Coaching für Frauen: Ich weiß und fühle, was ich kann!

Drei Frauen, die ihre Köpfe nebeneinanderhalten, die mittlere Frau schaut durch eine rote Herzbrille

Es erstaunt mich immer wieder, wie zurückhaltend Frauen im Coaching sind, wenn sie über ihre eigenen Kompetenzen sprechen. Und selbst, wenn sie um ihre Stärken wissen, fällt es ihnen schwer, diese zu fühlen und ihnen zu vertrauen. Deshalb ist es im Coaching für Frauen besonders wichtig, auf die Ressourcen zu achten. Die Kompetenzen immer wieder zu spiegeln und durch Übungen zu ermutigen, die eigenen Fähigkeiten auch wirklich zu fühlen. 

Die folgenden, praktischen Ideen sind sowohl hilfreich für Frauen, die coachen, als auch Frauen, die gecoacht werden. Probiere die Impulse gerne selbst aus.

 

Setze die Defizitbrille ab

Es gibt leider eine lange kulturelle Tradition, Frauen durch eine Defizitbrille zu sehen. Das wirkt bis in die Gegenwart hinein. Stereotype Bilder von Weiblichkeit und davon, was Frauen angeblich können und nicht können, sind immer noch wirkmächtig. Kein Wunder, dass auch Frauen selbst durch diese Defizitbrille auf sich selbst schauen.

Hierzu einige Beispiele: Neulich eröffnete eine gestandene Frau den ersten Coachingtermin damit, nur ihre Defizite aufzuzählen. Als ich vor einigen Monaten zu einem Kennenlerntreffen von weiblichen Expertinnen zum Thema Meditation ging, war ich erstaunt, wie sehr alle ihr Licht unter den Scheffel stellten und nicht einfach klar und deutlich über ihre Kompetenzen sprechen konnten. Eine junge Erzieherin kam zu einigen Coachingstunden zu mir, der Arbeitgeber wollte, dass sie Ressourcen im Umgang mit Stress an die Hand bekommt. Die Pädagogin war engagiert und konnte sich sehr gut um die Bedürfnisse der Kinder und Kolleginnen kümmern. Doch sie sah die eigenen Kompetenzen nicht und konnte sich selbst nicht wertschätzen. Es war in ihren Augen nie gut genug, was sie tat. Deshalb konnte sie auch eine persönliche berufliche Weiterentwicklung und die eigene Selbstfürsorge so wenig in den Blick nehmen. Durch das Coaching begann sie, die eigenen Kompetenzen mehr wahrzunehmen und auch ein Gefühl für ihre Grenzen und Bedürfnisse zu entwickeln.

Studien zeigen, dass es Frauen nicht an Kompetenzen fehlt, sondern an Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Sie gehen zu selbstkritisch mit sich um. Außerdem denken sie über Kompetenz zu statisch, sie gestehen sich keinen Lernweg zu, der Fehler und Umwege als wichtige Schritte zum Erfolg mit einschließt. Deshalb brauchen sie oft sehr lange, um über einen Misserfolg hinwegzukommen, anstatt ihn als Bestandteil der eigenen Entwicklung zu sehen. Es gibt auch die weibliche Angst, durch Erfolge Beziehungen zu gefährden oder zu verlieren (Juchmann, 2023).

 

Impuls 1: Setz die Defizitbrille ab!

Beobachte dich im Alltag. Erkenne, wenn du dich klein machst, dich zu sehr kritisierst und nur auf deine vermeintlichen Fehler schaust. Und bemerke, dass das nicht so sein und bleiben muss. Bewusstheit ist wichtig, um die Defizitbrille zu erkennen und dann auch abzusetzen.

 

Wir brauchen Vorbilder und Mentor:innen

Mädchen und Frauen lernen am Modell. Sie brauchen Vorbilder und unterstützende Menschen, die ihr Potenzial sehen, erkennen und fördern. Ein Coaching bietet die Möglichkeit, diese fördernden Personen sichtbar zu machen. Eine erfolgreiche Unternehmerin erzählte mir unter Tränen wie entscheidend ein Lehrer für sie war, der ihr Mathetalent erkannte und sie ermutigte, diese Fähigkeiten auch zu zeigen. Sie erlebte zum ersten Mal: Es wird gesehen, was in mir steckt.

Eine Frau hält ihre Faust lächelnd gegen die Faust einer anderen Person.

Und das ist auch eine wichtige Aufgabe als Coachin, zu sehen, welche Fähigkeiten mein Gegenüber hat. Ich begleite gerade eine 40-jährige Frau in einem beruflichen Veränderungsprozess. Es fällt ihr schwer, die eigenen Kompetenzen zu sehen und noch schwerer, sie zu benennen und nach außen zu zeigen. Ich frage sie, ob ich ihr mal zurückmelden darf, welche Fähigkeiten ich bei ihr erlebe? Sie stimmt zu und als ich dann aufzähle, welche Kompetenzen ich sehe, da schreibt sie rasend schnell mit und sagt: „Das kann ich alles auf meine Webseite schreiben. Das stimmt.“ Da lachen wir beide und der Weg ist frei, die Erlaubnis gegeben, die eigenen Ressourcen mehr in den Blick zu nehmen.

 

Impuls 2: Suche dir Menschen, die dein Potenzial sehen!

