Burnout vorbeugen (3): Arbeit mit dem inneren Team

Unser Coaching nähert sich dem Ende. In diesem dritten und letzten Teil unserer Artikelserie laden wir dich ein, dein inneres Team genauer kennen zu lernen und schauen, welche neuen Perspektiven sich kurz-, mittel- und langfristig für dich ergeben könnten.

Seit der letzten Sitzung unseres Gedankenexperiments ist wieder etwas Zeit vergangen. Was hat sich getan? Vielleicht gibt es kleine Veränderungen, die dir Energie und Hoffnung geben, die Dinge wieder besser in den Griff zu bekommen und wieder Zeit für dich zu gewinnen. Was passiert, wenn du dich immer häufiger an dein Vorhaben erinnerst, bei der Arbeit zu beobachten, an welchen Stellen du dich selbst hetzt? Was verändert sich, wenn du dich selbst mehr spürst? Kommst du wieder mehr mit deinen Klienten in Kontakt? Und welche Entlastungen hast du für dich gefunden?

Fallbeispiel Julia

Bei Julia kam letzte Woche erstmals eine Pädagogikstudentin, um mit ihrer Tochter schreiben zu üben. Da die Studentin selbst einen betroffenen Bruder hat und sich mit Legasthenie auskennt, behandelt sie die Tochter voller Verständnis und liebevoll. Das entlastet sie sehr. Und sie erkennt, welche unendliche Geduld es braucht. Julia hat außerdem mit ihrem Mann gesprochen. Sie werden kommenden Samstag ausprobieren, dass er mit der Tochter den Einkauf erledigt, damit sie selbst den Vormittag ihrer Abschlussarbeit widmen kann.

Die Metapher von den zwei Pfeilen

Wenn du dir mit Selbstvorwürfen und Selbstzweifeln das Leben schwer machst und du unbarmherzig mit dir selbst umgehst, erzählt dir der Coach zum Einstieg der heutigen Stunde die Metapher von den zwei Pfeilen. Sie stammt aus einer Lehrrede Buddhas: Im Leben treffen uns unweigerlich immer wieder Pfeile, die wehtun. Leiden und Unvermögen gehören einfach zum Leben. Aber statt den Pfeil herauszuziehen, damit die Wunde heilen kann, schießen wir selbst oft noch einen zweiten Pfeil nach, indem wir uns selbst oder andere beschuldigen und verurteilen. Mit dem ersten Pfeil müssen wir leben, den zweiten können wir uns ersparen. Das Kultivieren von Selbstmitgefühl ist ein Weg, genau das zu lernen.

Die unbarmherzige Kritikerin und andere Mitglieder des inneren Teams

Du bist mit der Vorstellung eines inneren Teams sicherlich schon vertraut. Welche Persönlichkeitsanteile sind das wohl, die dir das Leben schwermachen - etwa wenn du an dir selbst zweifelst? Vielleicht treibt ein Anteil in Gestalt eines verbitterten, zynischen Männchens, das auf deiner rechten Schulter sitzt, sein Unwesen. Immer wenn etwas misslingt, verkündet es höhnisch: „Ich habe immer schon gewusst, dass aus dir nichts wird!“ Oder welche Anteile findest du bei dir?

Fallbeispiel Julia

Um ihrem zynischen Männchen gar keine Chance zu geben entwickelte Julia einen Anteil, der ihr Leben bestimmt. Er spornt sie zu Höchstleistungen an, sodass sie fast alle Aufgaben, die ihr das Leben stellt, bis jetzt ziemlich perfekt lösen konnte. Als dieser Beschützeranteil aber bemerkte, dass die kompetenten Erwachsenenanteile, die sie in ihren Rollen als Psychologin und Mutter entwickelt hatte, an ihre Grenzen kommen, brach Panik aus. Die unerbittliche zynische Stimme bekam die Oberhand. Das Vertrauen in ihre Kompetenz und Wirksamkeit waren nicht mehr zugänglich. Julia nimmt sich vor, mit ihren Persönlichkeitsanteilen weiter zu arbeiten und in Zukunft zu beobachten, wer sich jeweils zu Wort meldet.

