Wie sieht ein Auslandseinsatz als Psychologin aus?

Viele Menschen legen die Hände im Kreis aufeinander.

Im Ausland arbeiten. Andere Länder kennenlernen. Das eigene Fachwissen nutzen, um Menschen in Krisen zu helfen. In Rund 70 Ländern leistet die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen weltweit Nothilfe in Krisen- und Kriegsgebieten. Die Psychologin Heike Zander war bereits viermal im Auslandseinsatz und erzählt im psylife-Interview von ihren Erfahrungen.

Frau Zander, wie sind Sie zu „Ärzte ohne Grenzen“ gekommen? 

Ich war schon immer an der Organisation und ihren Einsätzen interessiert. Ich habe mich im Internet informiert, bin zu einem Informationsabend gegangen und habe im Anschluss eine Bewerbung geschrieben. Nach einem Assessment-Test und einem Interview wurde ich in den „Pool“ möglicher Expatriates für den Mental Health Bereich aufgenommen. Kurze Zeit später wurde mir mein erster Einsatz in Tadschikistan angeboten und ich habe angenommen. 

Was hat Sie daran gereizt, ins Ausland zu gehen?

Die Idee, als Psychologin im Ausland zu arbeiten, hatte ich schon länger. Ich fand es eine spannende Herausforderung, mein Hintergrundwissen in einer anderen Sprache zu vermitteln und zu lernen, wie Psychologie in anderen Kulturen verstanden wird. Zudem bin ich schon immer gern gereist. Die Arbeit im Ausland gab mir nicht nur die Chance, in Länder zu reisen, in die ich sonst nie gekommen wäre; sie gab mir auch die Möglichkeit, mehr vom Alltag und dem tatsächlichen Leben in den Ländern kennenzulernen, als dies ein üblicher Urlaub bietet.

Porträt der Psychologin Heike Zander

Wo waren Sie eingesetzt?

Nach meinem ersten 13-monatigen Einsatz in Tadschikistan bin ich bislang sechs Monate in Syrien, sechs Monate in Libyen und sieben Monate in Griechenland eingesetzt worden. In Syrien und Griechenland war ich dabei für die psychologische Leitung mehrerer Projekte gleichzeitig verantwortlich.

Das sind ja sehr viele Stationen. Ist das so vorgesehen, dass die Zeit vor Ort begrenzt ist? 

Die zeitliche Begrenzung hängt vom Einsatzort ab. Die Sicherheit des Projektlandes und die damit einhergehenden Einschränkungen für Expatriates sowie der Fokus des Projektes (Notfallprojekt versus Entwicklungsprojekt) haben einen Einfluss darauf, wieviel Zeit erfragt wird. Im Mental Health Bereich sind sechs Monate meist das Minimum, aber Verlängerungen sind immer möglich.

Wie sah Ihr Berufsalltag aus?

In der Leitungsposition ging es darum zu verstehen, wie die psychologische Unterstützung in das Gesamtkonzept des Projektes passt und welches Ziel wir verfolgen: Geht es zum Beispiel darum, ob die Patient*innen darin motiviert werden sollen, einer medizinischen Behandlung treu zu bleiben (wie z. B. bei Tuberkulose, HIV, Thalassämie)? Oder geht es darum, das Verständnis von Gesundheit um das Wissen zu mentaler Gesundheit zu erweitern (also das Stigma zu verkleinern, dass Menschen, die psychologische Hilfe beanspruchen, verrückt seien)? Oder geht es um psychologische erste Hilfe nach Katastrophen oder gar Kurzzeittherapien und Resilienzstärkung bei akuter Traumatisierung (z. B. nach dem Erleben sexueller Gewalt, Folterung, Diskriminierung aufgrund von Rasse und/oder sexueller Orientierung)?

Aussicht auf Tripoli (Libyen)

An dem Fokus orientiert sich, welchen Grad der Weiterbildung die Mitarbeiter*innen haben sollten bzw. wieviel Zusatzwissen vor dem Hintergrund ihrer Möglichkeiten im eigenen Land noch notwendig ist, um sie auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Dies herauszufinden, und die Kolleg*innen dann dementsprechend zu schulen und im weiteren Verlauf zu supervidieren, macht den größten Teil meiner Aufgabe aus.

Ein weiterer ist es, Daten zu sammeln, um die getane Arbeit regelmäßig abbilden zu können, aber auch, um mögliche zukünftige Veränderungen vorschlagen und implementieren zu können.

Das klingt so, als wäre auch viel Netzwerkarbeit und Kooperation mit anderen Professionen wichtig. Wie haben Sie diese Zusammenarbeit vor Ort erlebt? 

In jedem Projekt gibt es unterschiedliche Abteilungen (z. B. Medizin, Logistik, Administration, Projektleitung), die Hand in Hand arbeiten, um einen reibungslosen Ablauf und das Erreichen der gesetzten Ziele zu ermöglichen. Hier ist ein regelmäßiger Austausch wichtig. Auch der Austausch mit anderen Organisationen ist wichtig, um eine Überlappung von Angeboten zu vermeiden. Dies ist aber meist Aufgabe von der Projektleitung.  

