Wie traumatisierte Kämpfer im Kongo wieder in die Normalität zurückfinden

Schon vor Jahrzehnten erkannte die britische Wissenschaftlerin Mary Kaldor eine Veränderung von Kriegsszenarien: Statt durch geopolitische Interessen werden bewaffnete Konflikte maßgeblich durch ethnische Spannungen befeuert. Dabei verschwimmen die klaren Grenzen von Staatlichkeit und Nicht-Staatlichkeit, öffentlich und privat oder ökonomisch und politisch.

Mit zunehmender Globalisierung gewinnen friedensbildende Maßnahmen an Bedeutung. Aktuelle Zahlen sind jedoch ernüchternd: Derzeit werden weltweit etwa 40 aktive Konflikte mit pro Jahr über 100.000 Toten gezählt (Uppsala Data Conflict Program, UDCP). Katherine Glassmeyer und Nicholas Sambanis (2008) fanden in ihren Auswertungen, dass von 140 bewaffneten Konflikten zwischen 1945 und 1999 nur 18 Prozent beigelegt werden konnten – und selbst in diesen Fällen blieb das Risiko eines erneuten Ausbruchs hoch.

 

Gewalt als Teil des Menschseins

Außer in bewaffneten Konflikten zeigt sich Gewalt jedoch noch in vielen anderen Formen: Folter, Terror, Massaker, Hooliganismus, häusliche Gewalt, Missbrauch, Kriminalität – um nur einige Beispiele zu nennen. Und tatsächlich, Gewalt ist seit jeher ein existenzieller Teil des menschlichen Wesens: Wie das Essen, das Trinken oder auch das Sexualverhalten lässt sie sich in der Menschheitsgeschichte zurückverfolgen, oft in erschreckendem Ausmaß. Heute zeigen verschiedene (para)militärische Gruppen ebenso wie Einzeltäter, dass wir wie eh und je auch in der mutmaßlich „zivilisierten Gesellschaft“ zu Extremformen der Gewalt fähig sind.

Besonders in Gangs oder Rebellengruppen ist Gewalt allgegenwärtig. Sie wird glorifiziert. Der Stärkere gewinnt. Die Berichte der vergangenen Jahrzehnte aus den Krisenregionen dieser Erde lassen darauf schließen, dass Extremformen von Gewalt, wie etwa das Abschneiden von Extremitäten, Kannibalismus, (Massen-)Vergewaltigungen und ähnliches oft keine isolierten Vorfälle sind, sondern zum Alltag gehören – und zum Teil von den Kriegstreibern gebilligt werden.

Friedensmission sorgt für Sicherheit

Der Osten der Demokratischen Republik Kongo ist ein erschreckendes Beispiel dafür. Seit mehr als 15 Jahren wütet dort einer der schlimmsten Bürgerkriege der heutigen Zeit. Eine dynamische Anordnung vielzähliger (para)militärischer Gruppen beherrscht weite Teile der Region. Trotz internationaler Bemühungen können Zivilisten oft nicht ausreichend geschützt werden. Die Bevölkerung ist einem System von Gewalt und Korruption ausgeliefert. In den Medien hierzulande finden oft nur noch die schlimmsten der begangenen Gewalttaten Platz.

Seit 2010 ist die Friedensmission der Vereinten Nationen (MONUSCO) in der Demokratischen Republik Kongo stationiert. Mit mehr als 20.000 Soldaten und einem Jahresbudget von 1,4 Milliarden US-Dollar zielt sie darauf ab, paramilitärische Gruppen zu „neutralisieren“ und die Sicherheit im Land aufrecht zu erhalten. Neben der militärischen Präsenz wird in einem Demobilisierungsprogramm versucht, Rebellen eine Ausstiegschance zu bieten. In diesem Rahmen werden jährlich zwischen 3.000 und 5.000 kongolesische Kämpfer zurück ins Zivilleben geführt.

 

Kämpfer haben Schwierigkeiten, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen

In gewisser Weise sind diese jungen Männer im Alter von 22 bis 24 Jahren entscheidend dafür, ob die Region sich aus dem Kreislauf der Gewalt befreien kann. Doch für die Kämpfer selbst ist der Ausstieg schwierig: Sie tun sich meist schwer damit, sich im Alltag des zivilen Lebens zurechtzufinden; zu tiefgreifend hat der „Busch“ sie verändert. Meist rekrutiert vor dem 18. Lebensjahr, haben sie gesehen, wie ihre Freunde fielen, verletzt wurden oder erkrankten. Sie selbst standen unter ständiger Lebensgefahr. Plünderungen, Misshandlungen und Gewalt wurden ihr Alltag.

