Filmtipp: Exil
„Exil“ ist ein hochspannendes Psychodrama. Im Kern der Geschichte steht das Thema Rassismus. Und die Frage: Ist die Wahrnehmung wirklich wahr? Unsere Redakteurin Elisa Schinke hat „Exil“ vorab angeschaut.
Es ist ein heißer Sommer, die schwüle Hitze scheint über jeder einzelnen Szene zu liegen. Konferenzräume, in denen sich die Ventilatoren drehen, schweißbedeckte Haut, warme Anzüge und Krawatten trotz drückender Hitze bilden die Kulisse für das aufrüttelnde Drama „Exil“. Wir begleiten als Zuschauer*in den Protagonisten Xhafer, der aus dem Kosovo stammt und in Deutschland lebt. Xhafer, der eine tote Ratte an seiner Haustür findet. Der plötzlich aus Emailverteilern von Meetings verschwindet. Es entsteht eine immer größer wachsende Welle aus Misstrauen und schlechten Vorahnungen. Als Zuschauer*in wartet man voller Grauen auf den Moment, in dem sie sich endgültig überschlagen wird. Aber wie sehr können wir unserer Wahrnehmung eigentlich trauen?
Die Facetten des Rassismus
„Du weißt doch gar nicht wie es ist, ein Ausländer zu sein in diesem möchtegern-kultivierten und zutiefst verlogenen Land." Diesen Satz schreit Xhafer seiner deutschen Frau Nora ins Gesicht. Es gibt eine Szene, da stellt Xhafer sich neuen Kolleg*innen vor. „Wie ist Ihr Name?“, „Wie genau?“, „Und woher kommt der Name?“ – Nicht ein Mal kommen diese Fragen, sondern ein ums andere Mal, mit jeder Hand, die Xhafer schüttelt. Äußerlich lächelnd. Innerlich brodelnd. „Hört auf!“, will man als Zuschauer*in rufen.
Xhafers Perspektive ist erschreckend. Ausländer*in sein, anders sein, fremd sein. Um diese Themen scheint Xhafers ganzer Lebensinhalt zu kreisen. Und diese Themen kochen hoch: in Meetings, die in überfüllten Besprechungszimmern stattfinden, in denen man die unangenehm dichte Atmosphäre fast mit den Händen greifen kann. Aber auch zu Hause, wo die Distanz zwischen Xhafer und seiner Frau Nora stetig zu wachsen scheint, während im Hintergrund die beiden Töchter durch das Haus tollen und das trinkende Baby mit großen Augen in die Kamera blickt. Auf kurzzeitig muntere Szenen folgen verstörende Bilder von Rattenkadavern. Von wem wird er schikaniert?
Dem Regisseur von „Exil“, Visar Morina, ist es gelungen, ein atemberaubendes Spiel mit der Wahrnehmung zu inszenieren. Denn die Wahrnehmung von Xhafer ist eine gänzlich andere als die seiner Frau. Und auch die „äußere“ Betrachtung der Situation lässt oftmals ganz andere Schlüsse zu als die von Xhafer gezogenen. Nichts ist eindeutig.
Die Frage nach der Perspektive
Immer wieder folgen wir Xhafer in einer unheilvollen Kameraperspektive: von hinten an seinem Rücken vorbeischauend, wie er dunkle, unscharfe Korridore entlangschreitet. Die Kameraeinstellungen sind lang. Das irritiert und sorgt für Unruhe. Wir blicken in Xhafers dunkle Augen, in sein verschlossenes Gesicht und wir glauben zu verstehen, was für schlimme Gefühle in seiner Brust toben.
Gleichzeitig sehen wir seine Frau Nora: wie sie mit der Zeit schier verzweifelt, während sie von Xhafer in sein Netz aus Misstrauen eingewebt wird. „Was ist denn nun wahr?“, fragt man sich als Zuschauer*in – und irgendwie scheinen sie in ihrer Wahrnehmung alle Recht zu haben. An diesem Punkt bietet der Film gerade aus psychologischer Perspektive eine nicht enden wollende Fülle an Details und Denkanstößen.
Fesselnde Akustik
„Exil“ ist darüber hinaus ein akustisches Meisterwerk. Laut knisternd schmilzt der Kinderwagen vor der Haustür in den Flammen – niemand weiß, wer das Feuer gelegt hat. Im Hintergrund überschlägt sich fast das Brüllen des Babys. Das Klirren von Messern und Gabeln in der Kantine wird zu einer grausigen Melodie. Das Klatschen im Konferenzraum verwandelt sich in ein ohrenbetäubendes, erschlagendes Schmettern. Immer wieder werden die Geräusche geradezu unheimlich präsent: die verzweifelten Laute der Versuchstiere in dem Labor, in welchem Xhafer als Pharmaingenieur arbeitet; das nächtliche Rascheln der Vorhänge im Wind.
Es wird fast keine Musik eingesetzt – nur ein rhythmisches, monotones Trommeln, das an ein Metronom erinnert und ebenso plötzlich aufhört, wie es begonnen hat. Zeitweise erklingen eintönige Gesänge – und die Zuschauenden beschleicht die schreckliche Vorahnung, dass wieder etwas geschehen wird.
Mein Fazit
Sind die Anfeindungen gegen Xhafer subtil? Sind sie offensichtlich? Oder sind sie pure Einbildung? Der Film spitzt sich nicht zu auf ein dramatisches, auflösendes Ereignis. Er schafft es, diese enorme Spannung aufrechtzuerhalten. Es wird nichts übertrieben, nichts absurd – vielmehr hat man das Gefühl, die ganze Zeit vor dem finalen Knall zu stehen. Bis zur letzten Sekunde.
Der Film ist mit 121 Minuten Länge nicht gerade kurz. Langeweile kommt aber in keinem Moment auf. Dafür ist das misstrauische, katastrophal anmutende Netz aus düsterer Wahrnehmung zu dicht. Ohne Frage ist „Exil“ ein Psychodrama, dem man sich als Zuschauer*in nur schwer entziehen kann. Das liegt zum einen an der brisanten Thematik des (alltäglichen) Rassismus, zum anderen an der brillanten schauspielerischen Leistung von Mišel Matičević (Xhafer). „Exil“ regt zum Nachdenken an: Wo beginnt Rassismus? Und gerade diese Frage scheint heute aktueller zu sein als je zuvor.
„Exil“ wurde bereits auf der Berlinale 2020 gezeigt und kommt am 20.08.2020 in die deutschen Kinos.