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„Faszination Tiefenpsychologie“ – 22 Persönlichkeiten erzählen von ihrem Lebens- und Berufsweg

22 Persönlichkeiten erzählen im neuen Buch aus dem Deutschen Psychologen Verlag, wie sie zur Tiefenpsychologie gekommen sind. (Grafik: Deutscher Psychologen Verlag)

Die Idee zu diesem Buch entstand im Dozententeam der Wiesbadener Akademie für Psychotherapie (WIAP). Am 2. Juli des vergangenen Jahres wurde dem „Kind“ schließlich ein Name gegeben. An diesem heißen Sommertag traf ich mich in Wiesbaden mit dem Institutsleiter Dr. Hamid Peseschkian und unserem Autor und WIAP-Dozenten Dr. Udo Boessmann , die mir ihre Idee vorstellten.

Viel Überzeugungsarbeit mussten die beiden gar nicht leisten, denn ihre Begeisterung für die Tiefenpsychologie zog mich sofort in den Bann. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass nach unserem ersten Autorenaufruf 22 Therapeutinnen und Therapeuten bereit waren, einen persönlichen Beitrag für dieses Buch zu schreiben. Herausgekommen sind sehr unterschiedliche, aufregende und sehr persönliche Texte. Alle vereint die Erfahrung, dass es kaum etwas Interessanteres gibt, als mit Menschen zu arbeiten, und sich mit ihnen auf eine innere Entdeckungsreise einzulassen.

Eine von ihnen ist die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Mona Lang, die durch eine eigene Therapie zur Tiefenpsychologie gekommen ist und sich heute sicher ist, so ihren Traumberuf gefunden zu haben. Exklusiv für psylife stellen wir euch hier ihren Beitrag zum Buch als Vorab-Leseprobe* vor:

Mona Lang ist eine der Autorinnen von „Faszination Tiefenpsychologie“. (Foto: Marc Wiegelmann Fotografie)

Nikolaus, Detektiv und Arzt der Gefühle

Im Alter von 15 Jahren hatte ich zum ersten Mal den Wunsch, mit schwierigen Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Lesen war immer eines meiner Hobbys. Damals begleiteten mich Bücher wie „Dibs“ von Virginia M. Axline, „Betty“ oder „Ahmet“ von Anneliese Ude-Pestel oder „Sheila“ von Torey L. Hayden, die mein Interesse an der Arbeit mit auffälligen Kindern verstärkten.

Durch viele Umzüge meiner Familie im gesamten Bundesgebiet, bedingt durch den beruflichen Aufstieg meines Vaters, hatte ich Probleme in der Schule und musste die Oberstufe abbrechen. Aus einer Nichtakademiker-Familie stammend war es auch völlig in Ordnung, dass ich „nur“ den Ausbildungsberuf Erzieherin wählte. Während meiner Tätigkeit in Kinderheimen wurde mir dann jedoch bewusst, dass ich intensiver und verantwortlicher mit Kindern und Jugendlichen arbeiten wollte. Auf dem zweiten Bildungsweg holte ich das Fachabitur nach und studierte anschließend Sozialarbeit an der Fachhochschule. Nach dem Erreichen meines Zieles, im allgemeinen sozialen Dienst bei einer Stadt zu arbeiten, lernte ich in den von mir betreuten Familien viele problematische Kinder kennen. Aber leider ließen mir die festgelegten Abläufe bei dieser Tätigkeit keine Zeit, mich mit diesen Kindern näher zu beschäftigen. Ich spürte, dass sich meine beruflichen Ansprüche verändert hatten.

Von der eigenen Therapie zur psychotherapeutischen Ausbildung

Zu dieser Zeit absolvierte ich meine erste eigene Therapie. Auslöser war die Trennung vom Vater meines Sohnes und der Zukunftsangst als alleinerziehende Mutter. Mein Therapeut – tiefenpsychologisch fundiert – erweckte mein Interesse an der Arbeit mit seelisch erkrankten Kindern und Jugendlichen, das seit meinem 15. Lebensjahr vorbewusst immer vorhanden war. Er bestärkte mich, diesen Weg zu gehen, und gab mir Mut und Zuversicht, das auch zu schaffen.

Mein Therapeut erweckte mein Interesse an der Arbeit mit seelisch erkrankten Kindern und Jugendlichen. (Foto: Andrik Lanfield, Unsplash)

So begann ich die Ausbildung zur Kinder- und Jugendpsychotherapeutin. 

Damals war mir nicht bewusst, dass dieser Therapeut tiefenpsychologisch mit mir arbeitete, aber die Art, wie er es tat, war für mich unglaublich wertschätzend, haltgebend und heilsam.

