Therapeutin auf Instagram – Wie Anke Glaßmeyer „Die Psychotherapeutin“ wurde

@diepsychotherapeutin heißt der Instagram-Account von Anke Glaßmeyer – und mehr als 16.000 Menschen folgen dort der approbierten Verhaltenstherapeutin. Wie es dazu kam, warum sie Instagram als Plattform so schätzt und welchen Herausforderungen sie begegnet, erzählt sie im Interview mit Elisa Schinke.

Wie sieht dein beruflicher Alltag aus?

Von montags bis donnerstags arbeite ich in meiner Praxis. Ich starte meistens am späten Vormittag, so habe ich morgens Zeit für Einkäufe oder entspannte Spaziergänge. Am Tag sehe ich dann fünf bis sechs Patienten. Ich behandle als Verhaltenstherapeutin ganz unterschiedliche Patientengruppen mit unterschiedlichen Krankheitsbildern. Am Abend gehe ich nach Hause, verfasse Postings und antworte auf Nachrichten – das findet alles am Feierabend statt. Den Rest der Zeit sowie am Wochenende biete ich auch Onlineberatungen an. Instagram läuft sozusagen nebenher.

 

Wie bist du auf Instagram gelandet?

Ich habe meinen Account Anfang 2018 gestartet. Damals bereitete ich mich auf meine Approbationsprüfung vor. Ich schrieb viele Zusammenfassungen über Diagnosen und dachte mir dann: warum postest du die nicht einfach? Ich habe von Anfang an viele Fragen und Kommentare dazu bekommen. Später wurde ich auch von größeren Accounts erwähnt – so wuchs die Zahl meiner Follower stetig. Digitale Plattformen nutze ich auch sonst. Seit 2018, also seit meiner Approbation, biete ich Videosprechstunden an. Und seit letztem Jahr gestalte ich den Podcast „Die Psychotanten“ mit.

Instagram ist für mich eine Plattform, auf der Menschen schnell und einfach erreicht werden können. Das geht noch direkter als auf einem Blog. Der Podcast ist eine spannende Ergänzung, da auch er unkompliziert und ungezwungen Menschen erreicht.

 

Welche Inhalte findet man auf deinem Profil und in deinen Stories?

Ein wichtiges Thema, das mir sehr am Herzen liegt, ist die Entstigmatisierung psychischer Krankheiten. Indem ich Wissen über psychische Krankheiten vermittle, kann ich Vorurteile abbauen. Zum Beispiel, dass ein Mensch mit Depressionen nicht einfach mal so geheilt wird, indem er Schokolade isst. Zum einen möchte ich also wirklich psychologisches Wissen vermitteln, etwa Diagnosekriterien aus dem ICD-10.

Dann teile ich noch die „Therapiesecrets“: Da kann jeder Fragen stellen, die er seinem eigenen Therapeuten nicht direkt stellen würde. Zum Beispiel: Darf ich meinem Therapeuten etwas schenken?

Sonntags poste ich immer etwas Persönliches und in meinen Stories nehme ich die Follower zum Beispiel mit auf meine Spaziergänge. Es ist immer wieder schön, wenn ich daraufhin eine Nachricht bekomme, dass dieser „Ausflug“ eine andere Person motiviert hat, selbst auch einen schönen Spaziergang zu machen. Manchmal poste ich auch Stories mit Buchrezensionen zu psychologischen Themen.

Auf dem Account von Anke Glaßmeyer findet man auch Informationen über Diagnosekriterien. (Foto: @diepsychotherapeutin, Instagram)

Wie definierst du deinen „Auftrag“ auf Instagram?

Ich denke, dass ich auf Instagram einen Beitrag zur Entstigmatisierung psychischer Krankheiten leisten kann. Ich versuche, nur Inhalte zu posten, die einen Mehrwert bieten. Ich bin kein großer Fan von einem schönen Bild mit einem kurzen Satz. Vielmehr möchte ich wirklich informieren und Wissen vermitteln. So nutze ich Social Media auch selbst: Ich folge nur Kanälen, die mir einen Mehrwert bieten – und das ist auch mein Anspruch an meinen eigenen Account.

 

Wer sind deine Follower und was interessiert sie besonders?

Meine Follower sind bunt gemischt: PsychotherapeutInnen in Ausbildung, Patienten, Psychologen, Therapeutinnen, Angehörige, Psychologiestudierende, … So wie meine Patienten in der Onlinesprechstunde, kommen meine Follower auch geografisch aus den unterschiedlichsten Ecken. Ich habe schon Patienten in den USA und in Australien online behandelt.

Besonders gut kommen auf Instagram meine Sonntagspostings an, die meistens persönliche Themen behandeln. Aber auch die „Therapiesecrets“ sind sehr beliebt.

Was macht dir besonders viel Spaß an deiner Arbeit auf Instagram?

Die Interaktion mit den vielen Menschen macht mir viel Spaß. Manchmal bekomme ich eine Nachricht von einer mir fremden Person, in der sie mir erzählt, dass sie wegen mir eine Therapie begonnen hat. Auch Geschichten von Menschen, die bisher schlechte Therapieerfahrungen gemacht haben, es aber jetzt wegen mir nochmal probieren, berühren mich sehr. Einmal hat mir jemand geschrieben, wegen mir eine Entgiftung gemacht zu haben und nun abstinent zu sein. Ich bin sehr dankbar, so viel Hoffnung und Mut machen zu können – allein über meinen Instagramauftritt.

