Achtsam kommunizieren: Einfache Tipps für den Therapiealltag

Zwei Frauen sitzen sich in einem hellen Therapieraum gegenüber.

Als Therapeut:innen und Coach:innen wissen wir, wie wichtig Kommunikation ist. Doch wie können wir aus dem Multitasking-Modus raustreten und in unserer Arbeit mit unseren Patient:innen und Klient:innen achtsam kommunizieren und ihnen diese Methode mitgeben? Dieser Artikel gibt dir einen Überblick, wie du achtsamer zuhören und sprechen kannst.

Schon in meiner Kindheit beeindruckte mich die Superkraft des Zuhörens der Figur Momo aus dem gleichnamigen Kinderroman von Michael Ende. Wenn wir uns in achtsamer Kommunikation üben, können wir uns von Momo inspirieren lassen:

„[S]ie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an (...) Momo hörte allen zu, den Hunden und Katzen, den Grillen und Kröten, ja, sogar dem Regen und dem Wind in den Bäumen. Und alles sprach zu ihr auf seine Weise. (...) Und wer nun noch immer meint, zuhören sei nichts Besonderes, der mag nur einmal versuchen, ob er es auch so gut kann.“ (Ende, 1973)

Achtsame Kommunikation ist eine bewusste, absichtsvolle Art und Weise, in einen Dialog zu gehen. Die Basis dafür bildet unsere Präsenz und ein Bewusstsein über die Absicht, mit der wir in die Kommunikation treten. Was beabsichtigst du durch das Gespräch zu erreichen? Möchtest du unterstützen, überzeugen oder sprichst du nur, um die Stille zu füllen? Besonders im therapeutischen Setting spielt unsere Präsenz eine wichtige Rolle. Auch Carl Rogers räumte später in seinem Leben ein, welche zentrale Bedeutung Präsenz für uns als Therapeut:innen hat:

„Ich bin geneigt zu denken, dass ich in meinen Schriften vielleicht zu sehr die drei Grundbedingungen (Kongruenz, bedingungslose positive Wertschätzung und Empathie) betont habe. Vielleicht ist es etwas am Rande dieser Bedingungen, das wirklich das wichtigste Element der Therapie ist – wenn mein Selbst ganz klar und offensichtlich präsent ist.“ (Carl Rogers in einem Interview, 1987)

Letztlich geht es um die Frage, ob wir wirklich für unser Gegenüber da sind. Sowohl wir Therapeut:innen als auch unsere Patient:innen wissen, wie schwierig das oft sein kann. In unserem alltäglichen Multitasking-Modus läuft im Hintergrund meistens schon ein Parallelgespräch über unsere zukünftigen To-dos oder das Gehörte wird unentwegt kommentiert. Beides kann sehr ablenkend sein und sich wie eine Mauer zwischen uns und unseren Gesprächspartner:innen aufbauen. Die gute Nachricht ist, dass wir unsere Achtsamkeit während des Gesprächs wie einen Muskel trainieren können. Die folgenden Übungen kannst du selbst im Therapie- oder Beratungsprozess anwenden oder deinen Patient:innen als Übung mitgeben.

Nahaufnahme eines Ohres einer Frau mit schwarzen Haaren

Sich beim Zuhören zuhören

Um unsere Präsenz in einem Gespräch zu kultivieren, kann es hilfreich sein, sich zunächst aufmerksam beim Zuhören zuzuhören. Achte bewusst darauf, welcher innere Dialog in deinem Kopf abläuft. Vielleicht ist da eine Stimme, die schon das Abendessen plant, oder eine andere ambitionierte Stimme, die, während dein Gegenüber noch spricht, schon überlegt, was sie bei der nächsten Gelegenheit direkt ergänzen kann. 

Ähnlich wie ein Pendel kannst du zunächst mit der Aufmerksamkeit in deine Richtung pendeln und genau beobachten, was du denkst und fühlst, während du zuhörst. Danach kannst du dein Bewusstsein wieder auf dein Gegenüber richten. Stell dir vor, dass du wie ein Pendel zu ihm zurückschwingst.

 

Fragen zum achtsamen Zuhören:

  • Läuft während des Zuhörens noch parallel ein Gespräch in meinem Kopf ab?
  • Bin ich körperlich im Kontakt mit diesem Moment oder ist ein Fuß schon auf dem Sprung zum nächsten Termin? Lehne ich mich stark nach vorne oder stellt mein Körper Distanz her?
  • Mit welcher Absicht bin ich in dieses Gespräch gegangen? Will ich durch mein Zuhören helfen/da sein/Lösungen vorschlagen/mich vergleichen ...?

 

Bewusst und achtsam Sprechen

Wenn du bewusst sprichst, bist du dir der Wirkung deiner Worte bewusst. Studien haben gezeigt, dass unsere Sprache unsere Wahrnehmung beeinflussen kann. Somit können wir durch eine bewusste, absichtsvolle Wahl unserer Worte unsere eigene Realität formen, aber auch die unseres Gegenübers. Die Übung „in Bildern sprechen“, kann uns im Alltag als Erinnerungsstütze dienen, um bewusster zu sprechen. Sei dabei kreativ und überleg dir auch eigene, persönliche Metaphern.

