Fünf-Elemente-Zirkel der Achtsamkeit: Beobachten

Die Erfahrungen mit der Übung aus meinem Beitrag "Fünf-Elemente-Zirkel der Achtsamkeit: 1. Konzentration" haben dir sicher die Bedeutung der Konzentration als Basiselement der Achtsamkeit noch einmal verdeutlicht.

Wenn du neu oder nach längerer Pause wieder mit dem Praktizieren von Achtsamkeit begonnen hast, hast du vermutlich festgestellt, dass die Frequenz des Abschweifens mit der Zunahme der Komplexität der Aufgabe abnahm. Und sicher hast du auch bemerkt, dass bei gedanklicher Ablenkung die Inhalte mit der Zunahme des Schwierigkeitsgrads der Übung näher am eigentlichen Übungsinhalt waren. So warst du im ersten Teil der Übung vielleicht plötzlich bei der Reflexion der Ereignisse des Tages, während du dich beim letzten Teil der Übung vielleicht eher beim Nachgrübeln über das evtl. anfängliche Misslingen der Übung beobachtet hast.

Um im Bild der „Horde wilder Affen“ zu bleiben – je mehr Herausforderung und Beschäftigung den Affen geboten wird, desto weniger neigen sie dazu, auf andere gedankliche oder sinnliche Ablenkungen zu reagieren. Das kennst du wahrscheinlich auch aus deinem Alltag. Wenn du Routineaufgaben nachgehst, wirst du häufiger gedanklich nicht bei der Sache sein als bei der Hinwendung zu völlig neuartigen und/oder komplexen Tätigkeiten.

Element: Beobachten

In diesem Artikel wirst du das Element „Beobachten“ aus dem Fünf-Elemente-Zirkel der Achtsamkeit kennenlernen und in der untenstehenden Übung erfahren. Während Beobachten im Alltagsgeschehen oft eine Reaktion auf äußere (z.B. Sinneswahrnehmungen) oder innere (z.B. Gedanken, Körpersensationen) Reize ist und Bewertungen und Folgereaktionen hervorruft, bedeutet Beobachten im Sinne der Achtsamkeit eine gezielte Hinwendung zu einem ausgewählten Beobachtungsgegenstand. Der Fokus kann dabei ganz unterschiedlich eng (Ich beobachte die Flamme einer Kerze.) oder weit (Ich beobachte den Strom meiner Gedanken.) gefasst sein und wird willentlich gesetzt. Gleichzeitig ist der Vorgang des Beobachtens dabei die einzige Intention. Beobachtet wird im Sinne der Achtsamkeit, um zu beobachten (statt um einen Bewertungs- und Entscheidungsprozess oder eine Handlung einzuleiten). Im Gegensatz zum Beobachtungsverhalten im Alltag werden dabei alle Elemente des Beobachtungsgegenstandes gleichermaßen wahrgenommen, ohne einige zugunsten anderer zu diskriminieren. Somit können neue Elemente des Beobachteten entdeckt werden.

Achtsamkeitsübung

Der Frühling bietet es geradezu an, sich draußen hinzusetzen und die vielfältigen Geräusche zu "beobachten". Du kannst dies aber auch drinnen tun, indem du z.B. ein Fenster öffnest.

Nimm wieder eine entspannt-aufrechte Körperhaltung ein und schließe möglichst die Augen, wenn es für dich angenehm sein sollte. Versuche, konzentriert und so kontinuierlich wie möglich, deine Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmungsinhalte des Sinneskanals "Hören" zu richten und dort ruhen zu lassen. "Beobachte" die Umgebungsgeräusche, die sich in deinem Hörraum befinden. Versuche, die Geräusche nur elementar wahrzunehmen ohne dir Gedanken darüber machen zu wollen, was ein Geräusch verursacht, was es genau ist, woher es kommt und warum es da ist. In dieser Übung geht es einzig und allein um das Wahrnehmen und Erleben von akustischen Reizen. Experimentiere mit der "Breite" deines Wahrnehmungsfeldes. Versuch' einmal, so viele Geräusche wie möglich gleichzeitig bewusst wahrzunehmen. Stelle dann den Fokus enger und beobachte ein einziges ausgewähltes Geräusch so aufmerksam und kontinuierlich wie möglich.

Auch bei dieser Übung wirst du sicherlich bemerken, wie deine Aufmerksamkeit abschweift und anderen Gedanken folgt. Oder du bemerkst, dass du dir doch Gedanken darüber machst, was ein bestimmtes Geräusch verursacht. Bemerke dieses Abschweifen und kehre sanft und gelassen - so gut es dir möglich ist - zur eigentlichen Übung zurück.

Vielleicht bemerkst du, dass bestimmte Geräusche bestimmte Reaktionen bei dir auslösen. Möglicherweise löst z.B. das Singen eines Vogels angenehme Empfindungen, Bilder und Erinnerungen bei dir aus. Andere Geräusche, wie z.B. ein vorbeifahrendes Auto, eher unangenehme. Nimm auch diese Reaktionen interessiert wahr. Erkenne an, dass sie da sind. Verfolge die Reaktionen aber dann nicht weiter, denn sie sind nicht Teil dieser Übung. Lass' sie los und richte deine Aufmerksamkeit wieder auf das elementare Hören.

Es kann sein, dass du nach längerer Verweildauer in deinem Hörraum immer wieder neue Hintergrundgeräusche bemerkst, die dir zu Beginn der Übung nicht aufgefallen sind, oder dass du Geräusche feiner und differenzierter wahrnimmst.

Wahrnehmen und Beobachten - konzentriert und gelassen. Nicht denken. Nicht überlegen. Nicht sprechen. Nicht handeln. Nichts erreichen wollen.

Lass' dir für diese Übung soviel Zeit wie du willst. Verweile in deinem eigenen Hörraum so lange, wie es für dich angenehm ist. Nimm zum Abschluss einen tiefen Atemzug und öffne langsam wieder deine Augen.

Ist es dir gelungen, für einen gewissen Zeitraum absichtsvoll-konzentriert „nur“ wahrzunehmen?

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Gerhard Zarbock und Silka Ringer.