Selbstmitgefühl und Grenzen setzen

Vielleicht macht es auch für dich Sinn, dich auf die Suche nach anderen Anteilen zu begeben, z.B. nach jenen, die Selbstmitgefühl repräsentieren oder jenen, die Grenzen setzen. Welche Anteile haben Schwierigkeiten, deine eigenen Grenzen zu akzeptieren? Beim Thema „Grenzen“ erinnere dich noch einmal an den Jongleur aus der ersten Stunde. Dich an ihn zu erinnern, kann dir helfen, nicht alle Bälle automatisch aufzufangen, die dir zugeworfen werden.

Der innere Teamleader

Im Balancemodell, das du schon aus der letzten Sitzung kennst, wird der Mensch als eine Komposition aus einer Vielzahl von Persönlichkeitsanteilen betrachtet. Die Aufgabe einer übergeordneten Instanz, eines inneren Teamleaders, besteht darin, die positiven Absichten der einzelnen Persönlichkeitsanteile zu würdigen und im Sinne einer inneren Ökologie auf angemessene Weise für Ausgleich zu sorgen.

Die zwei Wölfe

Zum Abschluss der Arbeitssequenz mit den Persönlichkeitsanteilen erzählt der Coach noch eine Geschichte: Die Geschichte von einem alten weisen Indianer, der mit seinem Enkel am Lagerfeuer sitzt und dessen Frage zu beantworten sucht, was die Menschen so ausmacht. „Weißt du“, sagt er, „im Herzen jedes Menschen kämpfen zwei Wölfe. Ein weißer, der ist voller Liebe für andere, aber auch freundlich zu sich selbst, und ein schwarzer, der alles hasst und ablehnt, auch sich selbst.“ Der Enkel erschrickt zunächst und stellt nach einer Weile die entscheidende Frage: „Und welcher von beiden gewinnt?“ „Der, den du mehr fütterst“, antwortet der Großvater.

Darin liegt unsere Chance, jenen Wölfen und Persönlichkeitsanteilen unsere Aufmerksamkeit zu schenken, und jene Menschen und Kontexte aufzusuchen, bei denen die Anteile genährt werden, die wir stärken und weiterentwickeln wollen.

Fallbeispiel Julia

Julia ist mit den drei Sitzungen und dem bisherigen Verlauf des Coachings so zufrieden, dass sie es heute beendet. Als kurzfristige Perspektive will sie die Hausaufgabenbetreuung ausbauen. Das Zeitfenster an den Samstagvormittagen wird sie dazu nutzen, an ihrer Abschlussarbeit für die Coaching-Ausbildung zu arbeiten.

Auf der Arbeit wird sie weiterhin darauf achten, immer wieder zumindest für ein paar Augenblicke innezuhalten, ihren Körper und die Füße zu spüren und bei Entspannungs- und Spürübungen auch selbst „mitnaschen“.

Bei der Arbeit mit dem Betätigungsprofil ist ihr eingefallen, sich in den nächsten Wochen mit einer alten Bekannten zu treffen, die ihr guttut. Sie wird auch wieder einmal alleine im Wald spazieren gehen – was sie früher so liebte.

Als mittelfristige Perspektive freut sich Julia auf den Urlaub mit ihrem Mann und auf den Abschluss ihrer Coaching-Ausbildung. Als langfristige Perspektive wird Julia an ihrer Arbeitsstelle um eine Stundenreduktion ansuchen. Darüber hinaus schwebt ihr vor, mit drei Kolleginnen eine Gemeinschaftspraxis zu eröffnen.

Ausblick, Rückblick und Nachbemerkung

Zugegeben, Entwicklungen vollziehen sich nicht immer so schnell und leicht wie bei Julia. Sie ist ein sehr positives Beispiel, wie es sich Coaches und ihre Klienten nur wünschen können. Julia bringt eine hohe Reflexionsfähigkeit und viele innere und äußere Ressourcen mit. Sie hat auch noch so viel Energie, dass sie die in den Sitzungen erarbeiteten Impulse gut umsetzen kann. Auch das Entgegenkommen äußerer Faktoren (Pädagogikstudentin und entlastender Ehemann) sowie das Wiedererleben von Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit der Arbeit lassen eine gute Prognose zu. Zum Coach baute Julia eine vertrauensvolle Beziehung auf. Diese neue Ressource trägt sie ein Stück. Sie weiß, dass sie auch in Zukunft bei wichtigen Fragen und Lebensübergängen zur Verfügung steht.

Was sind deine Perspektiven?

Auch unser Gedankenexperiment mit deinem Coaching neigt sich dem Ende zu. Welche kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Perspektiven eröffnen sich für dich?