Raus aus dem Stress – Wie du Klienten in fünf Schritten wieder ins innere Gleichgewicht bringst

Gestresst? In unserer schnelllebigen Gesellschaft ist es gar nicht leicht, gelassen zu bleiben. Burnout und Depressionen können die Folge sein, wenn wir langfristig Stressoren ausgesetzt sind, ohne ihnen entgegenzuwirken. Wie du deine Klienten im Beratungsprozess dabei unterstützen kannst, Stressanzeichen frühzeitig zu erkennen und Ressourcen zu stärken, verrät dir unser Autor Timo Kortsch.

Seit Jahren wird unsere Welt schnelllebiger, neue Aufgaben kommen hinzu und Anforderungen steigen. Immer mehr Menschen geraten in Stress. Langfristig kann das zu schwerwiegenden Folgen, wie Burnout oder Depression führen. Es ist daher ratsam, schon bei kleineren Stressanzeichen aktiv zu werden. Stress schränkt allerdings die eigene Sicht auf die Dinge und somit auch den Handlungsspielraum ein. Im strukturierten Beratungsprozess kannst du deinen Klienten helfen, den Blick für die eigenen Ressourcen zu stärken. So sind deine Klienten gut auf stressigere Zeiten vorbereitet. Wie wir aktuell an der globalen Pandemie sehen, können stressige Zeiten auch völlig unverhofft kommen.

Auf Grundlage aktueller psychologischer Forschung stelle ich dir im Folgenden ein Vorgehen in fünf Schritten vor (ausführlicher bei Paulsen & Kortsch, 2020), das du sowohl in dyadischen Beratungssettings als auch in Gruppen nutzen kannst. Diese fünf Schritte können die Beratungssitzungen gut strukturieren.

Nahaufnahme eines weiblichen Gesichts mit geschlossenem Auge

1. Schritt: Stress verstehen

Damit Stress wirksam vorgebeugt und begegnet werden kann, muss zunächst klar sein, was überhaupt unter Stress verstanden wird. Bei verschiedenen Anforderungen fallen wir in ein Stressmuster. Die Forschung zeigt jedoch auch, dass jeder Mensch auf eine Anforderung (z.B. Fertigstellung eines Projektes bis zu einer Deadline) ganz unterschiedlich reagieren kann. Bei manchen setzt es zusätzliche Kräfte frei, andere wollen am liebsten im Bett liegen bleiben.

Eine Ursache für die unterschiedlichen Wirkungen der gleichen Stresssituation auf Menschen liegt in deren Bewertung. Die darauf folgenden Stressreaktionen sind individuell ganz unterschiedlich, können aber vier verschiedenen Ebenen zugeordnet werden:

a) in Gefühlen, z.B. in Form von Wut oder Traurigkeit
b) in Gedanken, z.B. kreisen die Gedanken immer und immer wieder um ein Problem oder man ist sehr unkonzentriert
c) in Körperreaktionen, z.B. in Form eines trockenen Mundes
d) im Verhalten, z.B. plötzliche Aggression oder Zurückgezogenheit

Tipp: Frage deine Klienten einmal, welche typischen Stressreaktionen sie bei sich kennen bzw. wie Stress sich bei ihnen bemerkbar macht.

Für die Bewertung der Situation ist ganz entscheidend, welche Stressoren und welche Ressourcen man in der Situation wahrnimmt. Das kann auch mit dem Job Demands-Resources-Modell (Bakker & Demerouti, 2017; Demerouti, Bakker, Nachreiner & Schaufeli, 2001) erklärt werden. Dieses sieht das Zusammenspiel von Anforderungen und Ressourcen als zentral für die Entstehung von Stress an. Klienten kann man dies bildlich als die innere Stress-Waage (Abbildung 1) verdeutlichen.

