergang zu deiner Perspektive, zum Beispiel: „Ich konnte das heute Morgen leider nicht vermeiden.“
Talk: Hier hat nun deine Erklärung, Beschwichtigung oder Gegenargumentation Platz: „Es gab einen Notfall, aber jetzt nehme ich mir Zeit für Sie.“
Das Touchen, also das Berühren des Gegenstandpunkts, bemerkt das Gegenüber: „Sie hat verstanden, wie es mir geht.“ Deshalb kann er nun darauf verzichten, seine Sicht der Dinge noch weitere Male vehement zu wiederholen. Zeige also, dass du dein Gegenüber gehört hast, denn „wer unerhört ist, verhält sich unerhört.“ Dieser Satz stammt aus der Kommunikationspsychologie nach Friedemann Schulz von Thun.
Er gilt auch für unsere inneren ungeliebten Anteile, die gesehen werden wollen. Jemand, der seine Wut verdrängt oder dem Streben, den eigenen Standpunkt zu vertreten, nie nachgibt und immer klein beigibt, der wird irgendwann platzen: „Jetzt reicht‘s mir aber!“
Zeige also Wertschätzung für die Perspektive des anderen, Wertschätzung für ungeliebte innere Anteile, die im Leben einmal ihren guten Zweck hatten, bevor du zu früh eine Lösung anbietest.
3. Das Körpersprache-Dreieck: Spannungen lösen
Die Positionierung im Raum und die Körpersprache haben großen Einfluss auf die Gesprächsatmosphäre. Der Tipp, sich zugewandt in die Augen zu blicken, ist nicht immer förderlich. Eine direkte, frontale Haltung kann als konfrontativ empfunden werden. Wenn sich Tiere zum Kampf aufstellen, nähern sie sich gegenseitig frontal an und schauen sich direkt in die Augen. Auch bei uns Menschen führt eine direkte Konfrontation zu einer erhöhten Anspannung, das Thema steht zwischen uns. Eine andere Positionierung kann deeskalierend wirken: Wenn du dich nur leicht zur Seite drehst, sodass du mit deinem Gegenüber einen 30°-Winkel bildest, löst du die Spannung. Dafür brauchst du kein Geodreieck, eine leichte Öffnung ist ausreichend. So steht das Problem nicht mehr zwischen euch, sondern ihr schaut gemeinsam aus einem ähnlichen Blickwinkel darauf. Diese offene Haltung ermöglicht auch ein natürliches Wegschauen und wirkt einem Anstarren entgegen.
Droht eine Eskalation, dreh dich leicht zur Seite. Indem du Verständnis zeigst, Fragen statt Argumente verwendest und eine offene Körpersprache pflegst, schaffst du eine positive Gesprächsatmosphäre, die es ermöglicht, auch in herausfordernden Situationen im Gespräch zu bleiben und gemeinsam Lösungen zu finden.
Zum Weiterlesen:
(Werbung). Braun, Marie-Theres (2023). Menschen überzeugen, die Recht haben wollen: 28 kooperative Techniken. Frankfurt am Main: Campus.