In der Haltung liegt die Kraft - Ressourcenorientierte Körperarbeit im Coaching

Durch Achtsamkeit und spielerische Körperübungen die Stärken und Ressourcen der Klienten aktivieren. (Foto: Dino Reichmuth – Unsplash.com)

Kennst du das? Du nimmst eine bestimmte Körperhaltung ein und fühlst dich auf einmal anders. Nicht alle Gefühle lassen sich durch Darüber-reden aus- oder auflösen. Manchmal brauchen wir den Körper dazu. Unsere Autorin Nanni Glück zeigt dir, wie du mit Achtsamkeit und spielerischen Körperübungen deine Klient:innen an ihre Stärken und Ressourcen heranführen kannst.

„In dieser Haltung würde ich nie jemanden schlagen!“ Diese Aussage meines Klienten in der ersten Stunde, nachdem ich ihn achtsam in einen guten Stand gebracht hatte, ließ mein Herz höherschlagen. Leichte Depression und erhöhte Bereitschaft zur Gewalt lautete der Vorstellungsanlass, mit dem er zu mir geschickt worden war. Er fühle sich innerlich zerrissen, habe keine Kontrolle über seine Impulse, sagte er mir. Er habe Angst, dass ihm das Jugendamt deswegen Schwierigkeiten bereite – er sei ja Familienvater von zwei süßen Mädels – und Angst, dass ihm seine beiden Hunde, Mastiff-Damen, weggenommen werden würden. Fast wöchentlich sei er in eine Schlägerei verwickelt und würde irgendwelchen Typen, die ihn provozierten, entweder die Nase oder das Jochbein brechen – je nachdem, was er in diesem Moment effektiver fände. Seine Frau sei darüber keinesfalls begeistert, sie wünscht sich einen besonnenen, gelassenen Mann an ihrer Seite und ihre Beziehung war zu diesem Moment ziemlich angespannt.

Nicht alle Gefühle lassen sich durch Darüber-reden aus- oder auflösen. (Foto: Pexels.com)

Kenne die Ressourcen deiner Klient:innen

Wie schnell Humor und Achtsamkeit in der von mir praktizierten, ressourcenorientierten positiven Körperarbeit Wirkung entfalten können, zeigt die oben genannte Aussage in der ersten Coaching-Stunde.

Bei diesem Ansatz ist es wichtig, als allererstes die Ressourcen des Klienten zu erkennen und ihn diese erleben, ja körperlich spüren zu lassen. Die genaue Beobachtung der Körpersprache während des Gesprächs ist ungemein wichtig und gibt mir Hinweise auf bestimmte Bewegungsimpulse und Haltungen, mit denen jeweils positive oder negative Gefühle gekoppelt sind. Als unterstützendes Element bitte ich all meine Klient:innen, noch vor der ersten Sitzung den Charakterstärkentest ViA durchzuführen und die Ergebnisse zum ersten Gespräch mitzubringen (ViA ist einen kostenloser Online-Test der Universität Zürich, bei dem die individuellen Charakterstärken bestimmt werden). Mit diesen zwei Komponenten habe ich bereits eine gute Basis, um ressourcenorientiert in die „Arbeit“ einzusteigen. Mein Ansatz ist es nun, den Klienten zu befähigen, seine Herausforderungen stärkenorientiert anzugehen und sich nicht in seine Defizite drängen zu lassen.

Implizite Erinnerungsarbeit

Um meine Klient:innen ihre immanenten Kraftquellen und Stärken spüren zu lassen, bediene ich mich der implizierten Erinnerungsarbeit.

Unser Gedächtnis lässt sich mit einem Eisberg vergleichen: 20 % all unserer Erinnerungen können wir bewusst abrufen, wir sprechen hier vom expliziten Gedächtnis. 80 % all unserer Erinnerungen befinden sich jedoch unter der Bewusstseinsschwelle (implizit) und sind in emotionalen oder prozeduralen Erinnerungen abgespeichert, auf die wir bewusst nicht zugreifen können. Du kennst das sicherlich: du gehst durch eine Stadt, auf einmal hast du einen Duft in der Nase und schon ziehen sehr stark emotional gefärbte Erinnerungen aus frühen Kindheitstagen in dir auf. Wenn du genau darauf achtest, dann verändert sich in diesem Moment auch deine Körperhaltung und deine Stimmung.

Letztendlich können wir uns diesen Zusammenhang wie einen Kreislauf vorstellen: Wir denken etwas, daraufhin entwickeln wir eine Haltung. Diese daraus resultierende Muskelaktivität gibt ein Feedback an unser Gehirn, woraufhin bestimmte Hormone ausgeschüttet werden. Unter deren Einfluss entsteht eine Gefühlslage in uns, die wiederum die Entstehung unserer Gedanken beeinflusst.

Letztendlich kann an jeder dieser Stellen eine Intervention erfolgen. Wichtig dabei ist zu beachten, dass vieles, das über die kognitive Ebene versucht wird zu erreichen, sich gar nicht im expliziten Gedächtnis befindet. Die Methode der Wahl sollte immer berücksichtigen, ob man den sogenannten „hohen Weg“ (explizit) gehen kann, oder ob man über den „niederen Weg“ (implizit) kommen muss, um eine positive Veränderung bewirken zu können.

