Binationale Paare kultursensibel begleiten
Sprachbarrieren, Missverständnisse und kulturelle Unterschiede. Bei bikulturellen Partnerschaften kommen zu üblichen Beziehungskonflikten oft noch weitere Stolpersteine hinzu. Was du in der Beratung und Therapie binationaler Paare beachten solltest und wie du sie kultursensibel begleiten kannst.
Ich habe mich in meiner Arbeit auf bikulturelle Paare spezialisiert. Bikulturelle Beziehungen meint Beziehungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Nationalitäten, Ethnien oder Kulturen. Bei der Verwendung dieses Begriffs spielt die religiöse Weltanschauung keine primäre Rolle (im Gegensatz zu interkonfessionellen und interreligiösen Beziehungen). Jede fünfte Ehe/Beziehung ist mittlerweile bikulturell.
Das Interesse an der Beratung/Therapie von bikulturellen Paaren entspringt einerseits meinem beruflichen Hintergrund als Psychotherapeutin und Linguistin. Andererseits meiner eigenen Beziehung zu einem holländisch-australischen Mann, den ich im Zuge einer Weltreise in Kambodscha kennengelernt habe. Wir sprechen zu Hause mit unseren zwei Kindern einen Mix aus Französisch, Deutsch, Niederländisch und Englisch (code-switching). Die Stolpersteine sind mir daher aus einer wissenschaftlichen und zutiefst persönlichen Perspektive geläufig, genauso wie die enorme kulturelle Bereicherung.
Bikulturelle Beziehungen sind anders herausfordernd
Oft begegnen bikulturelle Paare erstmals einer gewissen Neugier und einigen Vorurteilen: „Wieso sprecht ihr nicht Deutsch miteinander, ihr lebt doch in einem deutschsprachigen Land?“, „Eine Sprache pro Kind, man soll doch nicht mischen“. (Eine These, die mittlerweile als gar nicht so gesichert gilt. Kinder wissen im Grunde ganz genau, wer die Zweitsprache versteht und wo code-switching möglich ist.)
Die Paare bringen grundsätzlich „normale Paarprobleme“ mit zu mir, oft kommen jedoch zusätzliche Fragen hinzu, die in monokulturellen Beziehungen keine oder eine untergeordnete Rolle spielen. Anders als oft angenommen, sind binationale Partnerschaften keineswegs krisenanfälliger als monokulturelle Beziehungen. Die Herausforderungen gestalten sich nur ein wenig anders:
1. Mit Sprachbarrieren umgehen
Kommunikationsprobleme und Missverständnisse spielen durch die unterschiedliche Beherrschung, Interpretation, Konnotation und das Kulturverständnis in den Sprachen eine große Rolle und können zu einer großen Frustration führen, wenn sie nicht hinreichend verstanden werden.
Folgende Fragen sollten im Zuge des therapeutischen Prozesses abgeklärt werden, um den Bezugsrahmen der Patient:innen verstehen zu können: Ist die gemeinsame lingua franca die Muttersprache eines/einer Partner:in oder für beide eine Fremdsprache?
Ist die lingua franca niemands Muttersprache und wird von beiden auf einem guten Sprachniveau beherrscht, scheint es, meiner Erfahrung nach, oft ein besseres Gleichgewicht zu geben. Es steigt jedoch auch die Wahrscheinlichkeit für Missverständnisse in der Alltagskommunikation (das Vokabular beim Zusammenbauen von Kästen hat man kaum auf Englisch parat).
Spricht man in der Muttersprache einer Person ist diese sprachlich doch oft im Vorteil und kann sich naturgemäß besser ausdrücken. Oft nimmt hier die Toleranz gewisser sprachlicher, oft persistierender Sprachdefizite, mit der Zeit ab und kann sich zu einem sensiblen Thema des Nicht-verstanden-werdens entwickeln. Die Paare vergessen im Laufe der Zeit durchaus, dass es eben nicht die Muttersprache des/der anderen ist.
