Wie uns die Psychologie aus der Klimakrise helfen kann
Welche Rolle spielt die Psychologie in der Klimakrise? Und was kannst du im Alltag tun, um dich für Umweltschutz zu engagieren? Über dieses Thema haben wir mit Lea Dohm gesprochen. Sie ist Psychotherapeutin und Mitbegründerin der Psychologists/Psychotherapists for Future und erzählt im psylife-Interview über ihre Arbeit für eine lebenswerte, zufriedene Zukunft.
Frau Dohm, was hat Sie bewegt, sich für Umweltschutz und gegen Klimawandel zu engagieren?
Ich habe gelesen. Es mag banal klingen, aber es hat sich für mich geradezu augenöffnend angefühlt.
Inspiriert von Greta Thunberg und der 2019 erstarkenden Klimagerechtigkeitsbewegung habe ich begonnen zu recherchieren, wie es aktuell um das Klima steht. Ein sachliches Problembewusstsein war bei mir durchaus auch vorher vorhanden. Dann konnte ich etwa zwei Wochen lang gar nicht mehr aufhören, mich durch eine Studie nach der anderen zu arbeiten. Zwischendurch musste ich immer mal wieder unterbrechen, weil mir die Inhalte, vor allem die zur Luftverschmutzung, Waldbränden und Kipppunkten, Angst gemacht haben.
Am 15. März 2019 war ich dann mit meinen beiden Kindern erstmals auf einem Klimastreik dabei. All die Menschen zu sehen, die für den Klimaschutz auf die Straße gehen, hat mich sehr berührt und seitdem ist ein bewusstes Klimahandeln auch bei mir Schritt für Schritt mehr in mein Leben getreten.
Wie wirkt sich der Klimawandel auf die psychische Gesundheit aus?
Die Frage ist auf mehreren Ebenen zu beantworten. Zunächst das Naheliegende: Extremwetterereignisse erhöhen die Wahrscheinlichkeit, in der Folge psychische Symptome wie Stress, Ängste oder Depressionen zu entwickeln. Dies wird schon seit vielen Jahren durch psychologische Forschung sicher belegt und wurde zuletzt sogar im sogenannten „Klimaurteil“ des Bundesverfassungsgerichts entsprechend gewürdigt.
Oft gestaltet sich die Situation aber deutlich komplexer. Wenn wir z. B. die Klimakrise nicht nur als Klimakrise, sondern darüber hinaus auch als Umwelt- und Biodiversitätskrise begreifen, treten auf einen Schlag noch deutlich mehr psychologische Belastungen zutage: werden die natürlichen Lebensräume von Tierarten zerstört, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit einer Virenübertragung von Tieren auf den Menschen. Das vermehrte Auftreten von Zoonosen wie Ebola oder aktuell Covid-19 ist eine bekannte Folge der Schädigung von Ökosystemen. Die psychischen Folgebelastungen sind enorm, sehr komplex und werden ja auch in der Presse derzeit breit diskutiert.
In der psychologischen Beratung von Klimaengagierten haben wir es allerdings häufiger mit anderen, leider auch berechtigten Sorgen zu tun: ein weiteres Erstarken rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Positionen, Kriege, Milliarden Menschen auf der Flucht, Lebensmittelkrisen und die Destabilisierung unseres demokratischen Systems.
Dazu ist es wichtig zu wissen: Gefühle, die das Wissen um die Klima- und Biodiversitätskrise in uns auslösen können, sehen wir als Psychologists/Psychotherapists for Future (Psy4F) als gesund und wichtig an – schließlich weisen sie auf eine konkrete, reale Gefahr hin. In der Regel können diese Gefühle auch recht gut und konstruktiv genutzt werden, um z. B. für den Klimaschutz aktiv zu werden oder eigene Lebensgewohnheiten in Frage zu stellen. Ich selbst bemühe mich, in dieser Hinsicht ein gutes Beispiel zu sein.
Kaum ein*e Psychotherapeut*in, die*der nicht selbst betroffen ist.
Begegnet Ihnen das Thema auch in Ihrer psychotherapeutischen Praxis?
Selten. Die meisten meiner Patient*innen suchen meine psychotherapeutische Praxis aus anderen Gründen auf. Aber wenn das Klima in den Behandlungen zum Thema wird, dann oft auf eine sehr drängende Art und Weise. Dies ist dann für mich herausfordernd, da ich die Ängste – trotz vermutlich recht guter Bewältigungsstrategien – ja ebenso teile.
Welche Schwierigkeiten können sich daraus ergeben und wie gehe ich professionell damit um?
In meiner Psychotherapieausbildung habe ich noch vor gut zehn Jahren gelernt, dass für Psychotherapeut*innen große Aufmerksamkeit geboten ist, wenn sie in den Behandlungen mit Problemen konfrontiert werden, die sie selbst hatten oder haben. In diesen Fällen ist es nämlich schwerer, die Belastungen aus einer Außenperspektive zu betrachten, stattdessen kann es passieren, dass wir uns in diesem Themenkomplex gemeinsam mit unserem Gegenüber „verstricken“. Das Weiterverweisen dieser Patient*innen ist gängige Praxis.