Heute ist mir sehr bewusst, wie lohnenswert die Ausbildung trotz ihrer Anstrengung und den Entbehrungen für mich war.

Durch meine Lebenssituation, meinen Sohn und mich finanzieren zu müssen, war die Ausbildung ein äußerst anstrengendes Unterfangen. Sehr häufig fühlte ich mich überfordert, allem gerecht zu werden. Die gesamte Literatur zu lesen, die Fahrtwege zu den Vorlesungen, zur Selbsterfahrung und zu den Supervisionen und die persönlichen Auswirkungen, die die Beschäftigung mit mir und den tieferen Themen in meinem Leben mit sich brachte, zu bewältigen, waren große Herausforderungen. Gleichzeitig lernte ich inhaltlich, wie wichtig es war, für meinen Sohn da zu sein, was mich immer wieder in Konflikte brachte. Durch die tatkräftige und hilfreiche Unterstützung meiner Eltern gelang es mir jedoch, diese aufregende, schwierige und spannende Zeit zu bewältigen. Heute ist mir sehr bewusst, wie lohnenswert die Ausbildung trotz ihrer Anstrengung und den Entbehrungen für mich war.

Gleichzeitig lernte ich inhaltlich, wie wichtig es war, für meinen Sohn da zu sein. (Foto: Andre Ouellet, Unsplash)

Ehrlich gesagt hatte ich mich zu Beginn gar nicht mit den unterschiedlichen Therapierichtungen befasst. Das Ausbildungsinstitut wurde mir von meinem Therapeuten empfohlen. In meinem tiefen Vertrauen zu ihm verließ ich mich darauf, dass es das Passende für mich war. Und während der Ausbildung wurde mir sehr schnell klar, dass ich in dieser Fachrichtung – tiefenpsychologisch fundiert – genau richtig bin. Bei der Verhaltenstherapie hatte ich Probleme mit dem strukturierten Modus, der mir die tiefere Ebene, in der ich arbeiten wollte, verwehrte. Die Idee, nach genauen Plänen vorzugehen, lag mir nicht. Heute sehe ich positive Anteile an dieser Arbeit und nehme bestimmte Praktiken davon zur Hilfe. Aber ich bin froh, tiefenpsychologisch fundiert zu arbeiten.

Die analytische Psychotherapie gefiel mir in vielen Bereichen, da sie mich in Tiefen und Gedankengänge brachte, die mir vorher fremd waren. Teilweise zweifelte ich an den Theorien, fand sie sehr abstrakt und spürte Abwehr. Inzwischen kann ich dies jedoch teilweise aufgrund meiner persönlichen Anteile und meines Widerstandes erkennen.

Die analytische Psychotherapie in einer konsequenten Form ist nach meiner Ansicht jedoch für Kinder und Jugendliche kaum anwendbar, denn sie fordern Rückmeldungen. Ihnen diese nur reduziert zu geben, erscheint mir eher schwächend als hilfreich.

Hier fühle ich mich wohl

So fühle ich mich als Tiefenpsychologin immer wohler und begrüße die Möglichkeit, das ganze Familiensystem zu erfassen. Mir gefallen die Methoden der Gegenübertragung, der Übertragung, des Klarifizierens, des Containings und der Deutung. Damit ist es möglich, Patienten behutsam, in ihrem Tempo, erschließbar zu machen, woher ihre Problematik stammt, und sie dabei zu begleiten, einen Umgang und Lösungen zu finden. Dass sie die Chance haben, diese Erkenntnisse selbst zu erarbeiten, stärkt meines Erachtens erheblich ihr positives Selbstwertgefühl, ihre Wirkmächtigkeit und damit die Nachhaltigkeit des Erfolgs. Auch deshalb ist dies für mich der passende Weg seelische Erkrankung zu lösen.

Als Tiefenpsychologin begrüße ich die Möglichkeit, das ganze Familiensystem zu erfassen. (Foto: Annie Spratt, Unsplash)

Was mich bis heute immer wieder verblüfft ist die Kraft der Gegenübertragungen. Wie soll man auch einem Laien erklären, dass man sich so tief in seinen Patienten einfühlen kann, dass man dessen Gefühle und auch körperlichen Zustände selbst spürt?  

Sobald ich verstehe, dass es sich bei meinen starken Gefühlen in der Therapie um meine Gegenübertragungen handelt, dass ich die nicht gefühlten Emotionen der Patienten und ihrer Familienangehörigen stellvertretend spüre, können sie sich während oder nach den Stunden sofort wieder auflösen.

Ein bisschen sind wir auch wie Detektive, die herausfinden, was zum jetzigen Zustand der Kinder und Jugendlichen geführt hat.