Gerade in der Fremdsprache fehlt uns oft der kulturelle Bezug zu dem Gesagten, der Konnotation, die Interpretation der Sprechgeschwindigkeit oder Lautstärke (ein häufiges Thema bei meinen amerikanisch- deutschsprachigen und spanisch-deutschsprachigen Paaren ist die Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit, die innerhalb des eigenen kulturellen Bezugsrahmens interpretiert wird und oft negativ konnotiert ist).
Lebt das Paar im Herkunftsland einer Person kann das hinsichtlich der Sprache zu weiteren Stolpersteinen führen. Die Zuständigkeit für Behördengänge und administrative Angelegenheiten werden dann eher von der Person des Herkunftslandes übernommen. Das führt auf Dauer zu einem Gefühl des Ungleichgewichtes und der gefühlten Überforderung.
Ein österreichisch-französisches Paar hat gemeinsam ein Haus gebaut und die Frau musste die Kommunikation und Übersetzung mit den Handwerkern übernehmen, da die Sprachkenntnisse des französischsprachigen Partners dafür nicht ausreichten. Die Frau, die ohnedies seit ihrer frühen Kindheit das Gefühl von „nicht ausreichendem Verständnis“ und „alleiniger Verantwortung“ hatte, fühlte sich zunehmend allein gelassen. Dies erzeugte ein hohes Ausmaß an Konfliktpotential. Der Partner auf der anderen Seite blieb ebenso unverstanden zurück. Sein Gefühl der Wertlosigkeit und des „nichts richtig machens“ verstärkte sich.
In solchen Situationen hilft in der Therapie der Imagodialog, bei dem mit Spiegeln, Einfühlen und Validation gearbeitet wird. Das Gesagte wird, angeleitet durch den/die Therapeut:in, ohne Interpretation wiederholt, was bei unterschiedlichen Muttersprachen eine sehr gute Stütze ist und Sicherheit innerhalb eines gewissen Bezugsrahmens gibt. Die Paare können aufeinander zugehen.
Bei dem österreichisch-französischen Paar wurden so die ursprünglichen Gefühle, die wenig mit dem Ist-Zustand zu tun hatten, verstanden und gemeinsam an einer für beide Parteien akzeptablen Lösung gearbeitet: Der Mann übernahm in seinem sprachlichen Handlungsspielraum einen Teil der Kommunikation mit den Handwerkern und es wurde ein englischsprachiger Architekt gesucht. Die Frau erfuhr auf praktischer Ebene Entlastung und es gelang ihr, die Bemühungen ihres Mannes wertzuschätzen.
2. Akzeptanz für kulturelle Unterschiede finden
Ein wichtiger Punkt ist, nicht starr von seinem eigenen kulturellen Bezugsrahmen auszugehen und darin zu verharren. Psychoedukation im Bezug auf Kultursensibilität kann sehr hilfreich sein, stellt aber zugleich besondere Anforderungen an die therapeutische Kulturkompetenz.
Das Entwickeln einer eigenen Paarsprache und einer sogenannten dritten Kultur (third culture) ist oft hilfreich. Dann lässt man Sätze wie „I don‘t want jetzt einen Wein.“ einfach stehen. Wenn es nicht um hochkomplexe Gespräche geht, ist das grundsätzliche Verständnis einer Botschaft vordergründiger als die korrekte Grammatik oder der Gebrauch einer einzigen Sprache. Das code-switching ist eine enorme Fähigkeit, sich auf unterschiedliche Gesprächsmodi einzustellen und völlig adäquat mit den Ansprüchen der jeweiligen Kommunikationssituation umzugehen.
Der/die Partner:in mag nicht die Sendung aus der Kindheit oder dieses eine deutschsprachige Lied kennen. Dafür bereichert er/sie den anderen mit kulturell anders gelagerten Kindheitserfahrungen und/oder die Paare entdecken sie gemeinsam neu. Es geht darum, Erwartungen zu verlagern, Frustrationen anzusprechen und zu erklären, dass es nun auch manchmal mühsam sein darf, diese Gemeinsamkeiten nicht unerklärt teilen zu können.