Was war für Sie die größte Herausforderung?  

Am Anfang war es auf jeden Fall die Arbeit mit Übersetzer*innen, da es ein Umdenken erfordert, Dinge klar und simpel genug auszudrücken, um eine flüssige und korrekte Übersetzung zu ermöglichen. In jedem neuen Land ist aber auch der Kulturschock trotz aller Vorbereitung nicht zu unterschätzen. Für mich war er nicht überall gleich (in Syrien war er bisher am stärksten), aber immer vorhanden. Da der Einsatz immer auch zeitlich begrenzt ist, fordert es eine schnelle Einarbeitung und klare Verfolgung von realistischen Zielen durch die gesamte Zeit, was sehr ermüdend ist. 

Wie ist es Ihnen gelungen, mit dieser Belastung umzugehen? Welche Möglichkeiten der Supervision gibt es zum Beispiel

Ich habe von Anfang an immer viele Ressourcen in die Projekte mitgebracht: Sei es meine Yogamatte, Musik, Filme auf dem Laptop, Karten- und/oder Brettspiele sowie Mandalas. Im Projekt wird häufig gemeinsam gekocht und gegessen oder es gibt Filmabende. Auch Sportequipment ist meist vorhanden und steht jedem zur Verfügung. Sollte all das nicht ausreichen gibt es durch Ärzte ohne Grenzen das Angebot der Psychological Support Unit, an die sich jeder wenden kann, um Anliegen mit professioneller Unterstützung zu bearbeiten.

Wie sind Sie mit Sprachbarrieren umgegangen? 

Für den Arbeitsinhalt hatte ich bisher immer das Glück, entweder Kolleg*innen im Team zu haben, die Englisch sprachen, oder das Projekt hatte Übersetzer*innen engagiert. Im ersten Projekt war ich auch lange genug, um zu versuchen, die Sprache zu lernen. Da die offizielle Sprache im Projekt meist Englisch oder Französisch ist (was ich leider nicht spreche), bin ich bisher immer dabei geblieben, lerne aber einfache Worte für den täglichen Gebrauch. 

Ansonsten hat es mir viel geholfen zu verstehen, wie viel mehr Zeit Kommunikation mit Übersetzer*innen braucht und wie wichtig es ist, diese Geduld aufzubringen, besonders wenn ich will, dass mein Gegenüber den Inhalt soweit versteht, um ihn selbst anwenden zu können. 

Eine Frau und ein Mann, östlich aussehend.

Gibt es auch etwas, das beim Kulturschock hilft?

Mir hat die Gewöhnung an den Alltag vor Ort und das Kennenlernen meiner Kolleg*innen geholfen.

Was ist die wertvollste Erfahrung, die Sie aus Ihrem Auslandseinsatz mitnehmen?

Dass Kommunikation und Fürsorge über kulturelle, ethnische und religiöse Unterschiede hinweg funktionieren, solange man offen und interessiert auf sein Gegenüber zugeht. Und dass wir weit weniger Konsum benötigen, als wir das hier in Deutschland gewohnt sind. 

Sie sind jetzt wieder zu Hause – was haben Sie als erstes gemacht bzw. worauf haben Sie sich die meiste Zeit gefreut? 

Deutsches Brot – darauf freu ich mich immer – und auf bestimmte Cafés und Restaurants, in denen ich mich gerne mit Freunden treffe bzw. wieder treffen werde, sofern es COVID zulässt. Dann freue ich mich immer darauf, wieder draußen laufen gehen zu können und meinen eigenen Rhythmus in meinen eigenen vier Wänden zu haben.

Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus? 

Aktuell bin ich an weiteren Projekten interessiert und schaue zusammen mit dem Büro in Berlin, welche Möglichkeiten es gibt. Je nachdem, was mich interessiert und herausfordert, entscheide ich dann, worauf ich mich bewerbe. 

Junge Frau vor einem Geländewagen.

Was würden Sie Kolleg*innen raten, die eventuell auch überlegen, als Psycholog*in oder Psychotherapeut*in ins Ausland zu gehen?

Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass das, was wir in der westlichen Welt unter Psychologie verstehen, eben auch vor allem auf westliche Kulturen übersetzbar ist. Je nach Ausland geht es immer darum, deren Verständnis von Psychologie zu erfragen, anstatt das eigene Wissen blind zu übersetzen. 

Und wer als Mental Health Activity-Manager mit Ärzten ohne Grenzen eingesetzt wird, sollte drauf gefasst sein, dass es viel mehr um Weiterbildung und -entwicklung der Mitarbeiter*innen sowie Dokumentation geht als darum, selbst Psychotherapie durchzuführen (ausgenommen natürlich, man wird direkt als Psycholog*in eingesetzt). 

Mehr Infos findest du unter Ärzte ohne Grenzen – auch zur möglichen Mitarbeit in Projekten sowie zu Infoveranstaltungen