Schon in der Pandemie wird nun deutlich, an welchen Stellen dieses Vorgehen an seine Grenzen kommt, denn hier teilen wir ganz automatisch und unausweichlich die Probleme unserer Patient*innen. Kaum ein*e Psychotherapeut*in, die*der nicht selbst betroffen ist.
Als Psychotherapeutin ist dies eine Situation, auf die ich mich aus meiner Ausbildung heraus nicht gut vorbereitet sehe. Gleichzeitig erlebe ich, dass aus diesem Setting auch etwas Neues und Berührendes entstehen kann: Patient*in und Therapeut*in nähern sich an, begegnen sich mehr auf Augenhöhe. Dieses Abflachen von hierarchischen Beziehungen kann verunsichern, inzwischen denke ich aber auch, dass eine neue Kultur des Miteinanders daraus entstehen kann.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Psychotherapeut*innen auf Gebieten, von denen sie selbst betroffen sind, eine besondere Expertise gewinnen. Dafür gibt es prominente Beispiele. In der Therapie kann das dann ein Vorteil sein, wenn wir uns mit unseren eigenen Anteilen intensiv auseinandergesetzt haben. Das sollte, wenn nicht in eigener Therapie, in der Ausbildung als Selbsterfahrung geschehen. Auf diese Weise kann eine eigene Betroffenheit es ermöglichen, die Beschwerden der Patient*innen differenzierter zu sehen und sich besser in sie hineinzuversetzen. Da die Klimakrise auch für viele Psychotherapeut*innen ein neues Thema ist, gibt es außerdem Möglichkeiten, die eigenen Anteile als Selbsterfahrung auch nach der Ausbildung zu bearbeiten.
Welche Rolle spielen Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen in der Klimakrise?
Als ich im Frühjahr 2019 begann, mich in die Klimabewegung einzubringen, traf ich mich gemeinsam mit einer Kollegin mit einem promovierten Maschinenbauingenieur aus der Gruppe der Scientists for Future in einem Café. Als ich vorsichtig anfragte, ob und wie auch wir als Psychologinnen aus seiner Sicht hilfreich sein könnten, antwortete er mit einem Satz, der mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist: „Natürlich könnt Ihr hilfreich sein. Das ganze naturwissenschaftliche Problem inklusive Lösungsmöglichkeiten ist doch lange bekannt. Es scheitert an der Umsetzung. Das, was wir jetzt brauchen, ist die Psychologie, Soziologie und Sozialwissenschaft!“
Nur wenige Wochen später gestalteten die Kollegin und ich gemeinsam mit ihm und einem Professor für Meteorologie in Hannover einen gut besuchten Vortrag über die Schwierigkeiten und Möglichkeiten, mit Blick auf das Klima ins Handeln zu kommen. Bis heute arbeiten wir eng zusammen und lernen aus dieser Interdisziplinarität permanent dazu.
Psycholog*innen sind Expert*innen, wenn es um Transformationen im Leben geht. Durch die Klimakrise steht eine ganze Gesellschaft vor großen Veränderungen. Diesen notwendigen und manchmal schmerzvollen Prozess wollen wir begleiten.
Sie sind Mitgründerin der Psychologists/Psychotherapists for Future (Psy4F). Was steckt hinter der Initiative und was hat sich seit der Gründung 2019 alles getan?
Die Psy4F sind ein Zusammenschluss von Psycholog*innen, Psychotherapeut*innen und Studierenden der Psychologie, die die Ziele der Fridays for Future, nämlich im Wesentlichen eine Begrenzung der Erderhitzung auf möglichst unter 1,5 Grad, teilen. Zu diesem Zweck bringen wir auf vielfältige Weise unser Wissen und unsere Fähigkeiten in die Klimagerechtigkeitsbewegung ein.
Unsere Hauptbetätigungsfelder liegen in der Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere der Wissenschaftskommunikation, und in der kostenfreien Beratung von Klimaengagierten. Wir bieten Workshops, Vorträge und (Konflikt-)Moderationen an und unterstützen andere Klimagruppen auf Wunsch mit unserem Wissen aus der Arbeits- und Organisationspsychologie. Auch in unseren Kammern und Berufsverbänden sind wir bemüht, auf die enormen Schnittstellen zwischen Psychologie, Psychotherapie und der Klimakrise aufmerksam zu machen.
Aktuell sind im deutschsprachigen Raum mindestens 850 Kolleg*innen bei den Psy4F engagiert. Wir pflegen zudem gute Kontakte zu den Psy4F aus Schweden, Italien, Finnland, Dänemark, Irland und den Niederlanden sowie der Climate Psychology Alliance.
Jede Woche melden sich weitere Kolleg*innen, die sich bei uns einbringen möchten. Ein toller Erfolg war z. B. der Gewinn des Panter-Preises im November 2020. Seit April 2021 sind wir zudem Partnerorganisation eines europäischen Erasmus-Projektes zur Klimabildung an der Uni des Saarlands.
Wie sieht die Arbeit von Psy4F konkret aus?
