Irvin Yalom – Das inspirierende Portrait eines Psychotherapeuten
Vielleicht kennst du die Romane des amerikanischen Schriftstellers und Psychotherapeuten Irvin Yalom? Bücher wie „Und Nietzsche weinte“ oder „Die Rote Couch“ sind Beststeller. Mindestens genau so anregend und spannend ist die Geschichte des Menschen dahinter. In unserem Therapeutenportrait stellen wir dir Irvin Yalom und seine Memoiren vor. Eine Lebensgeschichte, die nachdenklich stimmt und inspiriert, neugierig zu bleiben und stets Neues zu entdecken.
Als ich mit dem Psychologiestudium angefangen habe, gab es einen Autoren, dessen Bücher alle meine Kommilitonen lasen: Irvin Yalom. Vielleicht hast du schon mal von seinen Büchern gehört oder sie selbst gelesen? Zu seinen Bestsellern gehören „Und Nietzsche weinte“, „Der Panama-Hut“ oder auch „Die Rote Couch“.
Natürlich habe ich die Bücher im Lauf meines Psychologiestudiums dann auch gelesen. Aber mit dem Schriftsteller hinter den Büchern habe ich mich nie so richtig auseinandergesetzt – bis jetzt, mehrere Jahre später. Eine Freundin schenkte mir seine Memoiren und damit eine Reise durch die Zeit, durch die psychiatrisch-psychotherapeutische Geschichte und einen sehr persönlichen Einblick in ein langes, bewegtes und inspirierendes Leben.
Psychiater und Gruppentherapeut
Yalom wurde Anfang der 30er-Jahre in Washington als Sohn russischer Immigranten geboren und wuchs in armen Verhältnissen auf. Nach einem eindrücklichen Erlebnis in seiner Kindheit mit einem Arzt, beschloss er, Medizin zu studieren und fühlte sich dann in seinem Studium besonders zur Psychiatrie hingezogen. Früh kam er in seiner psychiatrischen Ausbildung mit Gruppenpsychotherapie in Kontakt und war fasziniert von dem Konzept. Gleichzeitig erschreckte ihn aber auch, dass sich die Teilnehmer in den Gruppen, die er als junger Assistenzarzt durch die Einwegspiegel beobachtete, so wenig öffneten und scheinbar wenig von der Therapie profitierten. Die Frage, was ihnen dabei helfen könnte, beeinflusste sein weiteres Berufsleben stark. So leitete er selbst viele Jahrzehnte lang verschiedenste Therapiegruppen – von Selbsterfahrungsgruppen mit jungen Assistenzärzten bis hin zu Therapiegruppen in Kliniken und mit krebskranken Menschen. Er entwickelte und erforschte dabei seine Gruppenkonzepte stetig weiter, so dass die Gruppenmitglieder sich bestmöglich öffnen könnten und am besten von der Gruppe profitieren würden.
Existenzielle Psychotherapie
Yalom setzte sich darüberhinaus stets kritisch mit bestehenden Therapieverfahren auseinander und war offen, neue Ansätze zu erfahren und auszuprobieren. Er begründete die „Existenzielle Psychotherapie“. Diese wurzelte in Yaloms großem Interesse an Philosophie. Er bedauerte nämlich, dass philosophische Theorien durch seine medizinische Ausrichtung wenig Raum in seiner Psychotherapie einnahmen und besuchte daraufhin mehrere Vorlesungen in Phänomenologie und Existenzialismus, las die Schriften von Nietzsche, Schopenhauer und anderen Philosophen. Ihm wurde bewusst, dass die philosophischen Texte viele Probleme seiner Patienten besser erklärten als die Medizin: das Ringen mit dem Tod, mit Verlust und Altern. Er begann, ein Buch zu schreiben, das diese philosophischen und therapeutischen Erkenntnisse vereinen sollte und erkannte dabei, dass der Tod der zentrale Dreh- und Angelpunkt vieler Probleme war. Dies führte zu seiner Entscheidung in der Onkologie in Stanford mit krebskranken Patienten zu arbeiten und sich intensiv mit dem Sterben auseinanderzusetzen – also mit einem Thema, das viele Kollegen scheuten oder als unangenehm empfanden. Auch Yaloms Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod ist in seinen Memoiren spürbar. Yalom – mittlerweile in seinen späten Achtzigern – beschäftigt sich ganz persönlich mit seinem Tod und dem Lebensende. Die Frage nach dem eigenen Sein und die (kritische) Reflektion des eigenen Lebens scheint einen besonderen Stellenwert bei ihm einzunehmen. Von seiner frühen Assistenzarztzeit an bis ins hohe Alter ging er immer wieder selbst in Therapie und in Analysen bei bekannten Therapeuten und Analytikern rund um den Globus. Mit neugierigem Blick scheint er sich selbst immer wieder neu zu entdecken.
Die Schriftstellerische Karriere
Die Verknüpfung aus Philosophie und Psychotherapie findest du auch in Yaloms Büchern immer wieder – so befinden sich in seinen fiktiven Romanen bekannte Philosophen wie Nietzsche oder Schopenhauer in psychotherapeutischer Behandlung. Der Leser erfährt so im Rahmen der Fiktion biografische Informationen über die Philosophen und ihre Theorien und erhält einen Einblick, wie Psychotherapie aussehen kann. Dies findet nicht nur beim Fachpublikum Anklang, sondern interessiert darüberhinaus ein große Leserschaft. Seine Romane, an die er sich nach seinen ersten eher fachlich orientierten Werken wagte, wurden daher schnell zum weltweiten Erfolg.
Wie lebe ich mein Leben?
Neben den beruflichen Höhepunkten wirkt Yaloms Leben wie ein bunter, spannender Patchworkteppich: Flitterwochen mit dem Motorrad durch Frankreich, LSD-Experimente an der Uni in den späten 50er Jahren, Reisen durch Europa und Asien, längere Auslandsaufenthalte, Familienleben und Schachspielen mit den Enkelkindern. Die Auseinandersetzung mit Yaloms Leben und seinen Erinnerungen, aber auch mit seinen Gedanken um sein bevorstehendes Lebensende, rühren und regen zum Nachdenken an: Wie verbringe ich mein Leben? Wie möchte ich es füllen? Es inspiriert aber auch: neugierig zu sein, neue Dinge erfahren zu wollen, so viel zu lernen, wie man kann, auszuprobieren, zu experimentieren und zu hinterfragen. Eine Lebensgeschichte, die Mut macht, sich sowohl persönlich als auch fachlich stetig weiterzuentwickeln.
Zum Weiterlesen:
Yalom, Irvin (2017). Wie man wird, was man ist – Memoiren eines Psychotherapeuten. München: Random House.