Ich teile jeden Abend in meiner Story, für was ich an dem Tag dankbar bin. Die Vorlage zu der Story können auch andere Menschen nutzen. Auch darüber kommen sehr schöne, virtuelle Begegnungen zustande. Und wenn ich mich mal eine Zeit nicht gemeldet habe, schreiben mir Follower, dass sie sich Sorgen machen.

 

Was sind die Schattenseiten?

Auf Social Media gibt es natürlich immer auch negative Kommentare. Durch die öffentliche Präsenz macht man sich angreifbar und muss immer wieder entscheiden, was man von sich preisgeben möchte. Es kommt vor, dass Menschen böse reagieren, wenn ich ihnen erkläre, dass ich auf Instagram keine Therapie anbiete. Manche reagieren auch negativ darauf, wenn ich persönliche Geschichten über eigene Krankheitserfahrungen teile. Natürlich tangieren negative Kommentare mich im ersten Moment auch. Aber dann sage ich mir: Die kennen mich nicht. Ich weiß, dass ich meinen Patienten als Therapeutin helfen kann.

Ich habe ein Screenshot-Album auf meinem Handy, in dem ich all die positiven Nachrichten speichere, die mich erreichen, um sie mir in schlechten Momenten anzuschauen oder dann, wenn ich eine negative Nachricht erhalten habe. Instagram kostet viel Zeit, zusätzlich zu meinem Beruf. Aber ich habe noch nie ernsthaft darüber nachgedacht, mit meinem Account aufzuhören.

Therapeutin auf Instagram – das lädt sicherlich einige dazu ein, Social Media mit den Praxisräumen zu verwechseln. Wie oft musst du Grenzen ziehen?

Das kommt mehrmals wöchentlich vor, sobald jemand beginnt, mir ausführlich von seiner Lebensgeschichte zu erzählen. Manchmal erreichen mich auch lange Sprachnachrichten. Ich antworte grundsätzlich auf alle Nachrichten, aber manchmal auch, indem ich klar auf andere Anlaufstellen verweise. Ich mache keine Beratungen über Instagram, das wäre allein aus Datenschutzgründen fatal. Auf meinem Profil habe ich andere Hilfsangebote verlinkt, z.B. die Telefonseelsorge. Ich verweise oft auch auf meine Onlinesprechstunde. Es ist tatsächlich so, dass viele meiner Onlinepatienten durch Instagram auf mein therapeutisches Angebot aufmerksam geworden sind.

 

Gibt es rechtliche Grundlagen, nach denen du dich richten musst?

Das Thema rechtliche Grundlagen ist in diesem Bereich noch sehr vage. Es gibt keine Richtlinien für Therapeuten, was man auf Social Media darf und was nicht. Ich habe mich viel mit diesem Thema beschäftigt. Ich habe Verbände und Kammern angeschrieben, aber es kam wenig zurück. Dieser Bereich ist tatsächlich weitestgehend Neuland. Das sehe ich aber im gesamten Onlineangebot innerhalb der Psychotherapie. Auch Onlinesprechstunden werden von vielen Therapeuten noch kritisch gesehen, dabei gibt es inzwischen viele Studien, welche die Wirksamkeit belegen. Ich denke, da wird in der Zukunft noch viel passieren und sehe auch eine große Neugier und Offenheit seitens der Verbände und Kammern.

In einer „normalen“ Therapie ist die Therapeutin meist sehr diskret. Durch Instagram öffnest du dich auch als Therapeutin. Wie kommt das an?

Erstmal: Viele Patienten kennen meinen Account gar nicht – etwa, weil sie älter sind oder einfach so Instagram gar nicht nutzen. Für alle anderen gilt: Was ich auf Instagram zeige, würde ich auch in der Therapie erzählen. Ich habe oft den Eindruck, dass persönliche Geschichten für die Patienten hilfreich sind. Wenn ich etwas von mir selbst erzähle, öffne ich mich gegenüber meinem Patienten. Dadurch fällt es ihm leichter, auch über eigene Erfahrungen und Rückschläge zu sprechen. Für mich macht dieses Bild eines Therapeuten viel mehr Sinn als eine diskrete „weiße Wand“ und ich kann aus meiner Erfahrung nicht sagen, dass die Öffnung seitens der Therapeutin sich negativ auf die Arbeit auswirkt.

 

Hast du einen Wunsch in Bezug auf deine Online-Aktivitäten als Psychotherapeutin?

Es wäre schön, wenn mehr Therapeutinnen sich trauen würden, auch Onlineangebote anzubieten. Wenn sie beispielsweise Onlinetherapien offener gegenüberstehen und mehr ausprobieren würden. Ich glaube, dass viele Menschen davon profitieren können. Instagram ist nochmal etwas anderes – es kostet auch viel Zeit. Das birgt Schwierigkeiten, wenn man einen Kassensitz hat und sich zusätzlich um eine Familie kümmert. Aber man kann auch als Therapeut selbst viel profitieren – etwa, wenn auf einmal online ein Austausch stattfindet mit einem Patienten, der eine Diagnose hat, welche man im Praxisalltag noch nie gesehen hat.