Zurück im zivilen Leben stehen sie vor neuen Herausforderungen: Stigmatisierung, Arbeitslosigkeit, schwache Staatsstrukturen, aber auch und besonders die Allgegenwärtigkeit der Erinnerungen an die Zeit als militärischer Kämpfer. Ein globales Gefühl der Unsicherheit kann in vielen Fällen nicht überwunden werden, fordert die ständige Bereitschaft zur Verteidigung und ebnet den Weg zurück in Rebellengruppen, Kriminalität, Missbrauch und/oder Drogenabhängigkeit.

Vergangenheit aufarbeiten und Gewalt entglorifizieren

Die Aufarbeitung der Vergangenheit und ein innerer Prozess der Entglorifizierung von Gewalt müssen daher am Beginn einer erfolgreichen Demobilisierung stehen. Elementar dafür sind evidenzbasierte psychotherapeutische Interventionen. Einen ersten Schritt kann eine Adaptation der klassischen Form der Narrativen Expositionstherapie (NET) darstellen: Auf der Lebenslinie symbolisieren, neben Blumen und Steinen, die für positive und negative Lebensereignisse stehen, Stöcke die selbst ausgeübten Gewalttaten. Gruppeninterventionen bereiten den Weg für einen gewaltfreien Umgang miteinander.

Über die vergangenen Jahrzehnte entwickelte sich die Narrative Expositionstherapie (NET) (Schauer, Neuner, & Elbert, 2005, 2011) zu einem evidenzbasierten Standardverfahren in der Traumabehandlung und gilt besonders bei multipler Traumatisierung als das Verfahren der Wahl. NET setzt sich aus klassischer Exposition in sensu und der Testimony Therapy (Cienfuegos & Monelli, 1983) zusammen und umfasst jeweils acht bis zwölf Einzelsitzungen einer Länge von etwa 90 Minuten. Verschiedene Studien zeigen, dass NET in den unterschiedlichsten Kulturen und Kontexten effektiv angewandt werden kann. Zudem ist NET disseminierbar: In einem drei- bis vierwöchigen Workshop mit darauffolgender Supervision können auch Personen ohne psychologischen Hintergrund lernen, NET effektiv anzuwenden.
 

Aus Traumata entstehen Narrative

In den nachfolgenden Expositionssitzungen werden die wichtigsten Ereignisse, insbesondere die „großen Steine“, noch einmal in all ihren Qualitäten – emotional, sensorisch, interozeptiv, kognitiv – durchlaufen, um eine Habituation der Angstreaktion herbeizuführen und die typischerweise fragmentierte Geschichte des Traumas zu einem kohärenten Narrativ umzuformen. Die Narrationen werden vom Therapeuten mitgeschrieben, der Bericht wird in der folgenden Sitzung vorgelesen. Fehlende Teile oder Unstimmigkeiten können so ergänzt werden, bis die Geschichte des Patienten stimmig ist. In der letzten Sitzung der NET erhält der Patient die ausgedruckte Narration seiner Biografie, welche nochmals vorgelesen und anschließend in einem symbolischen Akt von beiden Seiten unterschrieben wird.

Für Patienten, die aus verschiedenen Gründen nicht nur Opfer, sondern auch Täter von Gewalttaten wurden, spielt die Aufarbeitung dessen eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund gibt es – zusätzlich zu Blumen und Steinen – auch den Stock, der ein Ereignis symbolisiert, bei dem der Patient selbst in irgendeiner Weise aktiv in den Gewaltakt involviert war. Emotional kann dies sowohl positiv als auch negativ oder ambivalent besetzt sein. Im Verlauf der Sitzungen werden auch diese Lebensereignisse in der Logik der narrativen Exposition aufgearbeitet.

Parallel zu den Einzelsitzungen finden Gruppensitzungen statt, in denen die Patienten darin unterstützt werden, aktuelle Herausforderungen gewaltfrei zu meistern. Für ehemalige Kindersoldaten bedeutet das häufig, dass positive Erlebnisse erstmals in einem gewaltfreien Szenario erlebt werden.
 

Gewalt als Herausforderung für die Psychotherapie

Häufig werden Täter global als „schlechte Menschen“ verurteilt. Doch tatsächlich zeigen aktuelle Forschungsergebnisse, dass jeder Mensch mit einer gewissen Aggressionsbereitschaft geboren wird. In welchem Ausmaß diese kultiviert und ausgeprägt wird, hängt von verschiedenen Umweltfaktoren ab. Gewalterfahrungen mit traumatischem Charakter spielen dabei eine besonders tiefgreifende Rolle – ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt.

Literatur
 

Cienfuegos, J. & Monelli, C. (1983). The testimony of political repression as a therapeutic instrument. American Journal of Orthopsychiatry, 53, 43–51.

Glassmeyer, K. & Sambanis, N. (2008). Rebel-military integration and civil war termination. Journal of Peace Research, 45 (3), 365–384.

Schauer, M., Neuner, F. & Elbert, T. (2005, 2011). Narrative Exposure Therapy (NET): A short-term intervention for Traumatic Stress Disorders (1st, 2nd ed.). Cambridge/Göttingen: Hogrefe & Huber Publishers.