Eine symbolische Waage, die zwischen Stressoren und Ressourcen balanciert

2. Schritt: Stressoren erkennen 

Nachdem man die Klienten im ersten Schritt an ein Verständnis vom eigenen Stress herangeführt hat, geht es im zweiten Schritt darum, sich einer Seite der Stress-Waage zu widmen, den Stressoren. Stressoren sind Reize, also beispielsweise Situationen oder Ereignisse, die häufig eine Stressreaktion auslösen. Es sind Reize, die bei Klienten in der Vergangenheit typischerweise zu Stresserleben geführt haben (z. B. Zeitdruck) oder die bei anderen Menschen oft Stressreaktionen nach sich ziehen. Allerdings führen Stressoren nicht immer zu einer Stressreaktion.

Besonders für den Bereich Arbeit, den Klienten oft als erstes mit Stress in Verbindung bringen, sind Stressauslöser gut untersucht (vgl. BAuA, 2017). Die arbeitsbezogenen Stressoren lassen sich in vier Kategorien einteilen:

  • Arbeitsaufgabe (z.B. wenig Tätigkeitsspielraum) 
  • Arbeitszeit (z.B. Schichtarbeit) 
  • Technische Faktoren (z.B. technische Probleme, Lärm) 
  • Führung und Organisation (z.B. fehlende Unterstützung, Arbeitsplatzunsicherheit). 

Aber natürlich gibt es auch in anderen Bereichen des Lebens Stressauslöser. Häufig spielen Erwartungen von anderen Menschen oder zahlreiche private Termine eine Rolle. Und selbst eigentlich erholsame Hobbies können im ungünstigen Fall zu einem Stressauslöser werden.

Das "Stressoren-Radar" besteht aus verschiedenen Kreisen, aufgeteilt in die Bereiche, welche Stress auslösen können

Im Beratungsprozess kann das „Stressoren-Radar“ genutzt werden, um die relevanten Stressoren herauszuarbeiten. Klienten werden hierbei gebeten, persönliche Stressoren aus verschiedenen Bereichen zu identifizieren und sie einzutragen (s. Abbildung 2). Größere Nähe zum Zentrum bedeutet höhere persönliche Relevanz. Neben den vier oben genannten Bereichen ist es möglich, Stressoren aus weiteren Bereichen (z. B. Privatleben) einzutragen, wofür die freien Sektoren im Stressoren-Radar vorgesehen sind. 

Im weiteren Beratungsprozess kann dann der Schwerpunkt darauf gelegt werden, Strategien zum Umgang mit den Stressoren zu entwickeln.

3. Schritt: Ressourcen wecken 

Der dritte Schritt fokussiert auf die andere Seite der Stress-Waage, die Ressourcen. Neben den Stressoren spielen Ressourcen eine wichtige Rolle bei der Stressentstehung.  

Ressourcen können als das Gegengewicht zu Stressoren betrachtet werden. Sie helfen, gesetzte Ziele zu erreichen, unterstützen die persönliche Entwicklung und können die Wirkung von Stressoren abmildern. Sie können außerdem Stress abpuffern oder sogar verhindern, dass trotz hoher Anforderungen Stress entsteht. 

Ressourcen können beispielsweise unterstützende Kollegen oder Vorgesetzte sein, aber auch Freunde und Familienmitglieder. Insgesamt kann man vier Kategorien unterscheiden: physische, intellektuelle, soziale und psychische Ressourcen.  

Im Beratungsprozess bietet in diesem dritten Schritt ein „Ressourcen-Radar“ das Gegenstück zum Stressoren-Radar. Klienten werden hierbei dazu angeregt, persönliche Ressourcen in das Ressourcen-Radar einzutragen und sich so dieser bewusster zu werden (s. Abbildung 3). Dies kann den Klienten auch als Hausaufgabe zur Vorbereitung dieser Sitzung mitgegeben und mit einem Beobachtungsauftrag verknüpft werden. 

Das "Ressourcen-Radar" besteht analog zu Stress-Radar aus aufgeteilten Kreisen.