 

In Bildern sprechen

  • Brücke: Baue ich Brücken oder zerschlage ich sie?
  • Mauer: Errichte ich eine Mauer oder öffne ich Türen?
  • Pfeile: Schieße ich Giftpfeile oder Liebespfeile?
  • Duft: Duften meine Worte wie frische Blumen oder sind sie säuerlich und stinken?
  • Wetter: Donnern meine Worte wie ein Gewitter oder sind sie eine leichte, frische Windbrise?

 

Gewaltfreie Kommunikation – mehr als nur ein Kommunikationsschema

Die gewaltfreie Kommunikation (GFK) wurde von dem Psychologen Marshall B. Rosenberg begründet und zielt darauf ab, Kommunikation so zu gestalten, dass Beziehungen aufgebaut und aufrechterhalten werden. Im Zentrum stehen vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation. Sie sind eine Einladung, innezuhalten und die Aufmerksamkeit auf sich selbst und das Gegenüber zu richten.

 

1. Beobachtungen

In diesem Schritt geht es darum, etwas zu beschreiben und dabei auf Bewertungen und Interpretationen zu verzichten. Vielen Menschen fällt das schwer. Anhand dieses Beispiels soll der Unterschied verdeutlicht werden: „Du ignorierst es immer, wenn ich Probleme anspreche.“ vs. „Ich habe beobachtet, dass du in unserem letzten Gespräch, als ich mein Anliegen geteilt habe, wenig reagiert hast.“ Richtig, der erste Satz ist eine Bewertung, der zweite eine Beobachtung. Sehr wahrscheinlich wird der erste Satz auf Widerstand stoßen, wohingegen der zweite Satz eher dazu einlädt ins Gespräch zu gehen.

Eine Frau und ein Mann im Streitgespräch

2. Gefühle

Danach drückst du aus, welches Gefühl die gemachte Beobachtung in dir auslösen. Auch das ist gar nicht so einfach. „Unser Repertoire an Schimpfwörtern ist oft umfangreicher als der Wortschatz, mit dem wir unseren Gefühlszustand klar beschreiben können“, schreibt Rosenberg. Gefühle werden oft mit Gedanken verwechselt. Beispielsweise ist der Satz „Ich habe das Gefühl, dass du mich nicht siehst“, kein Gefühl, sondern ein Gedanke. Würde der Satz stattdessen lauten: „Ich habe mich in diesem Moment einsam gefühlt“, wäre das tatsächlich ein Ausdruck einer Emotion.

 

3. Bedürfnisse

Gefühle signalisieren uns, welche Bedürfnisse wir haben. Beispielsweise steht hinter dem Gefühl Angst, oft das Bedürfnis nach Sicherheit. Doch in unserer alltäglichen Kommunikation sind wir schnell dabei Vorwürfe zu formulieren, um dem Gegenüber seine vermeintlichen Fehler aufzuzeigen. Dies ist nämlich einfacher, als sich mit der wichtigen Frage auseinanderzusetzen, was wir eigentlich brauchen. Um im obigen Beispiel zu bleiben, könnte der Satz alternativ lauten: „Ich merke einfach, dass ich Anerkennung brauche, besonders, wenn ich etwas Schwieriges erzähle, z. B. durch ein Nicken.“ Denn wenn wir selbst nicht wissen, was wir brauchen, wie können andere es wissen?

 

4. Bitten

Es reicht oft nicht aus, nur zu sagen, was wir fühlen und was wir brauchen. Sei konkret und reich deinem Gegenüber die Hand, in dem du als Hilfestellung für dein Gegenüber eine Bitte formulierst. Es ist wichtig, dass eine Bitte nicht mit einer Forderung zu verwechseln ist. Wir sollten uns auch bewusst sein, dass die Nichterfüllung unserer Bitte in Ordnung ist. Eine Bitte für das obige Beispiel könnte sein: „Sag mir bitte, ob du bereit bist, noch einmal über mein Anliegen zu sprechen. Ich bitte dich auch darum mir dazu Feedback dazu zu geben, indem du mir sagst, was du denkst.

 

Fazit

Die Basis für achtsame Kommunikation ist unsere Präsenz. Der Zen-Meister Thích Nhất Hạnh sagte (2014): „Das wertvollste Geschenk, das wir anderen machen können, ist unsere Präsenz.“ Wenn wir uns in achtsamer Kommunikation üben, können wir zunächst unser Gewahrsein auf das Zuhören richten. Beim Sprechen können wir uns durch Bilder daran erinnern, mit welcher Absicht wir sprechen und welche Folgen unsere Worte haben. Die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation bieten uns ebenfalls einen unterstützenden Rahmen für ein achtsames Gespräch. Ich hoffe, dass ich dir ein paar Inspirationen für den Arbeitsalltag mitgeben konnte und wünsche dir viel Freude beim achtsamen Kommunizieren!

 

Zum Weiterlesen

[Werbung] Main Huong Nguyen (2023). Eins mit allem: Drei Wege in dein achtsames und bewusstes Leben. Freiburg: Herder.

 

Literatur

Ende, M. (1973). Momo. Stuttgart: Thienemann-Esslinger.
Hanh, T. N. (2014). achtsam sprechen-achtsam zuhören: Die Kunst der bewussten Kommunikation. München: OW Barth.
Tichy, H. E. (2018). Die Kunst präsent zu sein: Carl Rogers und das frühbuddhistische Verständnis von Meditation. Münster: Waxmann Verlag. (S. 79-80)
Rosenberg, M. B. (2016). Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. Paderborn: Junfermann Verlag GmbH.