Frühe Erlebnisse von Erfolg, Kontrolle und Wohlbefinden prägen die erlebte Selbstwirksamkeit maßgeblich. (Foto: Clarke Young – Unsplash.com)

Krafthaltungen holen Ressourcen in die Gegenwart

Meine Interventionen setzen am Verhalten beziehungsweise der Haltung an (implizit). Hier spielt der Humor, vor allem das Element der Verspieltheit, eine wichtige Rolle. Nachdem ich bestimmte individuelle „Krafthaltungen“ herausgearbeitet habe, bitte ich meinen Klient:innen, ganz bewusst diese Haltung einzunehmen, also „so zu tun, als ob“. Ich hatte beispielsweise einmal einen Klienten, dessen erlebte Selbstwirksamkeit ganz stark mit einer frühen Kindheitserinnerung beim Radfahren verknüpft war. Er setzte sich also auf einen Stuhl und tat so, als ob er in die Pedale stieg. In Kombination mit der von mir geführten Erinnerung an dieses frühe Erlebnis von Erfolg, Kontrolle und Wohlbefinden gelang es uns ganz schnell, diese Gefühle in den gegenwärtigen Moment zu holen und fest zu verankern. Diese Methode erinnert dich vielleicht an einige NLP-Tools, wobei es mir ganz wichtig ist, mit den authentischen Bewegungsimpulsen der Klient:innen zu arbeiten.

Durch Körperhaltung eine positive Stimmung erzeugen

Doch nicht nur individuelle Haltungen tragen dazu bei, die Ressourcen bei den Klient:innen zu stärken. Es gibt viele Körperhaltungen, die mittlerweile auch neurowissenschaftlich bestätigt dazu beitragen, dass wir uns sofort besser, zuversichtlicher und fröhlicher fühlen.

So ist zum Beispiel ein hüftbreiter Stand mit einem guten Kontakt der Fußsohlen zum Boden, leicht gebeugten Knien, sanft nach vorn aufgerichtetem Becken, locker nach hinten unten herabhängenden Schultern, den Händen in den Hüften, leicht erhobenem Kopf und in die Ferne schweifendem Blick eine wunderbare Haltung, um sofort eine gute Stimmung bei Klient:innen zu erzeugen. Beginnen sie dann noch, auf der Stelle zu marschieren, verstärkt sich dieser Effekt.

Die „Gorilla-Übung“ ist für Klienten geeignet, die eine Extraportion Selbstvertrauen für den Tag brauchen. (Foto: Bruce Mars – Unsplash.com)

Die Gorilla-Übung

Eine sehr beliebte Übung, die ich meinen Klient:innen für besonders schwierige Tage mitgebe, wenn zum Beispiel große Herausforderungen anstehen, für die sie eine Extraportion Selbstvertrauen benötigen, ist die „Gorilla-Übung“: Ich bitte meinen Klienten sich vorzustellen, dass er ein großer und starker Gorilla sei, ein mächtiger Silberrücken. Es ist frühmorgens im Dschungel und er steht auf seinem Felsen und überblickt die weite Landschaft. Der Frühnebel steigt gerade auf, die Landschaft liegt in voller Schönheit zu seinen Füßen und er denkt: „Alles meins – ich bin der König des Dschungels“. Dann richtet er sich zu seiner vollen Größe auf und beginnt mit lautem, tiefen Lachen sich auf die Brust zu trommeln, wie Gorillas dies eben tun. Dies sind nur einige Beispiele dieser universellen, positiven Körperhaltungen, von denen es vor allem im Lachyoga noch jede Menge weitere gibt und die tatsächlich eine sofortige Wirkung aufweisen.

Durch Achtsamkeit lernen wir, zu akzeptieren, was ist und unsere Aufmerksamkeit bewusst auf das Stärkende und Positive zu lenken.  (Foto: Pexels.com)

5-10 Minuten Achtsamkeit am Tag

Darüber hinaus spielt für mich Achtsamkeit eine entscheidende Rolle. Nur wenn meine Klient:innen den Raum zwischen Reiz und Reaktion wahrnehmen können, können sie sich bewusst für ein ressourcenorientiertes Verhalten entscheiden. Ich ermuntere daher all meine Klient:innen, sich täglich 5-10 Minuten in Achtsamkeit zu üben, am einfachsten über die Atemmeditation. Wir üben sie gemeinsam und wenn es ihnen leichter fällt, bekommen sie von mir eine geführte Atemmeditation als MP3 zur Verfügung gestellt. Die ersten Effekte setzen auch hier schon relativ schnell ein. Indem sich die Klient:innen in Achtsamkeit üben, lernen sie, mit ihrem Geist zu arbeiten. Sie lernen zu akzeptieren, was ist und ihre Aufmerksamkeit bewusst auf das Stärkende und Positive zu lenken. 

Nach nur 6 Sitzungen war mein Klient, dessen Aussage ich als Eingangszitat verwendet habe, in einem sehr stabilen Zustand. Er schrieb mir „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mir das alles geholfen hat. Ich fühle mich gut – total gut und ganz anders als noch vor einem Jahr!“ Geschlagen hat er seitdem niemanden mehr und seine Frau ist wieder glücklich mit ihm.