Wie du einen konstruktiven Umgang mit „Misserfolgen“ findest
„Warum geht es nicht voran?“ – „Hab ich was falsch gemacht?“ – Vielleicht kennst auch du solche Gefühle von Misserfolg und Hilflosigkeit in Therapiesituationen. Was du tun kannst, um aus ihnen zu lernen und wieder zu mehr Vertrauen im Therapieprozess zu finden.
Ungeachtet aller Sorgenexpositionen hat ein Patient weiterhin starke Ängste vor zukünftigen Katastrophen. Und in der Gruppentherapie fällt es einer jungen Patientin trotz einer guten Atmosphäre schwer, ihre Gefühle zuzulassen und zu zeigen. Kennst du solche Situationen aus deiner Praxis? Und wenn ja, wie fühlst du dich damit?
Viele Kolleg*innen haben eine unspezifische Angst vor Hilflosigkeit in Sitzungen, nicht gelingenden Therapien und somit vor Misserfolgserleben. Auch ich kenne solche Situationen gut und möchte dich im Folgenden dabei unterstützen, dich konstruktiv mit ihnen auseinanderzusetzen.
Wachstum braucht Zeit
Um es vorwegzunehmen:
- Nicht alles, was in unserer Bewertung wie ein Misserfolg erscheint, ist auch einer (insbesondere auf lange Sicht).
- Denn: Was für uns Therapeut*innen manchmal wie ein Stagnieren wirkt, ist im Wachstumsprozess und Erleben der Patient*innen oft sinnvoll - vielleicht nicht unbedingt langfristig, um an persönliche wichtige Ziele zu gelangen, aber kurzfristig allemal. Unsere Patient*innen schützen sich damit zunächst vor Misserfolgen, unbequemen neuen Erfahrungen, kritischen Urteilen anderer und damit in letzter Konsequenz vor dem Verlust von Wertschätzung und Beziehung.
Eine meiner Patient*innen brachte es in einer Abschlusssitzung auf den Punkt: „Eigentlich war ja schon nach drei Sitzungen klar, was ich machen muss, damit es mir besser geht: Eben die alte Stelle kündigen! Aber erst jetzt, nach eineinhalb Jahren war ich soweit.“ Wir würdigten, dass es eben genau diese Zeit gebraucht hatte, immer wieder und wieder das alte Muster aus Unterwürfigkeit gegenüber der Chefin sowie deren Abwertungen zu durchleben und zu reflektieren – um dann mit Unterstützung von mir und der Gruppentherapie genug Mut aufzubringen, sich eine neue Stelle zu suchen.
Die Patientin war im gesamten Prozess durchaus offen, ehrlich und „mit im Boot“. Sie war nach und nach in der Lage, ihr Vermeidungsschemata mit den altbekannten – früher unbewussten – kurzfristigen Vorteilen (Unterwürfigkeit als Schutz vor Strafe und Suche nach Anerkennung) zu erkennen sowie die mittel- und langfristigen Kosten dieses Verhaltens ehrlich zu hinterfragen. So konnten wir ihr Zögern und ihr Vermeiden eben nicht als Misserfolg werten, sondern als Wachstumsprozess, bei dem „das Gras auch nicht schneller wächst, wenn man daran zieht.“ Ist es nicht oft auch so, dass wir als Therapeut*innen zu schnell zu viel von unseren Patient*innen wollen?
Die eigenen Schemata und Bedürfnisse erkennen
Häufig höre ich von Supervisand*innen, dass schweigende Patient*innen, sehr resignative Äußerungen sowie mangelnde Mitarbeit Ärger und Frustration, vor allem aber starke Unsicherheit und Hilflosigkeitserleben auslösen können. Diese Hilflosigkeit erleben wir Therapeut*innen als sehr aversiv, ebenso wie unser Gegenüber.
Meiner Meinung nach erinnert uns die Hilflosigkeit dieser aktuellen therapeutischen Situationen an eigene, alte biografische Machtlosigkeiten, zum Beispiel Situationen aus unserer eigenen Lebensgeschichte, in denen wir hilflos ausgeliefert waren, etwas Leidvolles nicht verhindern oder positiv beeinflussen konnten. Ein altes Schema also, das reaktiviert wird. Dies zu erkennen, ist oft der erste Schritt, um wieder handlungsfähiger zu werden.
In unserem Beruf liegt zudem die Gefahr, sich selbst zugunsten anderer zu vernachlässigen und damit (unbewusst) auch eigene, total menschliche Bedürfnisse zu nähren. Wie beispielsweise:
- das Grundbedürfnis nach Selbstwerterhöhung bzw. Anerkennung (ein*e gute*r Therapeut*in sein; ein Mensch sein, der immer hilfreich ist) oder auch
- das Grundbedürfnis nach Kontrolle (die Therapiesituation stets im Griff haben und damit oft auch unbewusst alte, biografische Erfahrungen von Kontrollverlusten zu kontrollieren versuchen)
Wenn du mit starken Versagensängsten zu tun haben solltest, könntest du in deiner Intervision oder Supervision den Ursachen auf den Grund gehen.