Wer inspiriert? Wer sieht die Stärken, die du selbst nicht siehst oder dich nicht traust auszusprechen? Wer waren und sind diese unterstützenden Menschen? Hol dir auch ganz bewusst Feedback ein. Mache dich damit vertraut, zu hören, was du gut kannst, und nimm es dankbar an. Suche dir auch gezielt Mentor:innen für bestimmte Themen und Entwicklungsschritte.

 

Die Kompetenzen sind Teil des Selbstwertgefühls

Die eigenen Stärken auch selbst zu erkennen, ist ein wichtiger Aspekt unseres Selbstwertgefühls. Wir gewinnen an innerer Stärke und Stabilität, wenn wir um die eigenen Fähigkeiten wissen und ihnen vertrauen lernen. Das heißt im Übrigen nicht, die innere Perfektionistin zufrieden zu stellen. Sondern auch, mit den eigenen Grenzen und Schwächen akzeptierend und respektvoll umzugehen. Das eigene Kompetenzerleben setzt sich aus verschiedenen Aspekten zusammen. Zum einen braucht es Motivation, Interesse und Begeisterung an einer Sache. Wissen aus einem Themenfeld, Fähigkeiten und Handwerkszeug sind essenziel für ein Kompetenzerleben. Und alles Wissen nutzt nichts, wenn die Erfahrung der Anwendung und der Umsetzung fehlt. Hierzu ein Beispiel: Eine 35jährige Frau will nach der Elternzeit wieder mehr in den Beruf einsteigen. Sie begeistert sich für schön gestaltete Bücher. Das Wissen aus der Branche hat sie und sie hat auch mehrere Buchprojekte erfolgreich begleitet. Sie weiß um ihre kommunikativen, gestalterischen und planerischen Fähigkeiten. Doch das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen hat durch die Auszeit gelitten. Im Coaching stärken wir den Zugang und das Vertrauen, in die eigenen Fähigkeiten und dann geht es darum, ins Handeln zu kommen. Mittlerweile hat meine Coachee den Wiedereinstieg geschafft und zwei tolle Buchprojekte auf den Weg gebracht.

 

Impuls 3: Die wertschätzende Brille aufsetzen

Nun kannst du beherzt die eigene Kompetenz in den Blick nehmen. Wofür begeisterst du dich? Was liegt dir am Herzen, was ist dir wichtig? Wie motivierst du dich? Auf welchem Gebiet hast du Wissen? Welche Handwerkszeuge hast du dir angeeignet? Und welche Erfahrungsfelder hast du? Schreib deine Erfolge auf und deine wichtigsten Ergebnisse, auf die du stolz bist. Wie kannst du all dies mehr nach außen zeigen?

 

Kompetenzen verkörpern und fühlen

Oft sagen mir Frauen: „Ich weiß, dass ich was kann, aber ich fühle es nicht“. Eine erfolgreiche Ärztin musste sich ihre guten Zeugnisse und Abschlüsse angucken, um sich mit ihrer Kompetenz zu verbinden. Aber richtig vertrauen konnte sie ihren Fähigkeiten nicht. Wenn wir Kompetenzen körperlich fühlen, dann können wir diese selbstverständlicher erinnern und abrufen. Sie sind dann nicht etwas Äußeres, sondern werden ein Teil von uns. Die Forschung sagt: Frauen mangelt es nicht an Kompetenzen, sondern an Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Positive Imaginationen und eine Verkörperung der eigenen Kompetenzen stärken das Vertrauen und lassen unsere Stärken zu einem selbstverständlichen Teil unserer Persönlichkeit werden.

Eine junge Frau steht lächelnd an einer Outdoor-Sportanlage und reckt triumphierend die Hände in die Höhe

Impuls 4: Kompetenzen verkörpern

Setz oder lege dich bequem hin und nimm dir Zeit, für einige Momente deinen Atem wahrzunehmen, wie er ein- und ausströmt. Dann lass vor deinem inneren Auge eine Situation auftauchen, in der dir etwas gut gelungen ist. Stell dir genau vor, wie du etwas tust, worin du dich als kompetent erlebst. Und dann sei neugierig, wie sich das in deinem Körper anfühlt. Wo spürst du es in deinem Körper und wie fühlt sich Kompetenz im Körper an?

Wiederhole diese Übung immer wieder und du wirst merken: Kompetenz lässt sich verkörpern und wird ein Teil von dir!

 

Zum Weiterlesen:

[Werbung] Ulrike Juchmann (2023). Sei du selbst, alle anderen gibt es schon. Wie Frauen Erwartungen abstreifen und befreiter leben. Weinheim: Beltz.

Ulrike Juchmann (2020). Coaching für Frauen – Kompetenz fühlen und zeigen. Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung. Verlag modernes Lernen. Jg. 38 (4), S. 166 -172 zu finden unter: https://www.achtsamkeit-juchmann.de/wp-content/uploads/2022/04/Coaching-fuer-Frauen-komprimiert.pdf

 

Literatur:

Bischof-Köhler, D. (2022). Von Natur aus anders. Die Psychologie der Geschlechterunterschiede. Stuttgart: Kohlhammer.

Napp, C. & Breda, T. (2022). The stereotype that girls lack talent: A worldwide investigation. Sci Adv.;8(10). https://doi.org/10.1126/sciadv.abm3689