Nikolaus und Detektiv

Manchmal denke ich an eine Aussage meines Ausbildungsleiters: „Wir sind für die Kinder wie Nikoläuse, etwas was vielversprechend ist, aber was es eigentlich gar nicht gibt.“ Genauso fühle ich mich, wenn ich an diese Form des Gefühlscontainings denke, wenn ich aushalte, was an oft drückender seelischer Last im Patienten und in

seinem System vorhanden ist, und es so besser verstehen kann. Ein bisschen sind wir auch wie Detektive, die herausfinden, was zum jetzigen Zustand der Kinder und Jugendlichen geführt hat.

Mit Kollegen zusammen zu sitzen und dies in besonders schwierigen Fallvignetten gemeinsam ausfindig zu machen, ist eine spannende und befriedigende Angelegenheit. Oft sind wir in den Praxen Einzelkämpfer, aber die Besonderheit unserer Arbeit führt dazu, dass wir in den Qualitätszirkeln, die fast alle Kollegen regelmäßig besuchen, ein gutes Zusammengehörigkeitsgefühl erleben. Der Umgang miteinander ist sehr wertschätzend und behutsam, weshalb man im Freundeskreis immer ein paar Kollegen haben wird.

Arzt für Gefühle

Dass dieses Herausarbeiten und Geheimnisse-Aufdecken so viel Spaß und Befriedigung mit sich bringen, ist – glaube ich – auch ein Grund, warum Psychotherapeuten so viel arbeiten und so viele Zusatzqualifikationen machen. Der Beruf ist unglaublich vielseitig, und man kann immer wieder etwas Neues erfahren, lernen und verstehen. Es bleibt spannend, mit jedem neuen Patienten und mit jeder neuen Erkenntnis. Kleineren Kindern erkläre ich immer, dass ich so etwas wie ein Arzt für Gefühle bin.

Kleineren Kindern erkläre ich immer, dass ich so etwas wie „ein Arzt für Gefühle“ bin. (Foto: Patrick Fore, Unsplash)

Und genau das ist es, was mir so viel Spaß macht. Ich beschäftige mich sehr gerne mit den Gefühlen der Patienten und erarbeite mit ihnen die gesamte Bandbreite. Wenn sie beginnen, sich darauf einzulassen und sich vorsichtig auszuprobieren, fühle ich mich in der Lage, sie bei ihren Zweifeln und Unsicherheiten zu unterstützen und Mut zu machen, nicht aufzugeben. Ich werde für einen bestimmten Zeitraum ein wichtiger Wegbegleiter, was mir meine Verantwortung bewusst macht, mich häufig rührt, erfreut und auch stolz macht, vor allem wenn die Patienten später ihr weiteres Leben ohne Therapie bewältigen können.

Ich habe meinen Traumberuf gefunden.

Da ich im selben Ort lebe, in dem ich arbeite, treffe ich meine erwachsen gewordenen Patienten manchmal im Alltag wieder. Es freut und berührt mich immer, wenn sie dann voller anhaltendem Vertrauen und Dankbarkeit auf mich zukommen und mir erzählen, wie gut ihr Leben weitergegangen ist. Das klappt nicht immer bei allen Patienten, aber bei vielen, und das macht diesen Beruf für mich sehr wertvoll.

Es gibt nichts Schöneres als dabei zu sein, wie Menschen sich positiv entwickeln. (Foto: Kelly Sikkema, Unsplash)

Heute empfinde ich es als großes Geschenk, dass mich so viele Kinder, Jugendliche und Eltern an ihrem Leben teilhaben lassen, dass sie mir meist sehr großes Vertrauen entgegenbringen und es mir gelingt, Menschen, denen es sehr schlecht ging, zuversichtlich in ein zufriedenes Leben entlassen zu können. Ich habe meinen Traumberuf gefunden, und wenn andere Menschen sagen „Wie hältst du es aus immer nur mit so schwierigen Problemen zu tun zu haben?“, antworte ich: „Es gibt nichts Schöneres als dabei zu sein, wie Menschen sich positiv entwickeln und die Kraft mobilisieren, ihre Widerstände zu überwinden“.

Und wenn sie die Therapie gesund und erfolgreich beenden, ist das für mich auch ein ganz persönliches Glück, das mein Leben reicher macht.

Den vollständigen Text der hier in gekürzter Fassung erzählten Geschichte von Mona Lang sowie 21 weitere spannende Berichte findest du im Buch:

Hamid Peseschkian, Udo Boessmann (Hrsg.)

Faszination Tiefenpsychologie

22 persönliche Lebens- und Berufswege

2019, 224 Seiten, ISBN: 978-3-942761-49-9, ca. 20,- Euro 

Erscheint im August 2019

www.psychologenverlag.de 

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