Warum kultursensibles Dolmetschen so wichtig ist
Hast du schon mal mit Dolmetscher*innen zusammengearbeitet? In der Psychotherapie mit geflüchteten Menschen sind kultursensible Dolmetscher*innen essenziell. Doch viele Psychotherapeut*innen sind in der Zusammenarbeit unsicher. Wie finde ich qualifizierte Dolmetscher*innen? Und wie sieht die Zusammenarbeit in der Praxis aus?
Vielleicht hast du sie auch: Vorbehalte, für deine Therapiestunde Dolmetscher*innen hinzuzuziehen. Viele Psychotherapeut*innen haben Bedenken, dass Dritte stören könnten, das Vertrauensverhältnis nicht aufgebaut werden kann oder Gesprächsinhalte verfälscht werden.
„Ja, die Therapiestunde verläuft anders, aber gut anders“, erklärt Marie Bette, leitende Psychologin der transkulturellen Ambulanz, Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Integrationsbeauftragte in der LVR-Klinik Düsseldorf. Sie sammelt seit 2013 Erfahrungen mit kultursensiblen Dolmetscher*innen, vor allem im Bereich Psychotherapie für geflüchtete Menschen. „Für uns ist die Zusammenarbeit mit Dolmetscher*innen essenziell, nur mit ihnen entsteht eine Verständigung mit unseren Patient*innen. Bei der Auswahl der geeigneten kultursensiblen Dolmetscher*innen sollte man allerdings einige wichtige Aspekte berücksichtigen.“
Wichtige Qualitätskriterien für die Auswahl von Dolmetscher*innen
„Nach meiner Erfahrung ist durch die Hinzunahme immer ein effizientes Therapiegespräch wie gewohnt möglich“, berichtet Marie Bette von ihren Erfahrungen. „Es wird genau das verdolmetscht, was gesagt wurde, nicht mehr und nicht weniger. Durch das Fachwissen und die Routine der ausgebildeten Dolmetscher*innen ist kaum Anleitung notwendig. Sie wissen, was zu tun ist und die Rahmenbedingungen sind vollkommen klar. Kulturelle Unterschiede können während des Gesprächs direkt erläutert werden, sodass keine Missverständnisse entstehen.“
Welche Qualitätskriterien sollten kultursensible Dolmetscher*innen mitbringen?
Für die Dolmetscher*innen sind viele zentrale Fertigkeiten wichtig:
- Fachwissen im Bereich der Psychotherapie
- Schweigepflicht
- Transparenz
- Neutralität
- Professionelle Distanz
- Gleichzeitiges Empathievermögen
Für dieses umfassende Hintergrundwissen und die Praxiskenntnisse sollten sie eine umfassende Vollzeit-Qualifizierung, mit einer Dauer von mindestens 12 bis 18 Monaten (Beispiel Qualifizierung der SprInt geG) absolviert haben. Nach der schriftlichen und mündlichen Prüfung sind die Absolvent*innen dann sogenannte Sprach- und Integrationsmittler*innen.
Für eine transkulturelle Psychotherapie ist es außerdem hilfreich, dass die Sprach- und Integrationsmittler*innen selbst einen Migrationshintergrund haben. Dadurch bringen sie Erfahrungen aus ihren Herkunftsländern und aus dem Leben in Deutschland mit und erleichtern die Kommunikation zwischen Therapeut*in und Patient*in. Kulturelle Missverständnisse können vermieden oder schnell geklärt werden.
In der Praxis
„Eine Sitzung mit Sprach- und Integrationsmittler*innen dauert bei uns insgesamt 60 Minuten. Etwas länger als eine Therapiesitzung ohne Sprach- und Integrationsmitter*in.“ Alle Gesprächsbeteiligten, Psychotherapeut*in, Patient*in und Sprach- und Integrationsmittler*innen sitzen sich in Form eines gleichschenkligen Dreiecks, der sogenannten Triade, gegenüber. Es wird konsekutiv gedolmetscht – das bedeutet, dass immer 2-3 Sätze von Patient*in oder Psychotherapeut*in gesprochen werden, anschließend wird verdolmetscht. Es findet zu Beginn ein kurzes Vorgespräch über Ablauf und Thema der Sitzung sowie ein kurzes Nachgespräch statt. Ein großer Vorteil: „Die Verdolmetschungen bedeuten für mich als Psychologin immer wieder kleine Mini-Pausen, die ich für die Reflexion oder kurze Notizen nutze“, so Frau Bette.
Die digitale Variante
Eine Therapiestunde mit Sprach- und Integrationsmittlung per Telefon? „Ich hatte zunächst Bedenken, ob das rein organisatorisch und in diesem sensiblen Setting überhaupt möglich ist. Kann eine effektive Kommunikation mit intimen Gesprächsinhalten zustande kommen?“, erinnert sich Frau Bette. „Aber im Zuge der Corona-Pandemie und der einhergehenden Kontaktbeschränkungen, hatten wir keine andere Wahl. Wir hatten beispielsweise auch mehrfach den Fall, dass gesamte Flüchtlingsunterkünfte unter Quarantäne gestellt wurden. Der Kontakt mit den Patient*innen konnte so mittels Dreierkonferenz per Telefon aufrecht erhalten bleiben. Und es funktioniert tatsächlich sehr gut.
Die Sprach- und Integrationsmittler*innen sind auch auf diesem Gebiet so routiniert, dass sich auch die Patient*innen schnell an diese neue Situation gewöhnen“. Die Vorteile – eine schnelle, flexible und ortsunabhängige Verfügbarkeit – sind auch unabhängig von einer Pandemie nützlich. Beispielsweise kann Patient*innen in akuten Krisen schnell geholfen werden.