Es kann spannend sein, die Sprache und Kultur des anderen kennenzulernen. Hierbei geht es nicht nur um den reinen Spracherwerb, sondern auch um das Kennenlernen der ganz spezifischen persönlichen Sprache (z. B. Gestik und Mimik, die in anderen Ländern oft ganz unterschiedlich konnotiert sind). Es zeigt ebenso Interesse an der Herkunft des/der Partner:in und vereinfacht die Kommunikation mit anderen Familienmitgliedern.
Kultursensibilität spielt hier eine außerordentlich große Rolle und erlaubt es den Partner:innen den Bezugsrahmen des jeweils anderen zu verstehen.
Ein österreichisch-peruanisches Paar berichtete, dass sich die Beziehung zu der Herkunftsfamilie des Partners nach dem Aneignen von Grundkenntnissen signifikant verbessert hatte, da zumindest basale Kommunikation möglich wurde.
3. Wenn sich die Paarbeziehung durch Kinder verändert
Kinder verändern Paarbeziehungen grundsätzlich enorm. Bei binationalen Paaren kommen noch einige erschwerende Punkte hinzu. Versteht der/die Partner:in die Muttersprache des jeweils anderen oder fühlt sich ausgeschlossen, wenn mit dem Kind kommuniziert wird? Wie reagiert das Kind auf mehrere Sprachen? Inwiefern spielen die kulturellen Unterschiede in der Kindererziehung eine Rolle? Wie verhält es sich grundsätzlich mit den Geschlechterrollen und den damit verbundenen Erwartungen bei der Kindererziehung?
Wichtig ist es hierbei, diese Fragen im Rahmen eines therapeutischen Settings anzusprechen und zu klären. Oft ist es den Paaren nicht bewusst, dass sie aus ihrem Kulturverständnis heraus handeln und den Bezugsrahmen des/der Partner:in in diesen Fragen oft nicht kennen.
Auch nicht unerwähnt sollten die Schwierigkeiten sein, die sich im Zuge einer Trennung manifestieren, wenn mehrere Nationalitäten im Spiel sind. In Deutschland gibt es hier die sogenannte Rom II-Verordnung, die regelt welches Recht bei einer Ehescheidung/Trennung in Fällen mit Auslandsbezug zur Anwendung kommt.
So sieht Therapie mit bikulturellen Paaren ganz praktisch aus
Ich arbeite mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten (von Australien bis Zimbawe), wobei eine:r der Partner:innen zumeist deutschsprachig ist. Meistens arbeiten wir auf Englisch miteinander, zuweilen auch auf Französisch und Deutsch. Code-switching ist zumeist ein fester Bestandteil der Therapie.
Ich arbeite mit meinen Paaren fast ausschließlich online, da berufliche Verpflichtungen und v. a. Kinderbetreuung oft keine anderen Möglichkeiten zulassen. Manchmal befinden sich die Paare auch nicht im selben Land und führen eine Fernbeziehung.
Die wichtigsten Punkte für deine Arbeit mit bikulturellen Paaren habe ich dir noch mal zusammengefasst:
- Achte auf allparteiliche und kultursensible Haltung, v. a. wenn du dich einer Kultur näher fühlst als der anderen.
- Baue ein kulturelles Verständnis der jeweiligen Länder auf.
- Versteh die Rahmenbedingungen des Paares (Arbeitssprache, gemeinsame Sprache, Geschichte des Paares, Erwartungshaltung in Bezug auf Sprache und das Land, in dem sie leben).
- Hilf den Paaren, sich eigener kultureller Prägungen und deren Sichtbarkeit für den/die Partner:in bewusst zu werden.
- Kultiviere mit den Paaren eine wohlwollende Gesprächskultur.
- Schärfe die Kultursensibilität, um anachronistische Annahmen bewusst zu machen. Das betrifft sowohl die Paare als auch dich als Therapeut:in.
- Gib auch Themen wie Migrationstrauer und Diskriminierung im Alltag einen Raum.
- Übe mit den Paaren einen gemeinsamen Dialog. Imago bietet sich dazu an, da er anfangs therapeutisch begleitet wird und zu Hause alleine geübt werden kann.
- Unterstütze die Paare dabei, eine gemeinsame Paarsprache und eine dritte gemeinsame Kultur zu finden.