4 Schritte für mehr Sicherheit
In zukünftigen Therapiesituationen, in denen du dich überfordert oder hilflos fühlst oder in denen du den Eindruck eines Misserfolgs hast, kannst du Folgendes ausprobieren:
1. Bemerke, dass du in einer (Therapie-)Situation getriggert beziehungsweise emotional stärker aktiviert bist. Eher als: „Aha, da ist die Versagensangst (oder der Ärger usw.) wieder“, denn als: „Oh nein, nicht schon wieder…, ich muss…..“. Ersteres schafft mehr Raum und Akzeptanz, um das Erleben tiefer zu verstehen. Letzteres wird das Schema verfestigen.
2. Akzeptiere, dass die Situation und dein Erleben gerade so ist, wie es ist. Dies bedeutet nicht, Ängste oder Spannungen gut zu finden oder jeglichen Anspruch an den Verlauf der Therapie fallen zu lassen, sondern nicht gegen Dinge zu kämpfen, die gerade einfach so sind, wie sie sind.
3. Tief in den Bauch einatmen und langsam ausatmen. Was sich so banal liest, vermittelt deinem Nervensystem: „Alles in Ordnung, du bist in Sicherheit“ und du wirst klarer sehen können, was nun aus deiner Sicht zu tun ist.
Kümmern liegt in unserer Hand, Heilung nicht wirklich!
4. In Ruhe abwägen und/oder mit jemandem Rücksprache halten, was in dem Fall zu tun ist. Geht es darum, deine hohen Ansprüche an dich (und die Patient*innen) zu reduzieren? Der bekannte buddhistische Abt Ajahn Brahm brachte es einmal auf die Formel: „to care, not to cure“ – also sich um sich und umeinander zu kümmern, ohne einen Heilungsanspruch. Kümmern liegt in unserer Hand, Heilung nicht wirklich! Dieser „Shift“ im Herangehen an unseren Beruf kann eindeutig unsere Ressourcen und Kräfte schonen, uns selbst in den Fokus der (Selbst-)Fürsorge nehmen und somit die Gefahr des Ausbrennens stark verringern.
Achtsam im Therapieprozess bleiben
Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, je eher ich in den Sitzungen meine Erwartungen an ein bestimmtes „Ergebnis“ loslasse, sondern offen für das Gesagte, den Prozess und die individuellen, viel passenderen Lösungsideen meines Gegenübers werde, desto eher bin ich mit der Person auf Augenhöhe (anstatt zu sehr in einer „heilenden“ Rolle sein zu wollen), desto eher kommt es zu Veränderungen bei ihm oder ihr.
Ist es aber so, dass dein*e Patient*in über einen längeren Zeitraum zu kaum einen Veränderungsschritt bereit ist, dann könntest du das mal wertschätzend, aber klar spiegeln und damit die Verantwortung für das Üben neuer Verhaltensweisen an ihn oder sie (zurück)geben – niemand anders kann dafür verantwortlich sein. Das Ansprechen erfordert Mut, ist aber oft sehr hilfreich und kann die Therapiebeziehung noch authentischer werden lassen.
Mit Fehlern umgehen und aus ihnen lernen
Sicherlich gibt es auch den Fall, dass wir Fehler in Therapien machen, dass wir Dinge in Therapien versäumen, falsch verstehen, zu schnell oder unstrukturiert vorgehen oder zu schnelle Bewertungen vornehmen, manchmal auch ohne dies zu bemerken. Wir sind auch nur Menschen und können nicht fehlerlos sein! Wenn dir ein offensichtlicher Fehler passiert sein sollte oder du auch mal fachlich nicht weiterweißt (sehr normal), stehe dazu und übernimm die Verantwortung dafür. Im Falle eines Fehlers versuche, ihn beim nächsten Mal zu vermeiden. Denn nur so lernen wir! Und das ist das Wunderbare an unserer Arbeit: Ein Leben lang von Menschen und mit Menschen lernen zu dürfen, ohne den Anspruch, „heilen zu müssen“.
Zugespitzt also nochmals frei nach Ajahn Brahm: Kümmern ja, heilen nein. Diese Haltung einzuüben, im Vertrauen auf die eigenen Fertigkeiten und die des Gegenübers (!), ergibt in der eigenen Anspruchshaltung und im Vorgehen einen großen Unterschied. Probiere es geduldig und neugierig aus.
Zum Weiterlesen [Werbung]:
Brahm, A. (2015). Der Elefant, der das Glück vergaß. München: Lotos.
Pigorsch, B. (2019). Der innere Kritiker von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Weinheim: Beltz Verlag.