Interkulturalität im Coaching

Globalisierung, Migration und Zuwanderung - Coaching findet zunehmend in einem kulturell vielfältigen Umfeld statt. Ein spannendes und herausforderndes Thema für Coaches und psychologische Berater, die kultursensibel vorgehen möchten. Unsere Autorin Gertraud Kinne erklärt, was Interkulturalität im Coaching bedeutet und gibt dir drei praxiserprobte Anregungen mit auf den Weg.

Ich bin in Deutschland aufgewachsen, aber meine Klientin hat einen türkischen Migrationshintergrund. Wenn Coach und Klient unterschiedlich kulturell geprägt sind, wird das Coaching interkulturell. Coaching-Prozess und die Coaching-Beziehung können zu einer interkulturellen Herausforderung werden.

Interkulturalität macht Coaching komplexer

Interkulturelle Missverständnisse können die Kommunikation zwischen Coach und Klient erschweren. Einige Beispiele für kulturelle Unterschiede in der Kommunikation:

  • Nonverbale Botschaften wie Gesten, Blickkontakt oder Körperhaltung sowie paraverbale Botschaften (Stimmlage, Sprechtempo u.a.) oder Symbole werden häufig unterschiedlich interpretiert. So ist ein Elefant im deutschen Kulturraum ein Tier wie jedes andere Tier. Hindus interpretieren dieses Symbol hingegen als Gottheit Ganesha.
  • Es gibt auch kulturelle Unterschiede im Kommunikationsstil. So wird in Deutschland ein direkter Kommunikationsstil bevorzugt. In anderen Kulturen wird ein eher indirekter Stil gepflegt, in dem der Inhalt der Botschaft umschrieben wird anstatt direkt zur Sache zu kommen. Im afrikanischen Kulturraum werden auch häufig Bilder in der Kommunikation verwendet, um Sachverhalte zu umschreiben: „Der Baum ist gefallen“ anstatt „Mein Vater ist tot“.
  • Weitere Besonderheiten sind unterschiedliche Tabus in der Kommunikation (z.B. Gespräche über Geld oder Erkundigungen nach der Familie), der Umgang mit Schweigen (z.B. Schweigen gilt in Japan als Antwort) oder der Taktung im Gespräch, z.B. gilt in manchen Kulturen simultanes Sprechen oder häufiges Unterbrechen als Bezeugen von Interesse am Anderen.

Interkulturalität im Coaching ist oft nicht klar sichtbar

Es gibt Coaching- oder Beratungssituationen mit hoher Interkulturalität und einer klar erkennbaren kulturellen Überschneidungssituation, z. B. wenn ein Coach, der bisher noch nie Kontakt mit der arabischen Kultur hatte, einen Klienten in Abu Dhabi coacht, welcher seinerseits noch nie Kontakt mit der deutschen Kultur hatte. Im Migrationskontext sind interkulturelle Begegnungen hingegen häufig gekennzeichnet von geringer und wenig sichtbarer Interkulturalität, z. B. ein Klient hat russische Wurzeln, ist aber in Deutschland aufgewachsen.

Die kulturelle Prägung beeinflusst unsere Wahrnehmung des Anderen und die Art und Weise, wie wir Signale deuten und interpretieren.

Achtung - Stolperstein Kultur

Kultur prägt unser Erleben und Verhalten, gibt Orientierung und schafft eine gewisse Normalitätserwartung. Häufig wird die eigene kulturelle Sichtweise als die einzig richtige Sichtweise gesehen und es wird versucht, den vermeintlich richtigen oder „normalen“ Ablauf durchzusetzen.

Die kulturelle Prägung beeinflusst unsere Wahrnehmung des Anderen und die Art und Weise, wie wir Signale deuten und interpretieren. Kultur ist ein Stolperstein in unserer Wahrnehmung und Bewertung des kulturell Fremden. Weiter verengen Stereotype und vereinfachende Kategorien unseren Blick. Eine fremde Person wird häufig nur hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einer kulturellen Gruppe eingeordnet („Die Türkin“) und nicht als vielfältiges Individuum wahrgenommen.

Aber wie kannst du als Coach nun damit umgehen? Hier drei interkulturelle Anregungen für Berater und Coaches.

1. Den Faktor Kultur angemessen berücksichtigen.

Kultur beeinflusst das Verständnis von Beratung und die Rolle des Beraters oder des Coach. Beratungsformen, die sich in Europa oder den USA entwickelt haben, lassen sich nicht einfach auf andere Kulturen übertragen. Das bedeutet für dich als Coach zu hinterfragen, ob das westlich geprägte Menschenbild deines Beratungsansatzes, welches z.B. Selbstverwirklichung als wichtiges Ziel sieht, zum kulturellen Hintergrund deines Klienten passt.

Kultur prägt auch unser Erleben und Verhalten, beeinflusst den Coaching-Prozess und erschwert die Kommunikation zwischen Coach und Klient. Eine kulturelle Sensibilisierung, z.B. in Form eines interkulturellen Trainings, kann dir hier als Coach helfen. Ebenso bedeutsam ist es aber, den Einfluss der Kultur im Coaching-Prozess nicht zu überschätzen. Kultur erklärt nicht alles!
 

2. Eigene interkulturelle Kompetenz erweitern.

„Interkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, in interkulturellen Situationen effektiv und angemessen zu agieren; sie wird durch bestimmte Einstellungen, emotionale Aspekte, (inter-)kulturelles Wissen, spezielle Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie allgemeine Reflexionskompetenz befördert“ (Quelle: Bertelsmann Stiftung und Fondazione Cariplo, 2008, S.5). Mit Hilfe interkultureller Kompetenzen kannst du kulturelle Stolpersteine erkennen und den Coaching-Prozess kulturell angemessen gestalten. Interkulturelle Kompetenz hilft dir auch dabei, Potentiale und Stärken von Menschen mit anderen kulturellen Wurzeln besser wahrzunehmen und somit einen wichtigen Wirkfaktor im Coaching zu nutzen.

Für mich ist die Entwicklung von Ambiguitätstoleranz ein besonders wichtiger Teil interkultureller Kompetenz in Coaching. Ambiguitätstoleranz ist die Fähigkeit auszuhalten, dass andere Menschen eine andere (kulturelle) Sichtweise haben und Vieldeutigkeit oder Unsicherheit ertragen zu können.

Das Erleben kultureller Verschiedenheit ist meist von Unsicherheit und starken Emotionen geprägt.

3. Interkulturellen Stress bewältigen

Das Erleben kultureller Verschiedenheit ist meist von Unsicherheit und starken Emotionen geprägt. Die erlebte Unsicherheit und Ambiguität oder auch eigene Akkulturationserfahrungen können Stressreaktionen auslösen. Ich habe hier mit förderlichen Einstellungen, wie z.B. den Blick auf Lernmöglichkeiten zu richten, gute Erfahrungen gemacht.

Mein Lieblingsspruch zum Schluss

„Lass Dir aus dem Wasser helfen, sonst wirst Du ertrinken“ … sprach der freundliche Affe und setzte den Fisch behutsam auf den Baum. (Quelle unbekannt)

Zum Weiterlesen

Kinne, G. (2016). Interkulturelles Coaching im Kontext von Migration und Flucht.  Universität Freiburg.

Kinne, G. (2013). Ambiguitätstoleranz. Ein mehrdeutiges psychologisches Konstrukt. In: Mondial. Jahresedition. SIETAR Journal für interkulturelle Perspektiven, 2013.

Typisch Deutsch, typisch Araber, typisch … - Wie Kultur unser Verhalten bestimmt. In: InZeitung April 2012.