Beim Blick auf das ausgefüllte Ressourcen-Radar wird deutlich, in welchen Bereichen weitere Ressourcen ausgebaut werden können. Mit Fragen kann im Beratungsprozess der Blick auf die relativ leeren Bereiche gelenkt werden und die Suche nach möglicherweise vergessenen Ressourcen angeregt werden. Es können Ideen entwickelt werden, wie man diese Ressourcen wieder besser erinnern und durch Routinen aktiv in den Alltag integrieren kann. Beispielsweise bietet sich der tägliche Weg von oder zur Arbeit an, um sich seine Ressourcen aktiv ins Gedächtnis zu rufen... 

4. Schritt: Umsetzung planen 

Im vierten Schritt geht es deshalb nun darum, aufbauend auf den Schritten zwei (Stressoren erkennen) und drei (Ressourcen wecken) Pläne zu entwickeln, um anders mit dem Stress umzugehen. Bleibt man beim Bild der inneren Stresswaage, sind die möglichen Stellschrauben einer erfolgreichen Stressbewältigung:

a) Die Stressoren reduzieren 
b) Die Ressourcen ausbauen 

Es geht also darum, eigene Gestaltungsspielräume zu nutzen. Hier hat sich der Ansatz des Crafting etabliert, also die Gestaltung des Lebens im Sinne der eigenen Bedürfnisse (de Bloom, Vaziri, Tay, & Kujanpää, 2020). Das Konzept kommt ursprünglich aus dem Bereich der Arbeit (Job Crafting), wurde inzwischen aber auf viele andere Lebensbereiche übertragen (z. B. Home Crafting, Work-life-balance Crafting). Als Coach kann man das Crafting mit Wenn-Dann-Plänen unterstützen: In diesen formulieren Klienten, wie sie sich zukünftig in konkreten Stresssituation verhalten möchten (z. B. „Wenn ich das nächste Mal eine Aufgabe mit kurzer Deadline übernehmen muss, dann hole ich mir Unterstützung von meinen Kollegen.“). 

zwei Menschen mit Laptop schauen sich an

5. Gelassen handeln 

Gute Pläne sind oft nur so lange gut, bis etwas Unerwartetes passiert. In dem fünften Schritt geht es deshalb darum, dass die Pläne aus dem vierten Schritt auch tatsächlich in die Tat umgesetzt werden und Klienten sich nicht von ungeplanten Hindernissen abhalten lassen.

Die WOOP-Methode der Motivationspsychologin Prof. Gabriele Oettingen (Oettingen, 2015) beschäftigt sich mit der Selbstmotivation der Klienten und ist schnell und einfach zu erlernen. Demnach sind vier Schritte wichtig, um einen Wunsch - beispielsweise zukünftig gelassener mit Deadlines umzugehen – erfolgreich in die Tat umzusetzen. Gemeinsam mit den Klienten kann man die vier Schritte an einem Wunsch beispielhaft erarbeiten. Die Methode ist dann auf viele weitere Wünsche übertragbar.

  1. Wish: Einen Wunsch identifizieren
    Es ist wichtig, ein herausforderndes, aber erfüllbares Ziel zu wählen. Dieses Ziel soll dann mit einer Erklärung, wieso gerade dieser Wunsch eine solch hohe Priorität aufweist, niedergeschrieben werden. 

  2. Outcome: Was wäre, wenn der Wunsch in Erfüllung ginge?  
    Die Klienten sollen sich mit wenigen Worten vor dem geistigen Auge oder auf dem Papier vorstellen, wie toll ihr Leben wäre, wenn der Wunsch in Erfüllung ginge. Hier ist Zeit zum Träumen. 

  3. Obstacle: Welches innere Hindernis steht dem (noch) entgegen?
    Dann werden innere Hindernisse betrachtet. Wie zuvor sollen diese mental vorgestellt oder niedergeschrieben werden. Hindernisse sollten stets bei sich selbst gesucht werden (z.B. der Perfektionismus, mit dem man sich selbst im Weg steht), da diese dann auch unter der eigenen Kontrolle stehen. 

  4. Plan: Wenn-Dann-Pläne schmieden
    Abschließend müssen die Hindernisse betrachtet und mögliche Lösungen für diese gesucht werden. Es ist wichtig, dass Klienten sich Gedächtnisstützen notieren und entgegenwirkende Handlungen formulieren. 

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