Die Psy4F sind organisiert in Arbeits- und Regionalgruppen. Hier können sich alle Kolleg*innen frei im Rahmen ihrer Interessen und Möglichkeiten einbringen. In unseren Reihen finden sich z. B. Technik-Freaks, die sich mit unserer virtuellen Kommunikation und der Homepage betätigen, Studierende, die mit viel Geschick unsere sozialen Medienplattformen pflegen bis hin zu Universitätsprofessor*innen, die auf unsere Anfrage hin Vorträge halten.
Neue Kolleg*innen können an sogenannten „Onboarding“-Veranstaltungen teilnehmen und auf diese Weise Unterstützung erhalten, ihren Platz bei uns zu finden. Die Möglichkeiten des Engagements sind in der Tat unerschöpflich und wir sind immerzu auf der Suche nach neuen Psy4Fs, um die vielen Anfragen zuverlässig bearbeiten zu können und unsere eigenen Ideen zur Umsetzung zu bringen.
Welche Möglichkeiten gibt es, sich für Umweltschutz zu engagieren?
Alle Kolleg*innen sind zunächst einmal selbstverständlich herzlich eingeladen, sich unserer Bewegung anzuschließen. Doch auch als Nicht-Psycholog*in gibt es diverse Möglichkeiten, mit Blick auf Klima und Nachhaltigkeit aktiv zu werden. Dabei sehen wir aktuell das kollektive Handeln als besonders bedeutsam an, das heißt z. B. der Anschluss an eine Gruppe der Klimagerechtigkeitsbewegung und die aktive Mitarbeit dort. Aber auch über die Bewegung hinaus stellt sich das Aktivwerden für das Klima in Gruppen wie Sportvereinen, Kirchengemeinden, Elternschaft von Schulklassen, am Arbeitsplatz usw. als besonders wirksam heraus. Auf dieser lokalen Ebene entstehen dann Ideen für mehr Nachhaltigkeit, die gemeinsam als jeweilige Gruppe gelebt werden – und damit „ansteckend“ sein können. Und je mehr andere soziale Normen dadurch entstehen, desto mehr kommen diese sichtbaren Zeichen auch bei Politiker*innen an – die leider viel zu oft denken, dass „die Wähler*innen XYZ nicht wollen“.
Individuelle Verhaltensveränderungen wie weniger fliegen, weniger Auto fahren oder weniger Fleisch essen sind selbstverständlich auch genau aus diesem Grund wichtig und hilfreich. Gleichzeitig ist aus der Psychologie bekannt, dass ein Fokus auf individuelles Handeln dazu führen kann, sich bzgl. des eigenen Engagements in einer „falschen Sicherheit“ zu wiegen, und sogar das entscheidende Aktivwerden gemeinsam mit anderen verhindern kann.
Letztlich sehe ich, dass es darum geht, dieser Krise im eigenen Leben Priorität einzuräumen. Bei den vielen anderen Problemen, die uns im Alltag beschäftigen, kann das eine Meisterleistung sein – und manchmal sogar eine mit finanziellen Nachteilen verbundene Entscheidung, wenn z. B. für das Engagement Arbeitsstunden reduziert werden. Allerdings handelt es sich in diesem Fall sehr oft um eine psychisch wohltuende Meisterleistung, die wachsende Zufriedenheit und ein Gemeinschafts- und Selbstwirksamkeitsgefühl zur Folge haben kann. Es ist ein gutes Gefühl, im Einklang mit den eigenen Werten zu leben.
Zu guter Letzt: Psy4F befindet sich gerade in der Vereinsgründung. Sobald diese abgeschlossen ist (voraussichtlich noch im Frühjahr 2021) können alle Menschen, also auch Nicht-Psycholog*innen, Fördermitglied in unserem Verein werden und somit unsere Arbeit finanziell unterstützen.
Was sind die kleinen Dinge, die Sie im Alltag verändert haben, seit Sie sich mit Umwelt- und Klimaschutz beschäftigen?
In den vergangenen beiden Jahren hat sich in meinem Leben sehr viel verändert, da fällt es mir tatsächlich schwer, „kleine Dinge“ zu benennen. Wie nach der Geburt eines Kindes haben sich z. B. meine Freundschaften verändert, z. T. auch schmerzlich. Gleichzeitig habe ich viele neue Menschen kennengelernt und fühle mich sogar inzwischen weniger allein.
Ich esse kein Fleisch mehr und bemühe mich, auf Milchprodukte zu verzichten – das erscheint mir inzwischen tatsächlich leicht und gar nicht mehr einschränkend. Und ich rede mit Menschen über all das, was wir in Zukunft brauchen: Solidarität, Suffizienz, politische Partizipation. Diese Gespräche und die Ideen, die daraus entstehen, sind vielleicht die wichtigste Veränderung.
Zu guter Letzt: wenn Sie drei Wünsche für die Zukunft frei hätten, welche wären das?
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Dass meine Kinder eine lebenswerte, zufriedene Zukunft haben,
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dass mehr und mehr Menschen erkennen, dass sie hier und heute einen wichtigen Unterschied machen können und
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drei weitere Wünsche.