„Viele unserer Patient*innen sind auf eigenen Wunsch nun bei der digitalen Variante geblieben. Es ist für sie leichter, in den Alltag zu integrieren, ohne Anfahrtsweg und ohne die Organisation einer Kinderbetreuung. Die Variante per Video ist für das therapeutische Setting, sofern die technischen und räumlichen Möglichkeiten auf beiden Seiten gegeben sind, immer zu bevorzugen, da auch die nonverbale Kommunikation möglich ist und Emotionen deutlicher werden.“
Sollten Angehörige übersetzen?
Viele Einrichtungen wählen aus Mangel an Finanzierung oder Zeit leider immer noch als vermeintliche Lösung Laiendolmetscher*innen“, erklärt Frau Bette. „Um Fehldiagnosen und -behandlungen zu vermeiden ist das wechselseitige Verständnis und somit eine genaue Verdolmetschung essenziell.“
Besonders prekär wird es, wenn Kinder oder Angehörige als „Dolmetscher*innen“ zu den Gesprächen hinzugezogen werden. Sie werden damit oft maßlos überfordert. Im Therapiesetting müssen die Schweigepflicht und der Raum für ein vertrauliches Gespräch gewahrt werden. Durch die Verdolmetschung durch Angehörige ist dies nicht geboten. „Ich würde daher die Zusammenarbeit mit Laiendolmetscher*innen oder Angehörigen immer von vorneherein ablehnen, wenn die Möglichkeit des Einsatzes von Sprach- und Integrationsmittler*innen besteht. Wenn Patient*innen Familienmitglieder zur Unterstützung mitnehmen möchten, dann kann man dies ermöglichen, aber immer mit zusätzlichen Sprach- und Integrationsmittler*innen.“
Wie finde ich den richtigen Dienstleistenden?
Am besten man gibt direkt die Stichworte „Sprach- und Integrationsmittlung“ und „kultursensibles Dolmetschen“ im Internet in die Suchmaschine ein.
Damit eine Sprach- und Integrationsmittlung wirklich fachkompetent, kultursensibel und professionell durchgeführt wird, sollte man bei der Auswahl des Dienstleistenden auf die oben genannten Qualitätsmerkmale unbedingt achten und sich vor einer Buchung auf der Internetseite informieren. Ein guter Dienstleistender arbeitet außerdem mit regelmäßigen Supervisionen, Personalentwicklung für die Sprach- und Integrationsmittler*innen und bietet einen kundigen Buchungsservice an, der bereits vor der ersten Buchung persönlich und detailliert berät.
Die Kosten belaufen sich durchschnittlich bei ca. 45 € pro Stunde, plus Anfahrtskosten der Sprach- und Integrationsmittler*innen. Diese fallen bei einer Sprachmittlung per Telefon oder Video natürlich weg. Die Krankenkassen übernehmen leider nur in sehr seltenen Ausnahmefällen die Kosten oder im Falle einer Gebärdenverdolmetschung. Bessere Anlaufstellen bezüglich der Kostenübernahme sind beispielsweise Sozial-, Arbeits- oder Jugendämter und Kommunale Integrationszentren. „Bei uns in der Klinik haben wir die tolle Möglichkeit, dass der LVR (Landschaftsverband Rheinland) die Dolmetschkosten in der Behandlung fördert und wir dadurch ausgebildete, professionelle Sprach- und Integrationsmittler*innen einsetzen können“, erläutert Frau Bette.
Ein gutes Miteinander
Während einer Psychotherapie muss man thematisch in die Tiefe gehen. „Ohne den Aufbau von Vertrauen und ein gutes Miteinander geht das nicht“, erklärt Frau Bette. Dies entsteht nur durch eine zugewandte, warme und akzeptierende Haltung der Sprach- und Integrationsmittler*innen gegenüber den Patient*innen. Daher ist es sinnvoll, direkt bei der ersten Buchung auf eine gute Passung zwischen Patient*in und Sprach- und Integrationsmittler*in bei Geschlecht, Religion, Volksgruppe und Dialekt zu achten. Während einer laufenden Therapie ist es ideal, immer die/den gleichen Sprach- und Integrationsmittler*in hinzuzuziehen. Ob Sprach- und Integrationsmittler*innen und Patient*in gut harmonieren, sollte direkt nach der ersten Sitzung durch die Therapeut*innen abgeklärt werden, da Patient*innen von sich aus zu höflich sein könnten, diese Probleme anzusprechen.
„Dass meine Patient*innen sich wohl fühlen und dass eine angenehme Atmosphäre im Dolmetschsetting herrscht, hat für mich oberste Priorität“, erklärt Frau Bette. „Ich selbst trage auch dazu bei, indem ich meine eigene Ausdrucksweise an das Sprachniveau der Patient*innen anpasse und wenig Fremdwörter verwende. Zusätzlich achte ich während des Gesprächs sehr auf die nonverbale Kommunikation von meinen Patient*innen und kann daran ableiten, ob es ihnen gerade gut geht“.
Ausblick
Aktuell gibt es leider immer noch einen hohen Anteil von schweren psychischen Erkrankungen unter Geflüchteten in Deutschland (Details und Zahlen siehe AOK-Studie von 2018). Es besteht daher ein hoher Behandlungsbedarf, der aktuell nicht annähernd gedeckt werden kann.
Frau Bette fasst abschließend zusammen: „Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass der Einsatz von Sprach- und Integrationsmittlung in der Psychotherapie gängige Praxis wird und als Leistung in der Behandlung abgerechnet werden kann.“