Filmtipp: Little Joe

Die Hauptfigur Alice inmitten ihrer Zucht von Little Joe. (Foto: © COOP99, The Bureau, Essential Films)

Mit sanften Farben, krasser Musik und alarmierend realitätsnaher Thematik fesselt Little Joe den Zuschauer von Anfang an. Können wir unseren Gefühlen überhaupt noch trauen? Den verstörenden Film - speziell für alle Pflanzenliebhaber – durften wir uns vorab für euch angeschauen.

Der Film „Little Joe“ der Österreichischen Regisseurin Jessica Hausner handelt von der Wissenschaftlerin Alice (gespielt von Emily Beecham), die eine spezielle Blumensorte herangezüchtet hat, welche ihre Besitzer glücklich machen soll. Sie verstößt gegen die Vorschriften und schenkt eine der Blumen ihrem heranwachsenden Sohn Joe (Kit Connor), um ihm eine Freude zu machen. Sie beschließen, die Sorte „Little Joe“ zu nennen. Doch schon bald bemerkt die Mutter Veränderungen bei ihrem Sohn, fühlt sich ihm immer fremder – und auch in ihrem Arbeitsumfeld scheint sie zunehmend die Kontrolle zu verlieren. Als sie schließlich auch die Veränderungen ihres Kollegen Chris (Ben Whishaw) nicht mehr erklären kann, beginnt Alice zu glauben, ihre Blume würde Pollen abgeben, die die Personen, die sie einatmen verändern.

Little Joe kommt am 09. Januar 2020 in die deutschen Kinos.

Die mintgrünen Laborkittel wirken kalt und steril. (Foto: © COOP99, The Bureau, Essential Films)

Beunruhigend-realitätsnahe Thematik

Mit den Möglichkeiten unserer heutigen Wissenschaft und Technik scheint die Idee einer Pflanze, welche allein durch ihren Duft bestimmte chemische Reaktionen im Gehirn auslösen kann, nicht zu weit hergeholt. „Little Joe“ wirft einige Fragen auf, die den Wert von Glücklichkeit und die Echtheit der menschlichen Gefühle infrage stellen. Es scheint Alice, als wären die von Pollen „infizierten“ Menschen zwar glücklich, aber nicht mehr sie selbst. Dies wird nicht nur von den Schauspielenden der betreffenden Charakteren gut umgesetzt, auch die Kostüme werden über den Film hinweg gefühlt weniger individuell: Speziell in Szenen mit vielen Arbeitenden in Laborkitteln geht das Gefühl für das Individuum vollkommen verloren; alle sind gleich.

Einsatz von Gegensätzen

Eine offensichtliche visuelle Abgrenzung zu der Masse der Labor-Arbeitenden ist Alice‘ Frisur. Der rote Pilzkopf sticht gegen die ansonsten eher profan gehaltenen Kostüme und Masken der anderen Rollen stark heraus und kreiert außerdem für ihr Gesamterscheinungsbild eine Ähnlichkeit zu ihrer Pflanze. Schließlich ist ein weiteres Thema des Films das Dilemma, eine arbeitende Mutter zu sein: Welches der Kinder wird bevorzugt behandelt?

Chris versorgt im Labor die Little Joe Pflanzen mit Nahrung. (Foto: © COOP99, The Bureau, Essential Films)

Zarte Farben

Was im Film sofort (und wortwörtlich) ins Auge fällt, ist der deutliche, fast aggressive Gebrauch von Farben als Stilmittel. Das Labor, wo ein Großteil des Films spielt, sieht durch kühle Pastelltöne und viel Weiß furchtbar steril und charakterlos aus. Einen krassen Kontrast dazu stellt das Signal-Rot der Little Joe-Pflanzen dar, die dadurch sowohl etwas unpassend als auch gleichzeitig besonders wirken. Dies verstärkt auch den Plot des Films: je nach Farbkulisse wird schon angekündigt, ob etwas (schlimmes) passiert oder alles in Ordnung ist. Natürlich werden diese Erwartungen manchmal gebrochen, aber allein die Farbwahl sorgt beim Publikum für unruhiges Vorrücken in den Sitzen.

Brutale Musik

Ein Gegensatz zu den zarten Farben ist die Filmmusik, die an den meisten Stellen weniger wie Musik, sondern vielmehr nach Dschungel-Geräuschen klingt. Viele Trommeln werden je nach Spannung in einer Szene lauter oder leiser, schneller oder langsamer. Streichinstrumente werden so gespielt, dass sie wie ein kläffendes Rudel streunender Hunde klingen.

Alice erzählt ihrem Sohn Joe von ihrer Pflanze und erklärt, dass man sich gut um die Pflanze kümmern muss. Schließlich sei sie ein lebendiges Wesen. (Foto: © COOP99, The Bureau, Essential Films)

Psychologische Bedeutung

Die Idee des künstlichen Glücks ist keine neue und auch das Konzept, durch den falschen Chemikalien-Cocktail infiziert zu werden, wurde nicht speziell für diesen Film erfunden. Aber die Darstellung der Entfremdung von Nahestehenden, der Künstlichkeit des Glücks sowie des zunehmenden Kontrollverlusts seitens der Wissenschaftlerin und Mutter macht Little Joe faszinierend und innovativ. Auch die Zensuren durch einige Besuche Alice‘ bei ihrer Psychotherapeutin verdeutlichen (allerdings mit einer fast unnötigen Deutlichkeit) den zunehmend verstörenden Lauf der Dinge. Sie erzählt der Therapeutin, was die Zuschauer in den Szenen davor gesehen haben, und gibt ihre eigene Meinung zum Geschehen, welche sich über den Film hinweg deutlich ändert.
Schließlich bleibt trotz einiger Hinweise nicht geklärt: Liegt es wirklich an Little Joe, dass sich die Menschen um Alice herum verändern? Ist künstlich induzierte Freude weniger echt als spontan durch das Gehirn herbeigerufene?

Durch die krasse rote Farbe und die ungewöhnlichen Blätter der Pflanze, wirkt „Little Joe“ alarmierend und bedrohlich. (Foto: © COOP99, The Bureau, Essential Films)

Mein Fazit

Little Joe ist ein visuell ansprechender Film mit einer sehr guten Besetzung, der das Publikum in eine künstliche(re) Welt entführt. Durch die passende Musik und abwechslungsreiche Kameraführung wird die Handlung sehr gut unterstrichen.
Allerdings muss ich – als genereller Horror-Fan – sagen, dass ich die Klassifikation als Psycho-Thriller nicht ganz unterschreibe: Dazu habe ich die meiste Zeit zu wenig konkrete Bedrohung verspürt, sondern mich viel mehr gesellschaftskritisch zum Denken angeregt gefühlt.